Die Methode des Wahnsinns

In Brian De Palmas Filmen geht es immer um die Besessenheit und ihr Objekt – nicht selten eine geheimnisvolle und gefährliche Frau. Nicht umsonst tauchen diese beiden zentralen Elemente seiner Filme in Form von Filmtiteln bei ihm auf: „Obsession“ (deutscher Titel „Schwarzer Engel“) und eben „Femme Fatale“.

blackdahliareview.jpgSeit seinen frühen Hitchcock-Hommagen stellt er mit seinen Protagonisten meist zwei Konzepte von Besessenheit gegenüber: Der pathologischen Besessenheit einer männermordenden Frau begegnet stets ein Charakter, der seinerseits seinem Bild dieser Frauen verfällt. Hier kommt schon zum Ausdruck, dass De Palma immer auch sein Medium reflektiert. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Besessenheit seiner Protagonisten richtet sich auf das Sehen, den Voyeurismus. Immer wieder beobachten die Charaktere von De Palmas Filmen etwas und versuchen dieses Bild nachträglich zu rekonstruieren oder zu kontextualisieren, sie betrachten Filme, Bilder und lauschen Tonbandaufnahmen. Ob der Tontechniker Jack in „Blow-Out – Der Tod löscht alle Spuren“ einem Mordkomplott auf die Spur kommt, indem er Fotos zu einem Film zusammenschneidet, oder der Polizist Bucky Bleichert in „The Black Dahlia“ sich in das Filmbild des Mordopfers Elizabeth Short verliebt, im Film ist immer etwas enthalten, das sich aus der Realität nicht gewinnen lässt. De Palmas Filme sind Metafilme und das erklärt auch, warum sie als Thriller nur bedingt funktionieren. Die Kritiker seiner Filme werfen ihm immer wieder vor, seine Filme seien voller plotholes, die Charaktere nicht mehr als Abziehbilder, die Kunstfertigkeit seiner Inszenierungen verdecke lediglich die psychologische Plumpheit seiner Erzählungen.

  Auch über „The Black Dahlia“ schwebt dieses Urteil. Und betrachtete man ihn als Kriminalfilm, so wäre er tatsächlich eine mittlere Katastrophe. Doch wer dem Film dieses zum Vorwurf macht, verkennt, dass schon seine literarische Vorlage nur bedingt an der krimitypischen Suspense interessiert ist. Der Roman von James Ellroy, dessen Verfilmung schon vor rund zehn Jahren zum ersten Mal angekündigt wurde, benutzt den berühmten Mordfall aus den Vierzigern nämlich leidglich als Hintergrund, um ein Sittengemälde zu entwerfen und vom Ende einer Ära zu berichten. Für einen herkömmlichen Thriller gibt der Mordfall um die „Schwarze Dahlie“ ja schon allein deshalb nichts her, weil der Mord am Starlet Elizabeth Short nie aufgeklärt werden konnte. Die Auflösung von De Palmas Film bietet dann auch wieder die Extraportion Kintopp, die man von dem Ästheten erwarten durfte. Doch die Meriten seines Film Noir liegen ganz woanders, nämlich in seiner ausgetüftelten und verschachtelten Struktur, die alle wesentlichen Motive aus De Palmas Schaffen bündelt und das starre Korsett des Film Noir schier implodieren lässt.  

 
dahliacap.jpgDie beiden Hauptfiguren, die wackeren Cops Blanchard und Bleichert, tragen ihre Verwandtschaft schon im Namen mit sich herum und werden in ihren Boxkämpfen konsequenterweise als Mr. Fire und Mr. Ice angekündigt. Während der zunächst toughe Strahlemann Blanchard in den Wirren um den Mordfall jedoch völlig den Überblick verliert und sich in die Tablettenabhängigkeit stürzt, schafft es der ruhige Bleichert, die Distanz zu wahren und so schließlich den Mordfall zu lösen. Den beiden Helden gegenüber stehen die Objekte ihres Interesses, Blanchards Geliebte Kay und eben die „Schwarze Dahlie“ Elizabeth. Auch diese beiden präsentiert De Palma als Doppelgängerpärchen. Erstere ist mit den Initialien ihres ehemaligen Liebhabers, des Bankräubers Bucky DeWitt, gebrandmarkt: BD, was eben auch für „Black Dahlia“ stehen könnte. Als ständige sexuelle Versuchung steht sie zwischen den beiden Polizisten wie auch ihr alter ego, die vom silver screen herab ihren Einfluss geltend macht.

In „The Black Dahlia“ geht es um den Wahnsinn, der in Kohärenz zu De Palmas restlichem Schaffen als Trugbild beschrieben wird, das die Realität verdeckt. Dieser Wahnsinn plagt aber alle Protagonisten. Es ist letztlich nur eine Frage der Quantität, wann er beginnt, pathologisch zu werden. Diesem Thema wird De Palma durch eine gewohnt entfesselte Inszenierung und ein Drehbuch gerecht, dass seine eigentliche Geschichte bald völlig aus den Augen verliert, nur um wieder zu ihr zurückzukehren, als man schon gar nicht mehr damit gerechnet hat. Und es gibt wieder reihenweise dieser typischen De Palma-Momente, in denen man das Gefühl hat, der Magen rutsche einem bis in den Kopf. Hier seien nur der übergangslose und abrupte Wechsel in eine subjektive Perspektive und die unverkennbare Hommage an De Palmas eigene Treppensequenz aus „The Untouchables“ genannt.

Mit „The Black Dahlia“ kehrt De Palma zu alter Stärke zurück und liefert den neben Michael Manns „Miami Vice“ wohl interessantesten und spannendsten Mainstream-Film des Jahres ab.

 
(The Black Dahlia, Deutschland/USA 2006)
Regie: Brian De Palma, Drehbuch: Josh Friedman, Kamera: Vilmos Zsigmond, Musik: Mark Isham, Schnitt: Bill Pankow
Darsteller: Josh Hartnett (Officer Dwight "Bucky" Bleichert), Scarlett Johansson (Kay Lake), Aaron Eckhart (Sergeant Leland "Lee" Blanchard), Hilary Swank (Madeleine Linscott), Mia Kirshner (Elizabeth Short)
Verleih: Warner Bros.
Länge: ca. 121 Minuten

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