Die Nacht singt ihre Lieder

Die formale Konsequenz, mit der Romuald Karmakar in Die Nacht singt ihre Lieder das gleichnamige Stück des norwegischen Theaterautors Jon Fosse adaptiert hat, ist, bei aller Reduktion, die manche Kritiker schon von abgefilmten Theater sprechen lässt (was, natürlich, Blödsinn ist), über weite Strecken atemberaubend, vor allem aber stets effizient.

Gelassen, oft beinahe schon kühl – manche Einstellungen scheinen gar die Perspektive von in Deckenecken angebrachten Überwachsungskameras zu simulieren – , protokolliert der Film das Ende einer Beziehung. Das ist wörtlich zu nehmen: Gescheitert war man schon weit, vermutlich Jahre früher, hier nun aber geht es, mit wenigen Ausnahmen: kammerspielartig, in einer Berliner Ikea-Wohnung mit twen-haftem Bildungsbürgerkolorit, nur noch um die letzten Stunden. Um jene Momente, in denen über Jahre entstandene Geschwulste und Versteifungen sich nochmals miteinander verkanten und das sukzessive über die Jahre hinweg vollzogene Scheitern – an dem Anderen, am eigenen Leben, an Vorstellungen, Erwartungshaltungen und Ängsten – sich einmal noch geballt schmerzlich spürbar werden lässt. Auch und gerade für den Zuschauer, der, insofern sich auf die besondere Form des Films eingelassen werden kann, oft selbst nicht anders kann, als sich voller Unbehagen im Sessel zu winden.

Wie Karmakar inszeniert, erinnert bisweilen an Fassbinder, vor allem Die bitteren Tränen… kommen in den Sinn: Kurzgeschliffene Satzstümmel, Gesprächspausen, Worte, die mehr nur sind, als sie selbst, gerne, oft auch, ihr Gegenteil, vor allem aber das, was sie nicht sind: Nur eine ungefähre Ahnung entwickelt man, was sich hier hinter einem kurzen „Ja“ abspielt, welche Vergangenheit und Zerwürfnisse sich darin widerspiegeln. Präzise werden diese Dialogfragmente ausgesprochen, jede Nuance sitzt: Ein kurzer, knapper Satz, und sei er noch so banal in seinem begrifflichen Inhalt, wird dergestalt nicht selten zum gewetzten Messer, das zusticht, verletzt.

Ein Film vor allem auch über Räume und deren Beziehungen zueinander. Wie man als Einzelner nicht in zwei abgeschlossenen Räumen gleichzeitig sein kann. Zu Beginn ist sie (Anne Ratte-Polle) auf dem Balkon, draußen, von drinnen gefilmt, tritt dann ein zu ihm (Frank Giering), der auf der Couch liegt und liest, wie immer eigentlich. Nebenan ist das kleine Kind im Wagen und schläft. Bald schon treten die Eltern ein, sie kommen zu Besuch, verschwinden sogleich auch wieder: Auch hier Verknöcherung. Später dann geht sie zur Disco, ist weg, er bleibt zurück, verzweifelt wartend. Zur Disco hin fährt sie in einem Auto, ein Kokon, durch dessen Sichtfenster die Lichter der Großstadt nur Flecken bleiben, die Tropfen außen auf der Scheibe scheinen Tränen zu ähneln, die der Scheibenwischer hastig verdrängt. Dann später wieder tritt sie ein, es kommt erneut zum Streit, er verweist sie im Affekt der Wohnung, sie kehrt mit ihrem Lover zurück: Ein einzigartiger Moment ist das, wenn er, der Gatte, dessen Perspektive über weite Strecken geteilt wird, sich des Raumes sicher scheint, er offensichtlich auch sicher ist, bis dann aber die Kamera, mit einem einzigen Schwenk der Kamera, den Hinterkopf des Lovers anschneidet, der in dieses Kabinett des Beziehungsschreckens eingedrungen ist und einen Raum weiter steht. Bald steht er im Hausflur, das Kind nebenan im Raum beginnt zu schreien, erhält dann, endlich, ein Gesicht: Es steht im Raum nun, ist bei der Mutter, die sich nun die Frage stellt, ob den Raum zu verlassen wirklich die rechte Lösung ist, zumal, wie sich andeutet, auch der nächste Raum, der des Lovers, allenfalls ein gleiches Gefängnis scheint. Alle drei scheinen zu zerfallen, sind selber Räume, hermetisch abgeschlossene, zur Kommunikation nicht fähig: Solipsismus.

Von Beginn an ein großartiger Film, der das Publikum wohl spalten wird. Die Presse ist bereits gespalten: Bei der morgendlichen Vorführung im Berlinale-Palast für die Journalisten herrschte zum Teil ausgelassene Heiterkeit über den bewusst (und effektiv) hölzernen Stil des Films, despektierliche Auslassungen hagelte es bisweilen im Minutentakt. Kein leichter Film, gewiss. Aber die Überheblichkeit, mit der sich darüber ausgelassen wird, korrespondiert, zumindest in diesem Falle, offensichtlich auch mit der bornierten Dummheit oder aber dem ausgeprägten Zynismus des, mit Verlaub, Geschmeißes.

Der Film läuft auf den 54. Internationalen Filmfestspielen Berlin im Wettbwerb. Zudem ab 19. Februar im Kino.

Die Nacht singt ihre Lieder
(Deutschland 2004)
Regie: Romuald Karmakar; Drehbuch: Martin Rosefeld (Theaterstück: Jon Fosse)
Darsteller: Anne Ratte-Polle, Frank Giering, Manfred Zapatka, u.a.

Thomas Groh

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