Der Berg ruft

Slasher- und Backwood-Film passten seit jeher gut zusammen, auch wenn das Slasher-Genre noch in tiefem Schlummer lag, als John Boorman mit BEIM STERBEN IST JEDER DER ERSTE das Genre des Backwood-Films aus der Taufe hob. In seinem Klassiker wird die Hybris chauvinistischer Städter, die sich als die Gralshüter von Vernunft und Fortschritt wähnen, durch das schlechte Gewissen Amerikas bestraft, der Bevölkerung des Hinterlands, das von den Protagonisten für einen Wochenendtrip auserkoren wurde. Der Trip ins Naturidyll wird zum Albtraum.

Die höhere Bedeutungsebene von Boormans Film erschließt sich, wenn man ihn als (deutliche) Allegorie auf den Vietnamkrieg versteht, eine Lesart, die sich bei vielen Filmen dieses Genres anbietet. Der Backwood-Film lässt sich aber allgemeiner auch als moderne Antithese auf den klassischen Western lesen, in dem der Pioniergeist stets Ausdruck von Tapferkeit und Unternehmergeist ist, Eigenschaften, die am Ende mit der Ankunft im gelobten Land belohnt werden. Im Backwood-Film ist der Pioniergeist von einst zur Pose geronnen und wird bitter bestraft.

Dass viele der späteren Slasher-Filme ebenfalls das Hinterland als Kulisse für ihre Schauermär von Schuld und Sühne wählen, ist kein Zufall. Mit dem Slasher schlägt dort immer auch ein Stück verklärter Natur zurück, und mit ihr das, was nicht vom Wirtschaftsboom und dem Prozess der Zivilisation erfasst wurde und „zurückblieb“. Die belächelten oder gar als Kuriosum begafften „Hinterwäldler“ (siehe etwa HOUSE OF 1000 CORPSES) dulden den Urlauber-Kolonialismus jedoch keinesfalls bedingungslos. Und in den Wäldern und Bergen hört niemand die Schreie der Opfer …

Genrefilmer Jeff Lieberman lieferte mit BLUTIGE DÄMMERUNG 1981 den wohl deutlichsten Schulterschluss von Slasher- und Backwood-Genre. Programmatisch beginnt sein Film dann auch mit dem beeindruckenden Naturpanorama eines Sonnenaufgangs über den Bergen Oregons, vor dem sich auf der Tonspur äußerst einprägsames Vogelgezwitscher und der düstere Synthiescore von Brad Fiedel vermischen und so schon vom Zusammenprall von Zivilisation und Natur künden. Auch aus der unmittelbar folgenden Sequenz lässt sich dieses Thema filtern: Zwei Männer treiben sich in einer verfallenen Holzkirche im Wald herum. Einer der beiden (Mike Kellin) gönnt sich einen Schluck aus dem Flachmann, blickt zu einem Loch im Dach der Kirche, das den Blick auf die umstehenden Baumwipfel freigibt, und richtet spöttisch sein Wort an Gott. Als er sich kurz ab- und dann wieder dem Loch zuwendet, blickt von dort eine bedrohlich aussehende Kreatur auf ihn herab. Schickt Gott seine unmittelbare Strafe für den blasphemischen Spötter oder ist es eine Ausgeburt der Natur, die den Säufer anstiert? Auch in der Folge, wenn der Killer wie ein Schwein quiekend sein blutiges Handwerk verrichtet, scheint sich zu bewahrheiten, dass die Natur in personifizierter Form zurückschlägt.

Doch der krasse Dualismus von Natur und Zivilisation beruht natürlich auf einer Verdinglichung beider Seiten, ein Prozess, der vor allem in der Romantik eingeleitet wurde. So finden sich immer wiedert bildliche Hinweise darauf, dass das Abstraktum „Natur“ eben nur ein solches ist. So zum Beispiel, wenn der als Naturbursche alter Prägung charakterisierte Roy (George Kennedy) sich rührend um eine Topfpflanze kümmert und dabei sagt, dass man „nature’s delicate balance“ niemals stören solle. Nach den Eingangsbildern ist diese Aussage unmissverständlich als Schlüsselsatz erkennbar, widerspricht jedoch ebenso deutlich dem gebotenen Bild. Die „Natur“ ist ja längst gebändigt, verwertet und urbar gemacht. Kaum ist der Satz ausgesprochen, beginnt Roys Pferd zu scheuen, weil ein Auto mit lautstarker Musik heranrast: Es sind die Protagonisten, fünf Städter, die zu einem Stück Land in den Bergen wollen, dass laut einer Urkunde Warren (Gregg Henry) gehört. „The mountain can’t read“ sagt Roy, warnt die jungen Leute vor einer undefinierten Gefahr, lässt sie aber schließlich ziehen.

