Die Frau hat keinen Phallus …

Doppelgänger sind seit der Literatur der Romantik ein dankbares Motiv um Grusel einerseits, Reflexion über die Sicht auf das Selbst andererseits zu evozieren. Man denke nur an E.T.A. Hoffmanns „Der Sandmann“ als literarisches oder Paul Wegeners „Der Student von Prag“ als filmisches Beispiel. Der Doppelgänger fungiert als jemand, der aus der Vergangenheit wieder auftaucht, Unheil mit sich bringt und Böses tut – in Wolfgang Bülds neuem Film „Twisted Sisters“ erfüllt die Doppelgängerin gleich beide Funktionen – allerdings ohne jede Originalität – und jongliert darüber hinaus noch mit völlig überkommenden Motiven weiblicher Phallizität.

Jennifer (Fiona Horsey) und ihr Verlobter Alan (Andrew Southern) sind überglücklich: Beide sind beruflich erfolgreich, bei Freunden und Kollegen beliebt, ihre Hochzeit steht kurz bevor und Jennifer erwartet ein Baby von Alan. Zu idyllisch und perfekt wirkt beider Glück, als ein Unheil über beide hereinbricht; ein Unheil, das in Form von Jennifers Zwillingsschwester Norah (Fiona Horsey) auf die Bühne tritt. Im Gegensatz zu jener ist diese nämlich ein Ausbund an Bösartigkeit: Sie tritt aufreizend in der Öffentlichkeit auf um Männer zu verführen und sie zu ermorden. Ihre Grauenstaten sind dabei an Sadismus kaum zu überbieten: den Geschlechtsverkehr versprechend und teilweise auch ausführend, entmannt sie ihre Opfer mit einer Rosenschere (wer hier an eine Per- bzw. Inversion von Goethes „Heideröslein“ denkt, liegt damit nicht falsch!) erdolcht sie oder sprengt sie mit anal eingeführten Feuerwerkskörpern in die Luft. Dabei entwickelt sie eine sadistische Freude, lacht über das Leid ihrer Opfer und versucht mit allen Mitteln den Tatverdacht auf ihre ahnungslose – ja selbst von der Existenz ihrer Doppelgängerin nichtsahnende – Zwillingsschwester zu lenken.

Die Polizei setzt zwei ihrer gewieftesten Spürhunde, DI Caffrey und DS Woodgate (großartig verkörpert von Paul Conway und Eden Ford) auf die Mordfälle an und gerade weil sich beide Beamten durch ihre Biografien und ihre kompromisslose Härte erfahren und den Taten gewachsen zeigen, finden sie schon bald die Spur der Täterin. Allein, es ist die falsche. Während sich Jennifer durch die Poizisten mit den grausamen Taten ihrer Doppelgängerin konfrontiert und verdächtigt findet, beginnt ihre böse andere Hälfte damit, ihr Leben zu zerstören, indem sie sich an Freunde, Kollegen und zuletzt sogar an Alan heranmacht. Als Jennifer in ihrer Not schließlich von den Eltern erfährt, dass sie „nur adoptiert“ ist und es da vielleicht noch eine Schwester gibt, beginnt sie zu ahnen, was vor sich geht. Bald schon trifft sie auf ihren finsteren Widerpart und erfährt, dass Norah, während Jennifer in der Behütetheit einer bürgerlichen Kleinfamilie gedieh, eine Kindheit voller Schrecken durchlebt hat, vom Onkel missbraucht, durch zahlreiche Abtreibungen unfruchtbar. Dieses Schicksal hat die Wut auf ihre Zwillingsschwester schließlich zu blindem Hass und pathologischem Wahn gesteigert.

„Twisted Sisters“ will Sleaze sein, Sleaze aus Deutschland. Und er ist es wohl auch. Allerdings kann man sich kaum des Verdachtes erwehren, dass diese Zuschreibung wohl aus der Not heraus entsprungen ist. Da wäre zum einen der völlig unoriginelle Plot über eine Doppelgänger-Zwillingspärchen – selbst in Avy Nashers „Doppelganger“ war diese Konstellation nicht mehr neu, wenigstens aber provokativ verpackt. Die Provokation beschränkt Bülds Film auf seine Splatter-Ästhetik. Kaum genug kann er von den aus allen Perspektiven inszenierten Morden bekommen, bis zur Entnervung führt er uns in Groß und Detailaufnahmen vor, worauf es die böse Norah abgesehen hat: auf den Penis ihres Opfers, der dann abgeschnitten mal im Katzenfutternapf mal in der Toilellte liegt. Wie einem Slasherfilm, einem Alien-Sequel oder eben einer Filmtheorie der 1980er Jahre entsprungen wirkt die männermordende phallische Frau hier: Sie will den Phallus haben, obwohl sie er doch schon überdeutlich ist.

Und gerade, wenn wir uns an das Selbstzweckhafte oder je nach dem Psychopathisch-Unerklärliche ihrer Taten gewöhnen, die eben in ihrem Sadismus so unbegründet und damit schon fast augenzwinkernd daher kommen, propft Büld seiner Ungleiche-Schwestern-Geschichte ein Motiv auf, das sich problemlos in einem Moral überführen lässt. Nein, das Böse darf auch heute offenbar nicht mehr „es selbst“ sein; es muss seine Pathologie immer selbsterklärend als Schildchen um den Hals tragen. Die Szenen, in denen die böse Schwester wie in einem billigen Agatha-Christi-Plagiat das Messer mal kurz still hält, um uns allen genau zu erklären, warum sie so schräg drauf ist, gehören – neben den Auftritten der beiden Polizisten – zu den schlechtesten des Films.

Und das liegt nicht nur daran, dass sie so gezwungen wirken, sondern vor allem daran, dass Hauptdarstellerin Fiona Horsey mit solchen Psycho-Soulstrips offenbar überfordert ist. Konnte man über die bisherigen Andeutungen der Charakterisierung Jennifers hinwegsehen, weil Büld sie ohnehin nur als Einstimmung für die nächste Entkleidungsszene seiner Mimin inszeniert zu haben schien, so entfaltet das Skript im Verbund mit den nur ausreichenden Fähigkeiten der Hauptdarstellerin im Finale sein ganzes „Potenzial“. Zugegeben: Die Verwirrungen, die der Film gegen Ende durch die mehrfache Vertauschung von Jennifer und Norah verursacht, verfehlen ihre Wirkung sowohl auf die Protagonisten nicht. Der Film bekommt damit regelrecht Tempo, doch Büld überreizt den Effekt, indem er ein vermeintlichen Happy End nach dem anderne als Bad End entpuppt, nur um ihm sofort wie einem russischen Püppchen ein weiteres Finale überzustülpen. Doch damit kann er nur hinauszögern, was ohnehin schon jeder ahnt: Am Ende ist wieder alles im Lot – und ob aus der Schwangerschaft Jennifers tatsächlich Zwillinge entstehen, wie im letzten Drittel einmal kurz gemutmaßt wurde … das hat das Skript irgendwie vergessen und damit auch nicht mehr als offenes Ende verarbeitet.


Twisted Sisters

(D/GB 2005)
Regie & Buch: Wolfgang Büld; Kamera: Uwe Bohrer
Darsteller: Fiona Horsey, Andrew Southern, Paul Conway, Eden Ford, Pietro Herrera u.a.
Länge: ca. 90 Minuten
Verleih: epiX

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