Around the World in 14 Films – Little Baby Jesus of Flandr

Die drei heiligen Könige stapfen durch eine zeitlose Landschaft aus Wiesen und Wäldern – die Bilder sind schwarz-weiß und werden oft nur von Naturlicht erhellt, das Tempo der Handlung nähert sich dem Meditativen. Auf dem 2009er-Jahrgang von Around the World in 14 Films erfüllte Albert Serras El cant dels ocells (Birdsong) diesen Tatbestand – 2010 zeigt das selbe Festival Gust van den Berghes En waar de sterre bleef stille staan (Little Baby Jesus of Flandr), und wieder trifft die obige Beschreibung zu. Dennoch unterscheidet sich die Wirkung dieser beiden Filme zutiefst. Das mag an dem integrativen Experiment van den Berghes liegen, seinen Film fast ausschließlich mit vom Down-Syndrom betroffenen Menschen zu besetzen. Vor allem aber ist Little Baby Jesus of Flandr visuell so exzellent komponiert, dass sich der sedierende Effekt des Geduld-Tests namens Birdsong zu keinem Zeitpunkt einstellt.

Auf narrativer Ebene ist der Hochschul-Abschlussfilm des erst 25-jährigen Belgiers ein religiöses und doch anti-theologisches Bekenntnis. Wenn der Film die Weihnachtsgeschichte neu erzählt und das religiöse Erlebnis gezielt in das Milieu der einfachen, armen Menschen einbettet, dann geht es van den Berghe um den konkret erfahrenen Gott der Gläubigen – und nicht den Gott der Theologen, der sich in exegetischen Spitzfindigkeiten und intellektuellen Schachzügen versteckt (und damit von den kleinen Menschen entfernt). Van den Berghes Gott ist ein Gott des Herzens statt des Hirns, weil Religion zunächst einmal aus persönlichen Empfindungen, nicht rationalen Schlüssen besteht.
Natürlich kann der institutionalisierte Glaube diese Untergrabung seiner – auf dem exklusiven Zugang zu Gott basierenden – Autorität durch Laien nicht dulden und droht dem Erleuchteten mit Strafen. Der Prophet gilt eben nichts zu seiner Zeit, sondern wird von einer Welt, die auf Gott zu warten vorgibt und doch unfähig ist ihn zu erkennen, eher noch der Blasphemie bezichtigt.

Doch es ist weniger der Plot als der stilistische Esprit des Films, der Little Baby Jesus of Flandr trägt. Das extreme Widescreen-Format passt ideal zu der Aufmerksamkeit, die Kameramann Hans Bruch Jr. den desolaten, zeitlosen Schnee-und-Matsch-Landschaften schenkt. Die sich langsam einstellende Illusion des biblischen Zeitalters wird jedoch immer wieder ironisch gebrochen, wenn die Wälder und Felder sich in Totalen ebenso plötzlich wie überraschend als an Industriegelände und postmoderne Stadtbilder angrenzend erweisen.
Das Schwarz-Weiß, das den Eindruck einer längst vergangenen Epoche verstärkt, weiß der Film zu großem ästhetischen Gewinn einzusetzen – zwei Prozessionen verdeutlichen dies wunderbar: Einmal marschieren die Figuren auf einem Deich entlang – das Gegenlicht des Sonnenuntergangs reduziert die Menschen zu tiefschwarzen Schemen und Schatten, die sich in scharfem Kontrast von ihrer hellen Umgebung absetzen. Bei einer künstlich beleuchteten Nacht-Prozession wiederum wabert ein so gespenstischer Nebel durchs Bild, dass einem der Schreck des Kant’schen ‚Erhabenen’ noch im Kinosaal in die Glieder fährt.
Als schließlich der Teufel – weiblich, dunkelhaarig und Spanisch sprechend – auftaucht und einen der drei heiligen Könige verführt, findet der moderne Ausdruckstanz seinen Weg in diesen Film. Der white-cube-ähnliche Raum, in dem sich der ver- und entführte Weise nach Einwilligung in einen faustischen Pakt wiederfindet, ist von futuristischem Design (darunter ein nicht zufällig umgekehrtes Kruzifix) geprägt, das gerade in seinem extremen Gegensatz zu den archaischen Außenaufnahmen seine Wirkung entfaltet.

Angesichts dieser überbordenden visuellen Kraft ist es ein wenig schade, dass van den Berghe seinen oft genial komponierten Tableaus nicht genügend vertraut, sondern sie immer wieder durch eindringliche sakrale Orgelmusik dominieren, ja determinieren lässt.
Schließlich wird gerade vor dem Hintergrund der Reduktion – den schwarz-weißen Bildern, dem minimalistischen Plot – das enorme Talent sichtbar, das bereits im ersten Spielfilm-Anlauf zu einer so fantasievollen, eigenwilligen Formsprache findet. Wer Film als primär visuelles und erst sekundär auch narratives Medium versteht, der dürfte an den kontemplativen Bildkompositionen van den Berghes eine ähnlich stille, aber tiefe Freude empfinden wie sie auch die stilistisch verwandten Werke Bela Tarrs hervor rufen.

Little Baby Jesus of Flandr
(En waar de sterre bleef stille staan, Belgien 2010)
Regie: Gust Van Den Berghe; Drehbuch: Gust Van Den Berghe – basierend auf einem Buch von Felix Timmermans; Kamera: Hans Bruch Jr.; Schnitt: David Verdurme; Darsteller: Peter Janssens, Paul Mertens, Jelle Palmaerts
Länge: 74 Min.
Verleih: Minds Meet

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