Endlich!

Welch eine bewegte Geschichte: bereits in den Sechzigern geplant, immer wieder verschoben, von Produzenten verworfen, weiter und weiter konzipiert, immer wieder angekündigt, stets präsent, bis endlich – endlich! – in den späten Achtzigern in Italien unter äußerst zweifelhaften Produktionsbedingungen die erste Klappe fallen konnte. Ein Kind, geboren aus Leidenschaft und totaler Hingabe. Kinskis persönlichster Film, sein Vermächtnis, den eigenen Tod vorausahnend, an die eigene Biographie angelehnt, diese dennoch mythisierend, all das und darüber hinaus ein Stück europäischer Filmgeschichte. Entstehen konnte der Film, dessen war sich Kinski sicher, nur in Italien, jene Filmnation mit einer ganz eigenen Affinität zum Film und dessen Schaffungsprozess. Und in der Tat: der Film wirkt wie das in einem einzelnen Produkt kulminierte europäische Kino der 60er bis 80er Jahre: klassischer Autorenfilm, der Trash-Appeal der goldenen Ära der Co-Produktionen von Franco über Wendtland hin zu Joe D’Amato, Softpornographie, manische Kunst, all das in einem vereint. Ein Abgesang gewissermaßen – dass er Venedig, irgendwie immer auch Sinnbild des alten Europas, wie kaum ein zweiter Film in Szene setzt passt da nur zu gut.

Ein Film, der in sich solch bewegte Geschichte vereint, hat es eigentlich kaum noch nötig, eine eigene zu erzählen. Warum auch, wofür? Alles an diesem Film ist bereits Legende, bedient sich klassischer Stoffe, verhandelt Mythen neu. Paganini, Kinski, die europäische Kino-Tradition, Venedig, Musik als Aphrodisiakum, der Künstler gegen die Wächter der Moral, der Künstler, der sich selbst für seine Passion zugrunde richtet – eine Ausformulierung ist nicht nötig, es reicht das Zitat, die Andeutung, das Zeichen. Auf was es ankommt, ist das Verschmelzen dieser Zeichen und nicht deren kohärente Einbettung in ein narratives Ganzes. Klassisch erzählt wird wenig in diesem Film, er versteht sich eh als Akt der Selbstinszenierung der Zwitterpersönlichkeit Kinski-Paganini, die dem Film seinen Namen gab, als ausgeschmücktes Bild – ein Panorama mit Details, Bildnis einer Persönlichkeit im Widerstreit mit ihren eigen Lüsten, den Widrigkeiten und den Leidenschaften.

Nun ist der Film Jahre später nun auch endlich – endlich! – auch regulär in die Kinos gekommen, eine Auswertung auf VHS wurde ihm ebenfalls – einem passionierten Kinski-Anhänger sei Dank! – gegönnt. Die Fans und Anhänger Kinskis pilgerten zuhauf in die Kinos, kauften die Edition – ein Stück traurige Filmgeschichte wurde wieder gut gemacht. Obwohl ein kleiner Stich geblieben ist: die „versione originale“, wie Kinski seinen eigenen, persönlichen Cut zu nennen pflegte, galt als verschollen, unauffindbar, auf ewig verloren. Das, was in den Kinos zu sehen gewesen war, war lediglich die von den Produzenten entschärfte und umgeschnittene Fassung des Filmes. Besser als nichts, zugegeben, und auch in dieser Fassung wirkt KINSKI-PAGANINI noch immer als das opulente Gemälde, das es ist, noch immer lebt der Film von der ungeheuren Präsenz Kinskis, die in diesem Film wie in kaum einem zweiten zu spüren ist, doch der krönende Abschluss der langen Odyssee dieses Ausnahmefilms ist es (noch) nicht gewesen und sollte auch weiterhin auf sich warten lassen.

Doch vor kurzem war es dann soweit, eine kleine Sensation machte die Runde in der Filmwelt: In Kinskis umfangreichem Nachlass wurde doch in der Tat noch eine erhaltene Arbeitskopie der „versione originale“ gefunden, komplett geschnitten und mit Ton unterlegt – ein Schatz der Filmgeschichte, der erfolgreich geborgen wurde. Eine Auswertung auf DVD, eh schon lange fällig, bot sich da nur noch dringender an. Jedoch scheint die Odyssee symptomatisch für diesen Film zu sein, interessierten sich doch immer wieder Labels für den Film, sprangen aber – oft wegen geringfügiger Kleinigkeiten wie Differenzen hinsichtlich der Covergestaltung – wieder ab. Mit spv hat sich nun ein noch unbeschriebenes Blatt in der Welt der DVD-Labels gefunden, welche der langen Reise dieses Films nun endlich – endlich! – ein würdiges Ende bereitete: seit 03. Februar liegt KINSKI-PAGANINI auf DVD vor. Ungeschnitten. Und in der „versione originale“. Wenige Wörter, sicherlich, doch erzählen sie viel von Passion und der Crux eines unvergleichlichen Künstlers.

