Coming-out

BLUTIGER SOMMER – DAS CAMP DES GRAUENS ist ein Vertreter der zweiten, schon abebbenden Welle des Slasher-Subgenres, jenes Genres, in dem promiske Teens für ihr sündhaftes Treiben von einem puritanischen Killer bestraft werden. Zur ganz großen Popularität eines FREITAG, DER 13. oder HALLOWEEN hat es zwar nicht gereicht, doch immerhin brachte es auch diese Reihe auf zwei Sequels (ein weiteres ist derzeit angeblich in Planung). Erzählt wird die Geschichte Angelas, die als Kind bei einem tragischen Unfall ihren Bruder verlor. So suggerieren es wenigstens die Bilder, die man zu Beginn des Films – genretypisch – als Rückblende dargereicht bekommt – der Kenner weiß diese Rückblende als Genese des Killers zu interpretieren. Acht Jahre später wird die neurotische, wenn nicht gar autistische Angela von ihrer Ziehmutter, der sich affektiert gebärdenden Tante, zusammen mit ihrem Cousin Ricky ins Camp Arawak verfrachtet. Schon während der Creditsequenz macht eine Kamerafahrt durch das entvölkerte Camp, die auf einem Schild mit der Aufschrift „For Sale“ endet, klar, dass dieser Urlaub ein böses Ende nehmen wird. Die Zeichen verdichten sich, die Mordserie lässt nicht mehr lange auf sich warten. Die Opfer haben alle eines gemeinsam: Kurz vor ihrem Tod trieben sie ihre bösen Scherze mit Angela, die aufgrund ihres zurückhaltenden und schüchternen Verhaltens bald schon zum Gespött des Camps wird. Ist sie der Mörder? Und wenn ja: Was ist der Hintergrund ihrer psychischen Disposition?

Die Inszenierung des 1983 gerade 25jährigen Regisseurs Robert Hiltzik reiht sich vordergründig in das dramaturgische Einerlei des Slasher-Kinos ein: Die Geschichte zwischen den Morden ist dünn, bietet jedoch für das anvisierte jugendliche Publikum reichlich Identifikationspotenzial und Dejá vus, wie etwa das an den Handlungsort aus der FREITAG, DER 13.-Reihe erinnernde Feriencamp oder die austauschbaren Teenie-Charaktere, die hier allerdings etwas jünger sind als in den Vorbildern. Bei genauerer Betrachtung eröffnen sich aber Details, die BLUTIGER SOMMER von seinen Vorbildern deutlich abheben. So ist das ständige Slasher-Film-Thema „Sex“, das meist keine erzählerische Funktion hat, außer der, ausgiebig Nackszenen präsentieren zu können und einen Vorwand für die zahlreichen Morde zu liefern, zwar als Wunsch in den Köpfen der Protagonisten allgegenwärtig, dieser Wunsch wird aber niemals erfüllt.

Die Stimmung, die Hiltzik einfängt, ist also keine der sexuellen Spiel- und Experimentierfreude, sondern eine der sexuellen Verwirrung (man beachte in diesem Zusammenhang auch die aus heutiger Sicht äußerst komisch anmutenden modischen Irrungen der Jugendlichen: vor allem die bauchfreien Muskelshirts und knappen Sporthöschen der männlichen „Jocks“ lassen Rückschlüsse zu, die sich zur damaligen Zeit sicher weniger aufgedrängt haben) und der pubertären Frustration: Cousin Ricky freut sich auf die seit dem letzten Sommer körperlich angeblich sichtbar gereifte Judy, doch diese bändelt viel lieber mit den älteren Jungs an. Beim Softballspiel legen die teilnehmenden Jungen ein heftiges Platzhirsch-Verhalten an den Tag: Niederlage bedeutet Kastration. Und nach einem harmlosen Streich zückt das Opfer gleich ein Messer, um seine Ehre zu verteidigen. Die Mädchen werden von den nur in Rudeln auftretenden Jungs zwar heftig umgarnt, doch bleiben diese Balzrituale folgenlos. Die erwachsenen Betreuer sind ebenfalls keine Vorbilder: Der eklige Koch will sich sogleich an Angela vergehen, der geldgierige Manager lässt sich von der Zicke Meg verführen, die in ihm einen willfährigen Partner sieht, um endlich zum heiß ersehnten Akt zu kommen. In dieser angespannten Atmosphäre fällt Angela, die am Gemeinschaftsleben und dem damit verbundenen Balzverhalten überhaupt nicht teilnimmt, völlig aus dem Rahmen und zieht dadurch sogleich das Misstrauen auf sich. Ihre Schüchternheit wird als Souveränität missverstanden, die nicht ungestraft bleiben darf. In Wahrheit leidet jedoch auch Angela unter ihrer Sexualität, denn sie ist – das ist der Clou des Films – gar kein Mädchen, sondern ein Junge, der nach dem Tod seiner Schwester von der Ziehmutter als Mädchen erzogen wurde.

