In seiner Studie „Blockbuster. Ästhetik, Ökonomie und Geschichte des postklassischen Kinos“ tritt Robert Blanchet der These entgegen, der kontemporäre Hollywoodfilm funktioniere nicht mehr nach den Stilprinzipien des klassischen Erzählkinos. Sowohl das im Blockbuster sich substantialisierende Kino der Attraktionen im Sinne von Filmen wie Twister oder Godzilla, als auch das mit metatextuellen Referenzen spielende postmoderne Kino, emblematisch verkörpert in Pulp Fiction oder Scream, stellen der Struktur nach keine eigenständigen neuen Modelle dar. Technische Innovationen der Tricktechnik waren immer schon integraler Bestandteil der Reattraktivierung des von konkurrienden Medien beanspruchten Publikums. Neuartige Effekte als Attraktionspotential waren und sind immer noch Strategien der Krisenlösung, die aber stets im Korsett klassischer Organiationsprinzipien sich zu bewähren haben bzw. erst durch diese im inneren Kontext des Films motiviert werden. Ebensowenig stellen die an ein durchblickerhaftes Publikum gerichteten, durch einen außerdiegetischen Referenten motivierten Doppelcodierungen des kontemporären Hollywoodfilms einen substanziellen Bruch mit dem klassischen Paradigma dar. Das Mittel der Doppelcodierung hat es beispielsweise schon in Form von parodisierenden Gags in zahlreichen Komödien der 40er Jahre gegeben. Zudem operieren diese Bezüge meist verdeckt und stellten sich dem „naiven Publikum“ somit als nicht weiter zu hinterfragende Elemente der Diegesis dar.
Was nun weist aber das kontemporäre Hollywoodkino als ein „postklassisches“ aus? Für Blanchet stellt der Begriff des postklassischen Hollywoodkinos eine „zumindest [..] hilfreiche historische Orientierungsmarke“ (Blanchet) dar, denn, dass es seit dem Ende der monopolistischen Studioproduktion Ende der 50er zu ästhetischen und ökonomischen Tranformationen gekommen ist, betont er ausdrücklich.
Auf Grundlage des neoformalistischen Ansatzes, welchen er im ersten Teil des Buches referiert, kommt Blanchet zu dem Schluss, dass, obgleich die grundsätzlichen Organisationsprinzipien der klassischen Filmerzählung weiterhin gelten, es zu Intensivierungen einzelner Stilmittel gekommen ist. So muss, auf Grund einer allgemein höheren Schnittfrequenz, der Zuschauer heutzutage viel schneller in der Lage sein, der Montage hinsichtlich ihrer Etablierung eines konsistenten diegetischen Raums zu folgen. Zudem erfordert der mittlerweile starke Einsatz selbstreflexiver Inhalte höhere Zuschauerkompetenz bezüglich der Einsicht in ästhetische Produktionsweisen der Kulturindustrie. Doch findet der Grad an Beanspruchung des Publikums seine Grenzen im ökonomischen Risikokalkül der Finanziers, die, wie im 2. (ökonomischen) Teil des Buches gezeigt wird, im Zuge des Produktionsmodus des „Package-Unit-Systems“ nicht mehr in einem individuellen Akteur identifiziert werden können. Der 3. Teil der Studie spürt, argumentationslogisch in einer Synthese der in den ersten beiden Teilen entwickelten Darlegungen, den jeweiligen ästhetischen und technischen Transformationen als Ausdruck ökonomischer Krisenlösungsstrategien Hollywoods nach. Besonderes Augenmerk widmet Blanchet dabei dem Blockbuster als exponiertester Form ökonomisierter Filmgestaltung. Im Gegensatz zu den ersten Blockbustern der Filmgeschichte wie Jaws oder Star Wars, welche retrospektiv als Zufallstreffer bezeichnet werden müssen, folgen die neueren Blockbuster dem „High Concept“-Produktionsstil. „High Concept“ Produktionen weisen eine vollkommen systematisierte Vermarktungsstrategie auf, bei der die Storys der Filme um selbsttragende Marketinghooks konstruiert werden. Insbesondere im Fall der Remakes und Sequels offenbart sich hier eine widersprüchliche Einheit von Differenz und Wiederholung, die das Vertraute in ewas Neuartiges überführen.
Die bisherigen Box Office Ergebnisse des Jahres 2003 bestätigen die Dominanz von Filmen, die vor allem um derartige „Pre-Sold Properties“ konstruiert sind. Sequels (The Matrix – Reloaded, X-Men 2, Terminator 3, Bad Boys 2), Comicadaptionen (Hulk, X-Men 2), die Adaption einer Vergnügungsparkattraktion (Pirates Of Carribean), ein Quasi-Remake (Bringing Down The House) sowie Filme mit einer leicht kommunizierbaren Grundidee wie Bruce Almighty („Jim Carey besitzt gottgleiche Kräfte“) oder Anger Managment („Adam Sandler geht bei Jack Nicholson (!) in Therapie“) bilden zusammen mit dem neuesten Pixarfilm (Finding Nemo) die bisherige Box Office Top Ten (Stand 22.9.).
Robert Blanchets überaus instruktives Buch versammelt stichhaltige Erklärungsansätze zur ästhetischen Produktion Hollywoods und dürfte in dieser, auch für Laien durchaus lesbaren Form, zumindest im deutschsprachigen Raum einzigartig sein.
Robert Blanchet
Blockbuster
Marburg: Schüren, 2003
274 Seiten, Paperback
19,80 Euro
Florian Bülow