Es ist ein schönes Set geworden, das kann man vorab festhalten. Neben dem lange schon herbeigesehnten Kinski-Cut befindet sich auf der ersten dieser zwei DVDs die reguläre Kinofassung – interessant, ja, danke auch, aber die kennt man schon, also weiter! Das augenscheinlichste an der „versione originale“ ist die geänderte syntaktische Struktur des Filmes – so beginnt der Film schon mit komplett anderen Sequenzen als die bisher bekannte Fassung und besticht auch im weiteren Verlauf durch eine andere Montage der einzelnen Elemente. Ferner ist sie um ca. 12 Minuten länger, ergänzt durch expliziteres Material, das Kinskis künstlerische Manie, seinen Willen, ein umfassendes Portrait seiner eigenen Dämonen, die ihn ritten, auf die Leinwand zu zaubern, noch drastischer und intensiver zu illustrieren weiß. Doch bei aller Freude, die die schlussendlich ermöglichte Verfügbarkeit dieser Schnittversion bereitet, muss auch gesagt werden, dass es sich hierbei um eine Auswertung einer Arbeitskopie handelt, die gewohnten Bild- und Tonstandards natürlich beileibe nicht das Wasser reichen kann. Da es sich aber vermutlich um die einzige Möglichkeit handelt, den Film überhaupt in der vom Schöpfer konzipierten Version zu sehen, sollte dieser Aspekt kaum eine Rolle spielen – der filmhistorische Gewinn übertüncht solch Kleinigkeiten mit Leichtigkeit. Schade nur, dass spv der „versione originale“ – aus welchen Gründen auch immer – keine deutsche Untertitelung gegönnt haben, wohingegen doch die Kinofassung – eine deutsche Synchronisation liegt nicht vor, eine nachträglich angefertigte wurde uns zum Glück ebenfalls erspart – mit einer solchen aufwarten kann. Die altbekannte Version liegt indes in einer absolut befriedigenden Bild- und Tonqualität vor, wenn auch die Möglichkeiten einer DVD nicht vollends ausgereizt wurden.

Auch was die Extras angeht, werden die zahlreichen Anhänger Kinskis reich belohnt: mit „Gewaltig – Erinnerungen an Klaus Kinski“ bekommt man einen netten, anekdotenreichen Einblick in die Bedingungen der Produktion von KINSKI-PAGANINI, eine schöne Bildergalerie mit allerlei seltenen Aufnahmen und Erinnerungsstücken sowie den Original-Kinotrailer präsentiert. Auf der DVD der „versione originale“ befinden sich als Bonus knapp 50 Minuten Rohmaterial, welches zum Teil in keiner der beiden vorliegenden Versionen Verwendung fand oder umgeschnitten ist. Mit „Kinski dreht Paganini“ gibt es ferner eine Art Making Of, das seinen Namen im Gegensatz zu den meisten anderen Vertretern dieses Genres auch in der Tat verdient. So erhalten wir in knapp 50 Minuten vielfältige Eindrücke von den Dreharbeiten und erleben den Schaffungsprozess – unter anderem Kinski auch an der Kamera – dieses außergewöhnlichen Filmes mit. Auf einen altklugen Kommentar oder ergänzende Hinweise wurde verzichtet, die Bilder und Impressionen sprechen für sich und Kinskis Arbeitsweise am Set. Die legendäre, wenn auch sehr kurze Pressekonferenz in Cannes, in der Kinski das Gremium des Festivals wüst wegen deren Verweigerung, KINSKI-PAGANINI ins Festivalprogramm aufzunehmen, beschimpft, rundet die DVD gelungen ab.

Unterm Strich herrscht Begeisterung. Begeisterung für den Film, das sowieso, aber vor allem auch Begeisterung für diese filmgeschichtlich ungemein wichtige Edition der „versione originale“, die nun endlich – ich wiederhole mich ja nur ungern, aber dennoch: endlich! – ihren Weg in die weite Welt gefunden hat. Zum Glück waren Freunde des Kinski’schen Schaffens am Werk, so dass man mit dieser Edition eine im Gesamtbild vollkommen zu überzeugen wissende im heimischen Regal unterbringen darf. „Was mich interessiert ist, daß das Kinopublikum meinen Film sieht. Der Kampf um den Verleih meines Filmes wird nicht eher enden, als bis die ganze Welt Kinski Paganini sehen kann.“, schrieb Klaus einst im 3. Teil seiner Autobiographie „Kinski-Paganini“. Wenn es einen Himmel gibt, dann lächelt Klaus gerade. Es sei ihm gegönnt.

Kinski Paganini
Italien, 1988
Regie, Drehbuch, Schnitt: Klaus Kinski
Kamera: Pier Luigi Santi
Darsteller: Klaus Kinski, Nicolai Kinski, Debora Kinski,
Dalila Di Lazzaro, Tosca D’Aguino, Eva Grimaldi, u.v.a.

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