In seiner bitteren Splatter-Comedy „Cabin Fever“ hatte Eli Roth 2002 bereits vorgeführt, dass sich Horror perfekt als Kritik an Zivilisation und Individuation benutzen lässt. Das Blut, das den verwöhnten Großstadt-Teenager seinerzeit gleich literweise aus ihren verfaulenden Körpern geflossen ist, wurde zum Synonym einer in der Barbarei (dem filmischen „Backwood“) völlig wertlosen Substanz. Am Ende hieß es reichlich sarkastisch: „Töte um zu leben“. Diese Maxime verkehrt Roth in seinem neuen Film „Hostel“ ins Gegenteil. Zum Lachen der Film jedoch nicht mehr, denn um nichts weniger als die Barbarei der Zivilisation selbst geht es, einer Zivilisation, die buchstäblich ihre eigenen Kinder frisst.
Der Film beginnt mit einer ziemlich nervigen Geschichte von drei jungen Männern (zwei Amerikaner, ein Isländer), die einen Rucksacktrip durch Europa unternehmen, auf dem sie mal richtig etwas erleben wollen. Von einem Fremden bekommen sie den Tipp, ins Slowakische Bratislava zu fahren: Dort gäbe es ein Hostel, indem sich stets willige und besonders auf Amerikaner fixierte junge Frauen aufhielten. Und damit hat der Fremde den Jungs auch nicht zuviel versprochen. Dumm nur, dass schon nach der ersten Nacht einer der Gefährten verschwindet und nach der zweiten auch der zweite Weg ist. Der Übriggebliebene macht sich auf die Suche und wird von den Frauen, mit denen die drei zusammen gewesen sind und die ihm immer noch unverdächtig erscheinen, zu einer verlassenen Industrieanlage gebracht. Dort fände eine „exhibition“ statt, auf der sich auch die vermissten Freunde befänden. In Wirklichkeit aber handelt es sich bei dem verfallenen Gebäude um einen von einer russischen Organisation betriebenen, scharf bewachten, exklusiven Club, in welchem reiche Exzentriker entführte Touristen foltern und ermorden können – ganz nach Gusto und ohne Konsequenzen. Die Prostituierten im Hostel, der Fremde mit dem Reisetipp und einige andere, denen die Jungs auf ihrer Reise begegnet sind, entpuppen sich als Angestellte des Clubs, deren Aufgabe es war, die Touristen in die Falle locken.
Es ist gerade die Fallhöhe zwischen dem wie eine Sleaze-Version von „Auberge Español“ anmutenden ersten Drittel des Films und dann dem überaus martialischen weiteren Verlauf, die aus „Hostel“ eine der unangenehmsten cineastischen Ereignisse der letzten Zeit machen. Eli Roth bemüht sich, ein Ost-Europa zu zeichnen, wie es wohl nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in etlichen amerikanischen Hirnen als „böse zweite Welt“ fortexistiert: Korrupt bis ins letzte Glied (sogar die Kinder in „Hostel“ werden für ein paar Kaugummis zu Auftragsmördern), moralisch verdorben, die letzten Werte vom galoppierenden Kapitalismus niedergetrampelt. Vom einstigen kulturellen, kosmopolitanischen und intellektuellen Zentrum Europas hat die im Film gezeigte Stadt Bratislava nichts mehr. Verfallen Häuser bestimmen das Stadtbild, verfallene Moral die Gesellschaft.
Als Fabel ist das wohl kaum zu verstehen; die politischen Implikationen drängen sich dem Zuschauer in „Hostel“ sprichwörtlich „mit aller Gewalt“ auf. Gerade die kühle Geschäftigkeit, getarnt als hemmungslose Lebens- und Liebesgier der Frauen, welche die drei Männer in die Falle locken oder die vom Leben gelangweilten, den letzten Kick suchenden Clubmitglieder, die ihre perversen Tötungsphantasien endlich einmal in die Tat umsetzen können, sind es, die aus „Hostel“ eine gesellschaftspolitische Dystopie sondergleichen machen. Man fühlt vom Film an den Menschenhandel auf dem Balkan, an die Foltergefängnisse Abu Ghraib und die Korruption in Weißrussland gleichzeitig erinnert – alles Schlechte, was die westliche Zivilisation in den letzten zehn, fünfzehn Jahren hervorgebracht hat, tritt in „Hostel“ als brutale Normalität auf, in der der ahnungslose US-Bürger wie in einem Sumpf untergeht.
Der Naturalismus der Darstellung, die kaum zu ertragenden, detailliert vorgeführten Folter- und Tötungsszenen schaffen zwar kurzfristig eine filmisch-surreale Atmosphäre, aber spätestens wenn hinter den Folterern die degenerierten Persönlichkeiten (ein gelangweilter Cowboy, ein verhinderter niederländischer Chirurg, ein sadistischer Deutscher, …) hervortreten, wird man durch deren Archetypik doch wieder zurück in die kritische Haltung gezwungen. Roth hat mit „Hostel“ zweifelsfrei einen der bittersten, unversöhnlichsten und gleichzeitig kontroversesten Filme der letzten Zeit geschaffen. Sein Blick auf Europa, auf dieses spezielle amoralische Europa ist geprägt von immensem Misstrauen. Man kann sich des Gefühls nicht erwehren, dass hinter diesem Misstrauen auch irgendwo der Versuch verborgen ist, die moralische Weste der eigenen Nation im Vergleich wieder etwas weißer erscheinen zu lassen, indem „Hostel“ mit dem Zeigefinger auf gerade jene Weltgegend weist, die aus moralischen Gründen eine Teilnahme an den Menschenrechtsverletzungen der Amerikaner strikt abgelehnt hat.
Hostel
(USA 2005
Regie & Buch: Eli Roth; Musik: Nathan Barr, Kamera: Milan Chadima, Schnitt: George Folsey Jr.
Darsteller: Jay Hernandez, Derek Richardson, Eythor Gudjonsson, Barbara Nedeljakova, Jan Vlasák, Jana Kaderabkova u.a.
Länge: 95 Minuten
Verleih: Sony
Start: 17.04.06