Die Darstellungsgeschichte des Klos, des Fäkalen und der Tätigkeiten des Exkrementierens ist ausgesprochen alt – und zeigt erstaunliche Brüche. Die Motive, die auf Anal- und Fäkalanspielungen basieren, haben sich erst im Lauf des 18. Jahrhunderts aus dem Bereich des Gesellschaftsfähigen heraus entwickelt. Noch im 16. Jahrhundert war das öffentliche Sprechen über die Verdauung und der Anblick ihrer Verrichtung nur in geringem Maße mit Scham- und Peinlichkeitsgefühlen belegt. Bürgerliche Hygienevorstellungen sowie Vorgaben über korrektes Verhalten setzen sich danach aber durch. Vormals Zulässiges muss nun über mehr als 250 Jahre hinweg neu gefaßt – oder verschwiegen – werden. Erst in den letzten Dekaden erleben wir einen Prozess, in dem sich die jahrhundertelange Unterdrückung des Fäkalen und der Vorgänge des Pissens und Scheißens als Gegenstände öffentlicher Kommunikation rückzuentwickeln beginnt.
Die menschliche Exkrementation und seine Orte haben so eine verwirrend widersprüchliche Geschichte von Deutungen hinter sich, in der sich Einstellungsmodalitäten von Tabu und Peinlichkeit ebenso finden wie Elemente einer derben Komik und von elementaren Körperängsten. Dem nachzuspüren lohnt.
Pinkeln und Scheißen sind bis heute auch Lachanlässe, das Komische liegt den Vorgängen, ihrer kulturellen Bewertung und schließlich der Tatsache, dass sie gezeigt werden, nahe. Sie waren einmal Stoffe, die unmittelbar auf Schwank und Witz, derbe Komödie und Zote verwiesen. Das demonstrative Hantieren mit den menschlichen Exkrementen ist noch im 16. Jahrhundert zentrales Motiv einer ganzen Reihe von Schwankdarstellungen. Schon kurze Zeit später steht das Szenario aber unter Darstellungsverbot, es gilt als ungehörig, unsittlich oder unanständig. Nicht mehr lachend, sondern peinlich berührt reagierte das Publikum.
Heute ist die Exkrementation in den Kreis der darstellbaren Tatsachen zurückgekehrt. Sie ist aber nicht mehr primär dem Komischen wie im 16. Jahrhundert zugeordnet, sondern dem Subversiven und der Provokation. Der komische Unterton sollte aber auch in diesen Registern nicht übersehen werden – wenn in Wenders‘ „Im laufe der Zeit“ (BRD 1976) der Protagonist in der Eingangsszene scheißend in den Dünen des Elbufers gezeigt wird, hat die Szene einen durchaus lächerlichen Duktus. Und wenn in der ersten Liebesszene des Paares in Jiri Menzels „Konec starych casu“ („Ende der alten Zeiten“, CSSR 1989) im Hintergrund ein Pferd pisst, gibt das der Szene eine so grotesk-komische Färbung, dass sie lächerlich wird. In John Hustons „The Man Who Would Be King“ (USA 1975) ist es Usus, dass ein kafirisches Dorf ein anderes ärgert, indem die ganze Bevölkerung in den Fluss pinkelt, an dem jenes Wasch- oder Badetag hat. Das Fäkale enthält ein beständiges Potential, die Bedeutung vieler sozialer Akte zweifelhaft zu machen, sie zu durchlöchern und darum ihre Relativität greifbar zu machen. Die Überlegung steht in Zusammenhang mit Bakhtins Modell des Karnevalesken – worin eine zeitweise orgiastisch-spielerische Aussetzung der sozialen Macht- und Ordnungsverhältnisse beschrieben ist -, nimmt aber auch Bezug zur älteren Programmatik des subversiven Kinos, in der Defäkation zur Entmystifizierung der herrschenden Ordnung, „die Gewalt und Völkermord billigt, den Körper und seine Funktionen jedoch verleugnet“ (so Amos Vogel in seinem Buch über „Film als subversive Kunst“), dienen sollte. Der ästhetisch-semantische Rahmen ist klar gesteckt: Durch radikale Überschreitung der bürgerlichen Geschmacksgebote und Anstandsregeln wird eine Ordnungsmacht außer Kraft gesetzt, die im Alltäglichen ansetzt und ganze Bereiche der ursprünglichen Leib- und Selbsterfahrung unterdrückt.
