Das Imperium der Wölfe

Das Sprechen über Jean Reno ist immer auch das Sprechen über einen europäischen Ausnahmeschauspieler, der es in seiner Carriere zu einigem Ruhm und Ansehen gebracht hat – und das nicht unverdient. Auch wenn sein Hang zu zwielichtigen „Bullen-Figuren“ in den letzten Jahren nicht nachgelassen hat, muss man doch ohne weitere Einschränkung zugeben, dass dies auch genau die Art von Rollen sind, die dem mittlerweile in die Jahre gekommenen Reno wie auf den Leib geschrieben zu sein scheinen.

Das Imperium der W_1.jpgAuch in seinem hierzulande neuesten (wenn auch nicht aktuellsten) Film „L’impire de Loups“ (dt. Das Imperium der Wölfe), bei dem Chris Nahon Regie führte, gibt sich Reno wieder einmal die Ehre als abgehalfterter Polizist in der Figur von Jean-Louis Schiffer, den alle nur „le Schiffèr“, zu deutsch „den schmierigen Schiffer“ nennen. Der wegen seiner Gewaltexzesse vom Dienst suspendierte Schiffer hilft dem jungen Paul Nerteaux (Jocelyn Quivrin) bei der Aufklärung dreier Frauenmorde im Pariser Türkenviertel. Die Leichen der Frauen sind jedes Mal auf die gleiche grauenvolle Weise verstümmelt, doch die Polizei kann keine Hinweise finden, die zu dem Serienmörder führen. Schiffer nimmt mit seinen eigenen Methoden die Verfolgung auf und so gerät der Zuschauer in eine spannende tour de force durch die Pariser Zwischenwelt von Mädchenhandel, Prostitution, Erpressung und der Türkenmafia.

Zur selben Zeit verliert Anna Heymes (Arly Jover), die Frau eines hohen Beamten des Innenministeriums (Philippe Bas), ihr Gedächtnis und findet geplagt von üblen Wahnvorstellungen Zuflucht bei der Psychoanalytikerin Mathilde. Diese versucht ihr bei der Gedächtnisrekonstruktion zu helfen und verliert sich dabei in einem Labyrinth von Verschwörung, Täuschung und Intrigen, in dem geheime Forschungen und Manipulation nur die Spitze des Eisbergs bilden.

Der Film kommt zunächst wie eine spannende Milieustudie daher, die im Rahmen des Plots zwei augenscheinlich unvereinbare Gesellschaftsschichten zu vergleichen versucht. Es wird aber sehr schnell klar, dass dies nicht das Anliegen sein kann und somit scheitert dieser Eindruck dann auch an der Grenze des Actionfilms. Zu rasant wirken die Bilder und Eindrücke, so dass der Vergleich über kurz oder Lang zum zu hinken beginnt. Doch ist diesem Film über Gedächtnis und Schmerz eine interessante Weisheit implizit: Schmerzen erzeugen nicht nur Erinnerung oder lassen sich erinnern, sie sind auch abhängig vom kulturellen Umfeld, in dem sie erfahren werden. Was sich an Schmerzen zufügen lässt, ist gleichzeitig auch das, was an Schmerzhaftem im kulturellen Gedächtnis eingeschrieben steht. Unter diesem Aspekt ist „L’empire des Loups“ ein durchaus sehenswerter Film. Als die Erinnerungsspuren jedoch deutlicher werden und die beiden Handlungsstränge sich mehr und mehr zu verflechten beginnen, wird mit dem Geheimnis um Gedächtnis und Wahrheit auch der Tiefgang des Filmes „gelüftet“. Die Botschaft scheint nämlich leider eine andere zu sein: Wo Erinnerung und Schmerz sich kreuzen, da entsteht Gewalt.

Und plötzlich geht es um das alte Lied vom internationalen Terrorismus, um Macht und Drogen, um Geld; kein Gedächtnis, keine Schmerzen. Schiffer ist jetzt nicht mehr „Le Schiffèr“, sondern eine tödliche Kampfmaschine. Die Action übernimmt nun vollends die Regie und was eigentlich ein gelungener Film hätte sein können (die ersten zwei Drittel stehen dafür ein) scheitert leider an seiner misslungenen Conclusio. „L’empire des Loups“ platzt buchstäblich aus allen Nähten. Falls diese Verstümmelung (sowohl visuell als auch ideell) ein subversiver Akt gegen das Archivmedium Film sein sollte, so geht er leider durch seine allzu große Nähe zum Hollywoodkino verloren.

„Lempire des Loups“ steht auf dem Plan des diesjährigen Fantasy Filmfests (2005), was bei näherer Betrachtung nicht wirklich nachvollziehbar ist. Zugegeben: Der Anfang dieser Romanadaption lässt vieles vermuten, bloß nicht ein solches Ende. Bleibt der Blick auf Jean Renos Charakter-Gesicht, das gealtert ist wie ein guter Wein und das Gedenken an bessere Tage, in denen Luc Besson noch Regie führte und Hollywood noch weit entfernt davon war, eine schmerzhafte Erinnerung zu sein.

Das Imperium der Wölfe

(L’empire des loups, Frankreich 2005)
Regie: Chris Nahon; Drehbuch: Chris Nahon, Christian Clavier, Frank Olliver; Buch: Jean-Christophe Grangé; Kamera: Michel Abramowcz; Schnitt: Marco Cavé; Kostüm: Olivier Beriot; Musik: Olivia Bouyssou, Grégory Fougeres u.a.
Darsteller: Jean Reno, Arly Jover, Jocelyn Quivrin, Laura Morante, Philippe Bas, David Kammenos, Didier Sauvegrain
Verleih: Tobis Film GmbH & Co.KG
Länge: 128 min

Florian Reinacher

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