Bald schon treffen sie auf den Säufer, der wirres Zeug von einem „demon“ und „mountain“ stammelt und diese Worte wenig später gegenüber Roy in Zusammenhang bringt: Ein „demon built like a mountain“ habe ihn angefallen. Wieder wird der Zuschauer dazu gedrängt, zu glauben, es sei die Natur selbst, die ihren Henker schickt – dass ein Säufer diese Überzeugung vertritt, sollte zu denken geben. Diese Startegie verfolgt der Film gerade in der ersten Hälfte, in der unzählige Dialogzeilen die Rache der Natur an den Eindringlingen geradezu herbeischreien. Und tatsächlich nimmt diese Natur auch im Bild mehr und mehr bedrohliche Züge an: Die Protagonisten werden von den sie umgebenden Bäume und Bergen regelrecht verschlungen oder aber an den Bildrand gedrängt. Und der fleischgewordene Berg, der sich als der durch Inzucht degenerierte Sohn einer Hillbilly-Familie entpuppt, ist längst unterwegs, um die Städter zu bestrafen.

Doch dieses Monster ist keinesfalls die Verkörperung „reiner Natur“, vielmehr zeigt sich in seiner Gestalt, dass die Natur auch an ihrem entlegensten Fleck bereits vom Menschen korrumpiert ist. Die Inzucht, deren Produkt der es ist, ist nämlich nicht Symptom eines vorzivilisatorischen Urzustands, sondern im Gegenteil Ausdruck eines besonders rigiden Gesellschaftssystems, dem in der Einöde keine reglementierenden moralischen Fesseln angelegt werden konnten: dem rücksichtslosen Patriarchat. Das verdeutlicht das Zusammentreffen der Protagonisten mit der Hillbily-Familie: Der Vater hat – so steht zu vermuten – seine Tochter zur Frau genommen und mit ihr neben den mordenden Söhnen eine weitere Tochter gezeugt, die den Überlebenden am Ende zu Hilfe kommt (wie in HÜGEL DER BLUTIGEN AUGEN). Es ist eben nicht eine wie auch immer geartete Form von „Natur“, die sich in dieser Familie Ausdruck verschafft hat, sondern menschliche Bösartigkeit. Dass der Vater mit dem Gewehr vor den Protagonisten steht, bloß weil diese zu laut Musik gehört haben, qualifiziert ihn jedenfalls auch zum Leben in einer beliebigen amerikanischen Großstadt.

Auch auf der Figurenebene vertreten die beiden Frauen zunächst den krassen Dualismus, den Lieberman im Verlauf des Films immer wieder als Konstrukt enttarnt. Auf der einen Seite die hedonistische Megan (Jamie Rose), die ihre Sexualität sehr offen zur Schau stellt und so die vermeintlich „amoralische“ Zivilisation vertritt; auf der anderen Seite Constance (Deborah Benson), die sehr typisch als Heilige und Jungfrau charakterisiert wird: ungeschminkt, schüchtern und von unterschwelliger Sinnlichkeit. Aber nach einem für sie traumatischen Angst- und Unvollkommenheitserlebnis beginnt sie „aufzublühen“. Zunächst macht sie bei den kleinen Flirts am nächtlichen Lagerfeuer noch verhalten mit, später lackiert sie sich die Nägel, nur um dann im Showdown völlig geschminkt dem „demon“ gegenüberzustehen und diesen zu erdrosseln, indem sie sich rittlings auf ihn setzt und ihm ihren Arm tief in den Schlund rammt. Eine Tötung, die leicht als sexueller Akt zu dechiffrieren und so als Gegenentwurf zum Ende von Scotts ALIEN zu verstehen ist. Es ist letztlich die Verquickung beider Prinzipien, die den Dämon besiegt, kein Reinheitsentwurf. Damit hebt sich BLUTIGE DÄMMERUNG deutlich vom puritanischen Slasher-Film ab und bebildert eine Natur, die ihre Reinheit längst unrettbar verloren hat.

Blutige Dämmerung
Just before Dawn (USA 1981)
Regie: Jeff Lieberman, Drehbuch: Mark Arywitz, Jeff Lieberman, Kamera: Dean King, Joel King, Musik: Brad Fiedel, Schnitt: Robert Q. Lovett
Darsteller: George Kennedy (Roy McLean), Mike Kellin (Ty), Gregg Henry (Warren), Deborah Benson (Constance), Chris Lemmon (Jonathan)
Verleih: Apollo/Avis
Länge: 90 Minuten

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