Bella Martha

Na, diesen Film, der aus der Fülle ähnlicher nett daher kommender Fernsehfilme nicht besonders hervorsteche, hätte man auch unter vielen im ZDF-Samstagsabendprogramm zeigen können, war damals in der örtlichen Presse zu lesen. Harmloses Geschichtchen mit ein bisschen Pasta? Sehenswert ist der Film allein schon wegen Martina Gedeck. Und was ist eigentlich gegen gute Samstagsabend-Fernsehunterhaltung zu sagen?

Martha (Martina Gedeck) arbeitet an sechs Tagen die Woche in dem französischen Restaurant Lido als Chefköchin. Sie hat einiges auf dem Kasten und Kochen ist nicht nur ihr Beruf. Aber Martha ist allein, hat kaum Freunde. Der einzige Bezugspunkt außerhalb der Restaurantküche ist ihre Schwester. Doch die stirbt eines Tages bei einem Verkehrsunfall und hinterlässt ihre achtjährige Tochter Lina (Maxime Foerste). Der Vater von Lina lebt schon lange wieder in Italien, ist verheiratet und hat Kinder. Lina kennt ihn nicht einmal.

Marthas Leben gerät aus den Fugen. Denn nun ist sie für Lina der einzige Bezugspunkt. Und da sie überhaupt keine Erfahrungen mit Kindern hat, zumal in einer solchen Situation des Verlusts der Mutter, ist sie überfordert. Sie verspricht Lina, deren Vater ausfindig zu machen. Marthas Chefin stellt kurzerhand einen zweiten ausgezeichneten Koch, den Italiener Mario (Sergio Castellitto) ein. Martha ist entsetzt. Das einzige, was für sie bislang bedeutend war, ihre Stellung als angesehen Chefköchin, scheint sie auch noch zu verlieren. Doch Mario hat keine Absicht, Martha ihre Stellung streitig zu machen. Er bringt es sogar fertig, dass die kleine Lina, die aus Trauer und Schmerz kaum noch etwas zu sich genommen hat, wieder isst …

Sandra Nettelbeck erzählt eine feinfühlige, ruhige, farbenprächtige Geschichte, die vor allem von der Hauptdarstellerin Martina Gedeck zehrt. Wenn sie anfangs des Films mit ihrer Schwester telefoniert, um sie und Lina zum Essen einzuladen, ein Bein hinter dem anderen verschränkt, darauf hoffend, dass ihre Schwester kommt, kann man förmlich spüren, was in Martha vor sich geht. Ob Martina Gedeck beim Therapeuten über ihre Probleme mit der scheinbaren Konkurrenz Mario redet, verzweifelt ist angesichts ihrer Unkenntnis, mit ihrer Nichte umzugehen, richtig gegenüber dem Kind zu reagieren, in der Küche steht und man ihr an Mimik und Gestik ansieht, was sie denkt – sie spielt diese Martha einfach großartig, warmherzig, realistisch und voller Sympathie.

Dabei ist »Bella Martha« Liebesgeschichte, Drama und Komödie zugleich. Auch Sergio Castellitto mimt einen einfühlsamen, hinsehenden, das heißt vor den Problemen in Küche und daheim nicht weglaufenden Mann. Den Film prägt eine unglaubliche Behutsamkeit, die sich als roter Faden durch die Probleme von Trauer, Einsamkeit und Liebe hindurch zieht und die Knoten verschiedener Konfliktknäuel vorsichtig löst. Die Zubereitung der feinen Speisen steht sinnbildlich für diese Zärtlichkeit und Behutsamkeit (und macht Appetit). Martha merkt in ihrer angenommenen Unwissenheit bezüglich Linas Situation zunächst gar nicht, dass sie (fast) alles richtig macht, und dass das, was sie falsch macht, die üblichen, nicht tragischen Fehler sind, die nun mal dazu gehören. Erst als Linas Vater das Kind abholt, ist Martha bewusst, dass sie längst so etwas wie eine zweite Mutter für Lina geworden ist. Der Vater, Mario, steht natürlich auch schon in den Startlöchern.

Sandra Nettelbecks Geschichte scheint einfach gestrickt, locker und leicht inszeniert, wie ein Märchen mit gutem Ausgang. Doch die Leichtigkeit, die da so sanft und betulich durch den Film schwingt, ist genauso schwierig zu leben wie das vorzügliche Essen, das dort gezaubert wird, in null Komma nix zu haben ist.

Eine wärmende, appetitauslösende, schöne Geschichte, in der vor allem Martina Gedeck in einer subtil-bezaubernden Weise Sympathien für das Beziehungsgeflecht schafft, das sich da auftut – ein durchaus realistisches Großstadtmärchen über die Bedeutung von Behutsamkeit in unseren Beziehungen. Und Märchen brauchen wir schließlich alle manchmal.

Bella Martha
Deutschland, Österreich 2002, 109 Minuten
Regie: Sandra Nettelbeck
Hauptdarsteller: Martina Gedeck (Martha), Sergio Castellitto (Mario),Maxime Foerste (Lina),
Sibylle Canonica (Frida), Katja Studt (Lea), Idil Üner (Bernadette),
Antonio Wannek (Carlos), Oliver Broumis (Jan), August Zirner (Therapeut), Ulrich Thomsen (Sam)

Ulrich Behrens

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