Wünsch dir was!

Am Anfang war tatsächlich das Wort. Besser gesagt: das Stichwort, das die Regisseurin Valeska Grisebach für ihre vorbereitende Recherche zum Film verwendet hat. In einer Reihe von Interviews mussten Männer und Frauen die Frage nach ihren unerfüllten Träumen und Wünschen beantworten, wobei all das, was man unter dem Begriff "Sehnsucht" versteht, zum Vorschein kommen sollte.

sehnsucht-poster.jpgDie aus den Gesprächen gewonnenen Erkenntnisse hat Grisebach dann in einem Film umgesetzt, in dem erstaunlich wenig geredet wird. Das liegt in der ersten Linie an ihrem schweigsamen Protagonisten, dem Dorfschlosser Markus (Andreas Müller), der sich in einer geselligen Männerrunde mehr mit seinem Glas als mit der Unterhaltung beschäftigt und die romantischen Liebesbekenntnisse seiner Frau Ella (Ilka Welz) lieber nonverbal mit einer festen Umarmung erwidert. Diese wortscheue Art wird bei Markus aber durch seine liebenswürdige, stattliche Erscheinung durchaus wettgemacht. Auch in seiner Schlosserei oder bei der freiwilligen Feuerwehr weiß er eher durch kompetenten Körpereinsatz als auf der verbalen Ebene zu überzeugen. Sein Schweigen scheint sogar sehr sympatisch in der Dorfwelt, in der die Sprache zu einer formlosen Geräuschkulisse verkommt und meist nur die performative Funktion bei diversen Gemeinschaftlichkeitsritualen erfüllt.

sehnsucht2.jpgEs ist bezeichnend, dass eine Liebesaffäre, in die Markus sich während einer Feuerwehrdienstreise in die nahegelegene Stadt stürzt, mit einer großen "stummen Szene" beginnt, in der sich vermutlich seine (nicht ausformulierte) Sehnsucht entlädt: Mehrere Minuten lang beobachten wir ihn betrunken sich auf der Tanzfläche zu Musik bewegen – ganz alleine, nur auf sich selbst bezogen. Am nächsten Morgen wacht er in der Wohnung einer fremden Frau auf. Die Einzelheiten sind durch den Alkoholrausch aus der Erinnerung gelöscht. Dadurch erhält die Beziehung vom Anfang an einen rätselhaften, ephemeren Beigeschmack, der den ansonsten bodenständigen Markus verwirren und gleichzeitig verführen muss. Doch Rosa (Anett Dornbusch) ist keine "femme fatale", und wenn sie ihrem Liebhaber rätselhaft erscheinen mag, dann nur weil auch ihr die Worte fehlen, um sich mitzuteilen. Auf seine nach langem Bedenken gestellte Frage, was zwischen ihnen wohl in dieser Nacht genau vorgefallen ist, kann sie nur verschämt lächeln. So kommunizieren sie fast ausschließlich mit verliebten Blicken und zärtlichen Berührungen. Und wenn Markus seiner Frau von dieser Affäre explizit nichts verrät, können wir ihm das nicht mal als eine Lüge anrechnen: Reden ist nun mal nicht seine Art, mit der Welt umzugehen.

sehnsucht1.jpgDas Schweigen wird jedoch zu einem Problem für seine Beziehung mit der Ehefrau, noch bevor sie erfährt, dass er tatsächlich etwas zu verbergen hat. Ella sehnt sich nämlich nach verbalen Zärtlichkeiten und gesteht ihrem Mann, davon zu träumen, dass sie beim Sex miteinander reden. Diese Vision bleibt aber unerfüllbar: Sein wohlgebauter Körper ist sein einziger Einsatz im Liebesspiel. Die Unmöglichkeit, den eigenen Gefühlen einen verbalen Ausdruck zu geben, macht ihn auch unfähig, die angestauten emotionalen Spannungen zu kanalisieren, was im Finale zu einer unerwartet dramatischen Wende führt. Der Film ist aber weit davon entfernt, eine psychologische Fallstudie zu sein. Der Regisseurin geht es vielmehr darum, in einer metaphorischen, parabelähnlichen Form die existenzielle Problematik zu berühren. Die grundsätzlich unzureichende Natur der Sprache steht dabei im Mittelpunkt: Wie sollen wir unsere Wünsche realisieren, wenn wir sie nicht formulieren können? Und wie können wir sie formulieren, wenn ihnen dadurch der ganze Zauber genommen wird?

In der Schlussszene des Films werden wir Zeugen einer lebhaften Unterhaltung, die die Vorfälle im Dorf noch einmal retrospektiv aufrollt. Endlich wird die Geschichte von Markus und seiner zwei Frauen zum Gegenstand einer verbalen Reflexion. Der Anspruch auf die Objektivität oder übergeordnete Gültigkeit entfällt aber von selbst, da alle Gesprächsteilnehmer Kinder sind, die all ihre Naivität unvermittelt in die Diskussion einfließen lassen. Das letzte abschließende Urteil fehlt, da sich keine adäquate Sprache findet, um es zu verkünden. 

Sehnsucht
(Deutschland 2006)
Regie & Buch: Valeska Grisebach; Musik: Raimund von Scheibner; Kamera: Bernhard Keller; Schnitt: Bettina Böhler
Darsteller: Andreas Müller, Ilka Welz, Anett Dornbusch, Erika Lemke u.a.
Verleih: Piffl
Länge: 85 Minuten

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