Das Rohe und das Gekochte

Internet-Kriminalität erlebt in den letzten Jahren einen Boom – in der Filmproduktion. Angefangen bei Hacker-Filmen wie „Das Netz“ bis hin zu Autorenfilmen wie dem anstehenden „Dein Herz in meinem Hirn“ von Rosa von Praunheim, der den Kannibalen-Fall von Rotenburg filmisch adaptiert – die Bedrohung von Recht und Ordnung durch die angeblich anarchistischen Strukturen des Internet scheinen eine passable Motivation für Kriminalstoffe abzugeben. Dass das Angebot an Sex-Seiten dabei irgendwann ins Visier der Drehbuchschreiber rücken würde, ist klar. Und so musste man auf einen Film wie „Feed“ eigentlich nur warten – dass ihn jemand bringen würde, war nur eine Frage der Zeit.

In „Feed“ geht es um eine besondere Form sexueller Perversion: Den Fetisch für dickleibige Frauen, mehr noch: wie diese Frauen zu dem werden, was sie am Ende sind. Der australische Polizist Philip Jackson (Jack Thompson) ist seit Jahren mit Internetkriminalität beschäftigt (im Prolog des Films hilft er bei der Aufklärung des o.g. Kannibalismus-Falles) und stößt bei seiner Arbeit zufällig auf eine Internetseite über Feeder. Das sind Männer, die Frauen füttern, bis diese so dick geworden sind, dass sie sich aus eigener Kraft nicht mehr bewegen können und ihren „Fütterern“ damit auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Im vorliegenden Fall geht diese Beziehung zwischen Täter und Opfer jedoch noch weiter: Die Frauen werden vor laufender (Web)Kamera totgefüttert, hinterher wird ihr Körperfett extrahiert und neuen Opfern zur schnelleren Gewichtszunahme verabreicht. Jackson stöbert in den USA einen Feeder (Alex O’Lachlan) auf und erhält Zugang zu dessen Web-Angebot, in dem er dessen Passwort ausspioniert. So erfährt er von einer Frau, die dabei ist, totgefüttert zu werden: Bei einem Gewicht von 300 Kg soll sie vor laufender Kamera an einem Herzanfall sterben.

Allein das abjekte Thema, der unfreiwillige Kannibalismus (die Frauen werden vom Feeder mit dem Körperfett der verstorbenen Opfer gemästet), dürfte als skandalöses Motiv bereits für genug Aufmerksamkeit für den Film sorgen. Die Szenen, die uns Brett Leonard in „Feed“ auftischt sind – die Metaphorik aus dem kulinarischen Bereich liegt einfach nahe – extrem „unappetitlich“. Fütterungen, Erbrechen, unbewegliche Fleischberge und ein pathologischer Täter, der seine Opfer nicht nur mit deren Einverständnis, sondern sogar auf deren Wunsch hin quält. Auf der anderen Seite ein Ermittler, der ganz am Ende der Evolution des Film-noir-Detektivs steht: Zynisch bis zur Selbstvernichtung, selbst in Verbrechen verstrickt und allein aus persönlicher (bzw. sexuell betroffener) Motivation an den Fall heran gehend. Eigentlich hätte „Feed“ das Zeug dazu, zu einem der unangenehmsten Filme überhaupt zu sein.

Wenn da nicht die auffällig groben Patzer im Skript wären. Da wird uns vom Style-Over-Substance-Regisseur Leonard („Lawnmower Man“) zum einen ein Filmbösewicht präsentiert, bei dem unentschieden ist, ober er nur pathologisch oder philosophisch handelt, wenn er Frauen zu Tode füttert. In Flashbacks bekommen wir immer wieder zu sehen, wie seine Mutter das erste Opfer seiner Fütterungen wurde, wie er jedes Mal zusammenbricht, wenn er an dieses Trauma erinnert wird. Dann deklamiert er mehrfach minutenlang in die Kamera, dass er in Wirklichkeit ein Menschenfreund sei, dass er die Frauen von den Zwängen des Mode-Diktates befreie, dass Fressen doch schließlich das Grundprinzip unserer Gesellschaftsform, ja, der gesamten menschlichen Evolution ist. Ein Zyniker im Nietzscheanischen Sinne, könnte man denken – wenn da nicht sein Trauma wäre. Sein Antagonist Jackson ist nicht weniger fragwürdig in seinem Verhalten motiviert. So richtig klar wird zu keiner Zeit, warum er die Probleme hat, die ihn vorantreiben und auch seine abschließende moralische Kehrtwendung bleibt eigentümlich unbegründet.

So ist „Feed“ ein Film, der vor allem von seinen Ekelszenen lebt – eigentlich ein für ein solches Thema fragwürdige Vorgehen. Täter, Ermittler und Opfer werden zu Erfüllungsgehilfen einer Erzählung, die fadenscheiniger kaum sein könnte, die sich einzig an der Tatsache, „dass es so etwas wirklich gibt“ entlang hangelt (so sind wohl auch immer wieder die aus der Webcam-Perspektive eingestreuten Bilder zu verstehen). Und wenn man hinter all den ekligen Handlungen auch noch einen Blick auf die Spezialeffekte zu werfen im Stande ist, wird man schnell feststellen, dass die fetten Oberfläche der Opfer genauso gekünstelt wirkt, wie der narrative Anlass der Erzählung. „Feed“ ist (leider) ein Exploitation-Film.

Feed
(Australien 2005)
Regie: Brett Leonard, Buch: Kieran Galvin, Musik: Gregg Leonard, Kamera: Steve Arnold
Darsteller: Gabby Millgate, Alex O’Lachlan, Jack Thompson, Patrick Thompson
Länge: 98 Minuten
Verleih: Ascot Elite

Die DVD Ascot Elite

Einen Kinostart hat „Feed“ hierzulande leider nicht bekommen, liegt nun aber als mit reichlich Bonusmaterial bestückte, ungekürzte DVD-Veröffentlichung vor. Bild und Originalton sind beanstandungslos – einzig bei der etwas eigenwilligen und gewöhnungsbedürftigen Synchronisation muss man Abstriche machen.

Die Ausstattung der DVD im Einzelnen:

Bild: 16:9
Ton: Deutsch / Englsich Surround DD 2.0/5.1
Untertitel: Deutsch
Zusatzmaterial: Behind the Scenes (36 Min.), „Fat Suit Produktion“, „Fake Marketing Spots / Fun behind the Scenes“, Interview mit regisseur Brett Leonard, Trailer, Slideshow
Länge: 98 Minuten
FSK: ab 18

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