Strange Circus

Das Verhältnis von Trauma und Film, diesen dabei zunächst verstanden als Medium und Form der Äußerlichkeit, ist prekär: Zwar mag es dem Filmbild obliegen, einen traumatisierenden Prozess als solchen optisch einzufangen; doch widerstrebt es dem zur Objektivierung neigenden Bild, das Trauma selbst, eine theoretische Figur der Verletzung, die sich Versprachlichung wie Aufdeckung immer wieder entzieht, zu fassen zu bekommen. Das Trauma lässt, zumindest in der psychoanalytischen Theorie, nur referenziell auf sich schließen, verbirgt sich hinter Schichtungen aus Verschiebungen und Verdrängungen, verweist immer wieder auf die Krypta im Seelenapparat, ohne aber einen Schlüssel mitzuliefern. Für das Trauma im Film heißt dies, eine Methode zu finden, die über bloße Repräsentation hinausgeht, die die Konstruktion einer verlässlichen Diegese womöglich in Permanenz unterwandert und den Prozess des storybuildings selbst – verstanden als das Verhältnis zwischen fabula (das Erzählszenario als solches, wie es sich objektiv-linear nachvollziehen ließe, ein dem Film tendenziell unäußerliches Abstraktum, das der Zuschauer selbst im Abgleich mit den filmischen Informationseinheiten herausbildet) und syuzhet (dessen dramaturgische Staffelung in der ästhetischen Einheit des Filmes selbst) – reflektiert. Strange Circus, der dritte Langfilm von Shion Sono, der bereits mit dem kontroversen Suicide Club für einiges Aufsehen sorgte, operiert genau in diesem Bereich.

Der Film schildert… … ja, was? Zumindest, und von Anbeginn kann da kaum Zweifel bestehen, keine verlässlich-äußerliche Abfolge von Erzähleinheiten. Die erste Sequenz zeigt einen bizarren Zirkus, zwischen Grand Guignol, klassischem Vaudeville, queer gathering im Sinne einer Rocky Horror Picture Show und Revue – ein Ort jenseits der eigentlichen Diegese; der Film findet weiters objektiv erscheinende Bilder, dann wieder mentale Bilder, die auf rein optischer Ebene innere Verfassungen wiederspiegeln, bald illustrativ-objektive, die ebenso innere Ansichten zu bieten scheinen, dabei aber nicht die Bildoptik selbst, sondern eine bizarr-surreale Setgestaltung – vor Blut triefende Wände beispielsweise – nutzen. Im Kern stehen drei Figuren: Die Mutter, der Vater, die Tochter. Es ist Mißbrauch von Vaters Seite im Spiel, in diesem Familienroman; in reichlich pervers arrangierter Form obendrein, die schon bald Zweifel an der Wahrhaftigkeit aufkommen lässt, zumal der Kommentar der mißbrauchten Tochter aus dem Off darüber schon bald die eigene sexuelle Entzückung und Frauwerdung kommuniziert. Es wirkt, bei aller Eindringlichkeit und Drastik, ein wenig zu erotisch verspielt, was da zu sehen ist, um wirklich wahr zu sein; ein wenig wie bei Sacher-Masoch liegt die Verzückung an der erotisch-entwürdigenden Anordnung in der Luft, das leicht schwülstige Element mit Transgression liebäugelnder erotischer Literatur. Lässt sich dem Erfahrungsbericht trauen? Was ging wirklich vonstatten? Welchen Status hatten die stilistisch so kunstvoll ausarrangierten Bilder wirklich? Es kam, so legt der Film nahe, schließlich zum Muttermord durch die Tochter, bei dieser nun zur schuldkomplex-beladenen Herausbildung einer zweiten Persona: Die Tochter ward zur Mutter und fand im Bild als solche Repräsentation noch im Schulalltag.

Der zweite Teil schlägt in der Tat, nach etwas setgestalterischer Verwirrung, eine andere Sichtweise vor: Es mag sich um die Visualisierung eines erotischen Romans einer einigermaßen bekannten wie spleenigen Autorin handeln. Die aber wiederum sieht der MutterTochter zum Verwechseln ähnlich. Ein zweifelhafter Fan sucht die Nähe zur Autorin, er will wissen, ob es sich um Autobiografisches handelt. Natürlich nicht, so die Autorin; doch der Film bleibt unklar und findet erneut shiftings und Verschiebungen, von einer Identität zu anderen, von einer Erzählperspektive zur nächsten. Bis das Szenario an sich, zumindest dem Anschein nach, in blutiger Anordnung, die den Bogen zur bizarren Manege des Beginn zu schlagen sucht, aufgelöst, die Erzähl- und Bildebenen aufgedröselt werden.

Bis dahin ist es ein langer Weg und ein gewisser Hang zur Ausstellung des eigenen Kunstkönnens und -wollens ist dem Film kaum abzusprechen; lange war zumindest ich gewillt, das ganze als prätentiös, arg überkonstruiert und selbstgefällig abzutun. Doch entwickelt der Film ohne Frage einen Reiz nicht so sehr durch einige, in der Tat überstark vorhandene, Brutalität und der generellen Lust am manschend Transgressiven, sondern vielmehr durch seine dann doch stets fokussiert vorgehenden Erzählmanöver, die es ihm gerade gestatten, eingangs geschildertes Problem unaufgeregt und mit einiger gewitzter Nasführung des Zuschauers zu bewältigen, die eben nicht auf Übertölpelung, sondern auf dessen gezielte Steuerung lenkt.

Die offensichtliche (und ich möchte sagen: sehr kundige) Einführung psychoanalytischer Theoreme in den japanischen Film ist dabei zum einen recht bemerkenswert (und in diesem Maße scheint mir das für das japanische Kino bislang auch einigermaßen einzigartig, entwickelt es seine Geschichten doch üblicherweise erfreulich „un-freudianisch“), zum anderen aber auch von Gewinn selbst: Anders als etwas ungelenk agierende westliche Filme wird hier nicht versucht, das ohnehin problematische Theoriegebäude mittels Narration als gültige Konstante quasi zu anthropologisieren; im Gegenteil wird über die Thematisierung von Narrativität und Erzähltaktiken, die sich sozusagen im Vorbeigehen ergibt, das narratologische Gerüst der Psychoanalyse selbst in den Vordergrund gestellt.

Strange Circus ist vielleicht kein mitreißender Film, zumal wenn man ihn vom Genre her begreift (und die Programmierung des Films an jener Stelle im Internationalen Forum, wo üblicherweise jährlich ein neuer, wenn auch gehobener Genreknaller aus Fernost zu sehen ist – sei es PTU oder die Infernal Affairs-Trilogie – legt dies zunächst nahe), in seiner künstlerischen Konzeption und Herangehensweise, die ihn irgendwo zwischen Kunst-Splatter und Filmessay verortet, zollt er, bei näherer Betrachtung, dann doch einigen Respekt ab.

Weiterführende Links:

imdb ~ weitere Informationen

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