Sexualität ist in SLEEPAWAY CAMP nicht bloß ein relativ beliebiger auslösender Reiz für den Mordtrieb, die gestörte Sexualität wird selbst zur Ursache für die Morde und so zum eigentlichen Thema des Films. Den völlig asexuellen Michael Myers und Jason Voorhees, für die Sex ja lediglich deshalb negativ konnotiert ist, weil sie ihn kausal mit der Vernachlässigung durch ihre Aufsichtspersonen verknüpfen, steht mit Angela ein Wesen aus Fleisch und Blut gegenüber. Die letzte Szene, die den Blick auf die vollkommen nackte, blutüberströmte Angela freigibt und ihr wahres Geschlecht offenbart, nachdem sie den ihr zugeneigten Paul enthauptet hat, der mit seinen Avancen vollkommene Verwirrung auslöste, darf als kleiner Höhepunkt des Horrorkinos der Achtziger gefeiert werden, weil er über den reinen Schockmoment hinaus Wirkung zeigt. Angela wird nicht zum entpersonalisierten Dämon und Racheengel stilisiert, sondern erhält eine Tiefe, die sie zum tragischen Helden erhebt.

In SLEEPAWAY CAMP ist also nicht das tolle Treiben leichtbekleideter Teens (auf der Leinwand) verdammens- und mordenswert, sondern im Gegenteil gerade der Wunsch, das Leben zu entsexualisieren. Nicht der, der Sex hat, muss sterben, sondern der, der sexuelles Verlangen unterdrückt, wird zum Mörder. Nicht Sex macht krank, sondern das Bedürfnis nach sexueller Entladung, das keine Befriedigung findet. Dies wird von Angela aber nur in der extremsten Ausprägung verkörpert. In den unablässigen Hahnenkämpfen zwischen den Campbewohnern äußert sich dieses Phänomen in seiner gesellschaftlich ritualisierten Version. Eine kleine reaktionäre Spitze kann sich aber auch Hiltzik nicht verkneifen: In einer weiteren Rückblende kurz vor Angelas spektakulärem Coming-out wird noch ein weiterer Grund für ihre sexuelle Verwirrung gezeigt: Als Kind hatte sie den Vater beim homosexuellen Liebesspiel beobachtet. Dass dieser homosexuelle Liebesakt der einzige erotische Moment des Films ist, scheint hingegen wieder in dessen Programm zu passen.

Blutiger Sommer – Camp des Grauens
(Sleepaway Camp, USA 1983)
Regie & Drehbuch: Robert Hiltzik, Musik: Edward Bilous, Kamera: Benjamin Davis, Schnitt: Ron Kalish, Sharyn L. Ross, Darsteller: Mike Kellin, Felissa Rose, Jonathan Tierston, Karin Fields, Christopher Collet u. a.
Länge: 81 Minuten
Verleih: American Eagle/United Film

Oliver Nöding

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