Dem skatologischen Stoff resp. seiner Verarbeitung wohnt eine antiautoritäre Tendenz inne, die sich als Lachreaktion artikuliert. Als provokative Verkehrung der normalen Anstandssitten kann man Luis Buñuels „Le Fantôme de la Liberté“ („Das Gespenst der Freiheit“, Frankreich 1974) ansehen, in dem eine angeregt miteinander plaudernde Runde von Bürgern mit niedergelassenen Hosen am runden Tisch sitzt. Gelegentlich erhebt sich einer, entschuldigt sich, er müsste mal …, und verschwindet in einem kleinen, engen, schlecht beleuchteten Zimmer, in dem er in großer Hast, wie unter Zwang und Beobachtung, Speisen zu sich nimmt. Dann kehrt er in die gesellige Runde zurück, lässt die Hosen nieder und beteiligt sich wieder am Gespräch. Es geht Buñuel wohl darum, in der Szene zu zeigen, dass das Scheißen in unserer Gesellschaft meist als erniedrigender, heimlich und lustlos vollzogener Akt vollzogen wird. In dem Augenblick, wenn man sich den Körpervorgängen zuwendet, verlässt man den Raum der Kontrolle der anderen – und bestraft sich selbst, indem man den Stoffwechsel-Vorgang als unanständig und peinlich diskreditiert. Gerade der Moment größter Leibnähe wird als entfremdeter Moment erfahren, als despektierliche Begegnung mit dem eigenen Körper. Buñuels Verkehrung nimmt dies alles als Lachanlass – und damit als Anlass zur Reflexion.
Eine ganz andere Herleitung bedarf der zweite große dramatische Funktionskreis des Klos (oder genauer: des Badezimmers mit WC) – es ist Ort der Heimlichkeit, des Schreckens, des Todes. Es nimmt nicht wunder, dass ausgerechnet jener Raum, der als Raum größter individueller Isolation definiert ist, als Schutzraum, in dem das Individuum ganz mit sich und seinem Körper befasst ist, im Drama zum Raum der größten Bedrohung invertiert.
Die Geschichte des Films ist auch die Geschichte einer hoch problematischen Dramatisierung des Pissoirs. In manchen Phasen ist das Klo sogar von der Gesamtdarstellung ausgeschlossen gewesen. In dem berüchtigten amerikanischen Production Code heißt es:
IX. Szenerie. Bestimmte Orte sind so eng und offensichtlich mit dem Geschlechtsleben oder mit sündhaften Liebesbeziehungen verknüpft, dass eine Darstellung dieser Orte sorgfältig auf ein Minimum eingeschränkt werden muss.
Das Pissoir und die Tätigkeiten des Exkrementierens sind nicht einmal eigens erwähnt. De facto aber spielten beide in der Inszenierung des klassischen Hollywood-Kinos keine Rolle mehr. Das Darstellungsverbot für das Klo hängt natürlich eng mit der kulturellen Tabuisierung des Pissens und des Scheißens zusammen. Deutlich ist, dass die Ordnung der Räume die Ordnung der Geschlechter impliziert – Männer- und Frauenklos stehen streng gegeneinander, sie sind nicht wechselseitig betretbar. Anstand und Sitte (und unter Umständen sogar das Gesetz) wachen über die Beachtung der strikten Grenzen. Nur Kinder sind von der Regulierung des sexus-orientierten Zutritts ausgenommen – kleine Jungen dürfen das Frauenklo, kleine Mädchen das Männerklo betreten. Bei ihnen entscheidet das Geschlecht des Begleiters, auf welches Klo sie am Ende gelangen. Sind sie allein, wenden sich aber schon Mädchen den Frauen, Jungen den Männern zu. Eine automatisierte Verhaltensordnung kommt zum Vorschein, die selbst in grotesken Szenarien stabil bleibt: Die Sozialpsychologie-Studenten in Münster schieden am Eingang der Mensa das Publikum in eine männliche und eine weibliche Hälfte, indem sie die Türen als „nur-für-Frauen“ resp. „nur-für-Männer“ kennzeichneten. Die Studenten hielten sich wie selbstverständlich an die Forderung.
