Brothers of the Head

Keith Fullton und Louis Pepe sind eigentlich Dokumentarfilmer, und auf diesem Gebiet haben sie ein Händchen für Ausgefallenes: Lost in La Mancha etwa, mit dem sie sich bereits einen guten Namen machten, ist eine eigenwillige Doku über einen gescheiterten, da nicht vollendeten Film von Terry Gilliam, ansonsten machten sie anhand recht eigentümlicher Making-Ofs von sich reden.

Bei diesem Hintergrund wundert es nicht, dass das fiktionale Spielfilmdebüt der beiden nun ausgerechnet in Form einer Mockumentary daherkommt, jenes diffusen Genres also, das narrative und ästhetische Charakteristika der klassischen Dokumentation deckungsgleich bei allerdings voll geskriptetem und inszeniertem Gegenstand imitiert und dabei die kulturelle Konstruktion von vermeintlich für Wahrhaftigkeit bürgenden Merkmale der Doku in den Vordergrund rückt.

Wobei, letzteres gerade ist eigentlich nun nicht das Ziel von Brothers of Head, es wäre auch zu banal, da längst von anderen Beiträgen des Genres erledigt und als allgemeine Erkenntnis etabliert; in der Tat will der Film erzählen, dies nur eben anhand anderer Erzählformen als den üblichen. Es geht um die Herausbildung einer spannenden, durchaus dramatischen, zum Ende hin tragische Geschichte eines siamesischen Zwillingspaars, zwei am Rumpf miteinander verwachsene Brüder in den 70er Jahren in Großbritannien, die musikalisch zwar nicht sonderlich talentiert sind, an jener historischen Bruchstelle aber, wo Beat und Rock zum Punk umschlugen, ihre freakishness auf die Bühne holten und für wenige Monate Ruhm und stardom einfuhren, dabei vielleicht sogar Punk Rock den initialen Kickstart mit auf den Weg gaben. Natürlich kommen Drogen und Frauen ins Spiel, Konflikte überschatten den Ruhm, Rausch, Schweiß und Stromgitarren allenthalben.

Brothers of Head beginnt wie ein Spielfilm; karges, britisches Hinterland, knapp knadrierte, stilisierte Einstellungen, ein Rechtsanwalt tritt auf, nähert sich einem kleinen Farmhaus, man meint das spröde Klima förmlich auf der Haut zu spüren. Doch bald ist da ein Bruch, das Filmteam rückt ins Bild, man bekommt zu sehen, was man im Spielfilm allenthalben sehen könnte, würde es in der abschließenden Montage nicht auf dem Boden des Schneideraums landen. Es gab zu sehen, so stellt man schließlich fest, einen Ausschnitt aus einem seinerseits unvollendeten Film von keinem geringeren als Ken Russell über die beiden Zwillinge, er selbst tritt auf, in klassischer talking head-Fernsehinterview-Ästhetik, und berichtet von der Faszinationskraft des Stoffes der beiden Punkrock-Freaks, er spricht von „loss and exploitation of innocence“ und gibt zu bedenken, dass der Stoff „overall pretty gothic“ sei. Anderes footage taucht auf, in den 70ern soll auch eine Doku über die beiden gedreht worden sein, ebenfalls unvollendet. Zeitzeugen halten ihr Gesicht vor die Kamera, Materialästhetikwechsel allenthalben.

Gerade hierin zeigt Brothers of Head sein ungemeines Geschick: Es gelingt ihm, Flair wie Wehmut alter Materialästhetik noch bis in den einzelnen Farbklecks hinein zu simulieren, im Verbund mit gerade eben nicht auf postmoderne Nostalgie abzielender Ausstattungsästhetik ergibt sich ein seltsam flirrendes Gesamtbild, das mithin auch Bündnisse eingeht mit der Avantgardekonzeption eines Stan Brakhage und dem 70er queer cinema.

Das Ergebnis ist nichts weniger als mitreißend. Die Betonung des frühen Punk Rock des Abnormen und des Hässlichen, ja geradewegs dessen Affirmation, wie die der Selbstzerstörung und des Rauschs einer rigorosen Körperlichkeit jenseits von Hippie-Befindlichkeit und -Sanftmut, daraus folgernd nicht zuletzt die Affinität der zumindest frühen Punk-Bewegung zur künstlerischen Avantgarde in den Metropolen erfährt hier eine kongeniale Emblematisierung im Bild der beiden miteinander verwachsenen Zwillinge, die auf der Bühne ihr Ausgegrenztsein final durch Zurschaustellung überwinden. Ein verheißungsvoller Ruch von Utopie liegt über diesem Film, repräsentiert nicht zuletzt durch den wahrhaft mitreißenden, eigens geschriebenen Score von Clive Langer , der den frühen Punk in all seiner Rohheit und Unbändigkeit zu fassen kriegt, gemischt vielleicht mit der etwas melodramatischen Wehmut, das es für diese Utopie, aus heutiger Perspektive, immer schon zu spät war.

Ein Film über die Schönheit ungeschliffenen Materials (etwa auch alter Tape-Aufnahmen, wie sie rauschen und klingen), der Ausbruchsverheißung, die einmal ein paar Bretter Holz und Stromgitarren bedeuteten, und die Lust an der Zelebrierung des eigenen Körpers und seines Verfalls. Schon alleine wegen des von manchen vielleicht als heikel empfundenen Themas kein Film für jedermann, umso besser. „Cult potential“ schreibt Variety – durchaus, durchaus. (ich jedenfalls liebte ihn beim Sehen)

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