Selbst als geschlechterinterne Erfahrung sind Pissen und Scheißen höchst unterschiedlich. Ist für Männer das gemeinsame Pinkeln eine durchaus alltägliche Szene, ist es für Frauen nahezu unmöglich, sich ein solches Szenario auch nur auszumalen. Gerade die „pinkelnde Reihe“ ist eine oft nur en passant angespielte Bild- und Szenenvorstellung, in der sich das Besondere der männlichen Pinkelordnung manifestiert. In Ivan Passers Film „Intimi Osvetleni“ („Intime Beleuchtung“, CSSR 1965) etwa treten eine ganze Reihe von älteren Männern während einer Beerdigung an die Mauer des Friedhofs und schlagen nebeneinander das Wasser ab. Entsprechend der Normalität dieser Bild- und Szenenvorstellung läßsst sich auch ein altes Skandalon festmachen: Das Hippie-Plakat, das eine Frau in der Reihe der Männer am Stehpissoir zeigt, kann nur schockieren, weil es eine Selbstverständlichkeit des sozialen Lebens bricht.
Das Klo also als Manifestation verschiedenster Ordnungen, seine Darstellung als Dramatisierung oft verborgener Handlungsschemata: Da findet sich seine Rolle als Ort der Intimität, eine Sphäre außerhalb des Öffentlichen und des Sozialen, als Rückzugsraum für das Individuum ebenso wie seine Rolle als Ort der geschlechtlichen Differenz oder auch als Ort der Körperkontrolle durch Tabuisierung und Ausgrenzung. Die Wirkungskräfte des zivilisatorischen Prozesses, den Norbert Elias einst als Modell skizzierte und in dessen Verlauf immer mehr Handlungs- und Realitätskontrolle auf das Individuum selbst überging, lassen sich an der Darstellungsgeschichte des Klos aufs Deutlichste ausmachen.
Um so gespannter ist der Leser auf ein Buch, das sich des komplexen Themas annimmt, das jüngst erschienen ist. Doch es enttäuscht auf ganzer Linie. Eine Unzahl von Film-Szenen ist da zwar zusammengekommen (und Tschirbs hat die großen Datenbanken im Netz noch nicht einmal berücksichtigt!) Eine wirkliche Ordnung der Beispiele ist aber nicht sichtbar. Dem Klo als dramatischer Ort – als Ort heimlichen Beischlafs, von Drogengeschäften, als Versteck und oft letzter Fluchtraum – ist das Klo als Ort der derben, oft infantilen Scherze der Teenie- und Gross-Out-Komödien untergemischt; immer wieder ist die Geschlechtertrennung angesprochen, ohne selbst aber je explizit zum Thema gemacht zu werden. Dem Klo als Ort des Horrors ist es als Ort des familiären Vertrauens entgegengestellt, ohne dass je klar würde, worin sich diese Ambivalenz begründen könnte. Oft ist eigentlich gar nicht vom Klo, sondern vom Exkrementieren – vom Pinkeln, vom Scheißen, manchmal auch vom Kotzen – die Rede. Zivilisationsgeschichte als ein Interpretament ist zwar am Anfang angesprochen, wird aber als Programm der Analyse nicht weiter verfolgt. Von Skatophilie oder Skatologie als älteren Formen des gesellschaftlich vermittelten Umgangs mit dem Fäkalen ist nicht einmal am Beginn die Rede. Schlimmer noch – die Darstellung kokettiert immer wieder mit dem Unziemlichen des Gegenstandes, manchmal gerät sie gar in die Nähe verdeckt-zotigen Sprechens. Ein Buch, das nie ein Lektorat erfahren hat (es hätte zumindest die zahllosen Nebenbemerkungen, die mit dem Thema nichts zu tun haben und wohl die Film- und Sachkundigkeit des Autors beweisen sollen, streichen müssen). Mit zahllosen Standbildern aus Filmen garniert, die oft kaum zu erkennen sind. Schade, dass ein so faszinierendes Thema so verschenkt wurde!
Philip Alexander Tschribs
Das Klo im Kino
Berlin: Lit 2007
292 Seiten (Paperback), 24,90 Euro
Prof. Dr. Hans J. Wulff