Blues Harp

Der Output des japanischen Regisseurs Takashi Miike ist beeindruckend. Seit 1991 hat er es auf mittlerweile 59 Filme gebracht. Das macht rund fünf Filme pro Jahr (an der Spitze liegt 2002 mit sieben). Und zu diesen zählen international gefeierte Werke, wie Visitor Q (2001), Dead or Alive (2001), Audition (2000) oder Ichi the Killer (2001). Bei einer derartig hohen Anzahl von Filmen macht es schon fast Sinn von „Jahrgängen“ zu sprechen. Diesbezüglich war 1998 ein ruhiger Jahrgang für Miike: „Nur“ vier Filme hat er gedreht und einer davon ist der für seine Verhältnisse außergewöhnliche ruhige Blues Harp.

Blues Harp erzählt die Geschichte einer Zufallsfreundschaft. Der Hobbymusiker, Gelegenheitsdealer und Nachtclubbesitzer Chuji versteckt den Ganoven Kenji, der vor Killern einer rivalisierenden Yakuza-Gang zufällig in den Nachtclub kam. Fortan hat Chuji etwas gut bei Kenji und beide werden im Verlauf des Films häufiger aufeinander treffen. Zur selben Zeit wird Chuji die Mitgliedschaft in einer Bluesband angeboten. Als leidenschaftlicher Mundharmonika-Spieler geht er auf das Angebot ein und schon bald winkt ein Plattenvertrag für ihn und seine erfolgreiche Band. Kenji verfolgt ebenfalls Karrierepläne: Zusammen mit einer anderen Yakuza-Gang plant er die Beseitigung der Anführer beider Clans und seine Einsetzung als neues Oberhaupt. Dabei helfen soll ihm die Freundin seines Bosses, mit der er eine Affäre hat. Hinter Kenjis Rücken wird die Wahl des Killers, der seinen Boss erschießen soll, gefällt: Chuji, der durch seine gelegentlichen Drogengeschäfte zum idealen Opfer einer Erpressung wird, soll den Auftragsmord begehen und dabei selbst sein Leben verlieren. Im letzten Moment erfährt Kenji davon und versucht seinen Freund zu retten.

Miike inszeniert mit Blues Harp einen Film über das Eintreten in die Erwachsenenwelt aus zwei Perspektiven. Für Kenji ist dieser Prozess aktiv: Er selbst versucht die Fäden in die Hand zu nehmen und den Generationenkonflikt auf seine Weise zu lösen, indem er seinen Boss (der innerhalb der familiär gegliederten Yakuza-Organisation so etwas wie ein Vater ist) beseitigt, um sich selbst qua gefälschtem Testament an seine Stelle zu setzen. Chuji versucht seine unruhige Biografie ins Reine zu bringen, indem er das, was mit ihm geschieht – er ist der passive Gegenpart zu Kenji – vorausschauend zu interpretieren und für eine positive Entwicklung zu nutzen. Zufällig lernt er dabei Tokiko kennen, in die er sich verliebt, die kurz darauf bei ihm einzieht und schwanger wird. Es scheint so, als würde sich für ihn der Traum einer Familie, die er als Sohn einer Prostituierten nie hatte, in Erfüllung gehen. Doch in der Peripethie des Films kreuzen sich die Wege von Chuji und Kenji, was beider Pläne gefährdet und die Illusion einer planbaren, konsequenten Entwicklung konterkariert. Es scheit so, als wolle Miike sagen: Das Leben ist eben kein Film – und dies lässt er einen seiner Protagonisten auch aussprechen.

Blues Harp konzentriert sich voll auf seine stark entwickelten Charaktere und die Blues-Musik. Die Montage des Film richtet sich dabei mehrfach an den Bühnenauftritten Chujis und seines Band-Vorgängers aus. Fast wie in einem Musikvideo werden Szenen ineinander geschnitten. Im Kontrast dazu stehen lange, ruhige Einstellungen, die die Freunde im Gespräch übe ihr Leben zeigen – ganz ohne musikalische Unterlegung. Bei all dieser Konzentration auf Optik und Akustik gerät die Erzählung des Films fast in den Hintergrund. Doch gerade weil sich Miike in seiner Filmografie eher dem Effekt und weniger der erzählerischen Finesse verschrieben hat, lenkt die vermeintliche „Ereignislosigkeit“ Blues Harps den Zuschauer auf die Geschichte zurück und führt ein Drehbuch eher unbeholfener Plot-Strategen vor. Im Gegensatz zur ambitionierten Figurenentwicklung steht vor allem die streckenweise holzschnittartige Rolle Kenjis, der ein wenig zu sehr als einsamer Kämpfer inszeniert wird. Fast wirkt es zwanghaft, wie aus Blues Harp zum Ende hin doch noch ein Actionfilm werden muss.

Die Geschichte steuert auf ein Fiasko zu. Der geruhsame Rhythmus des Films wird zum Ende vollständig aufgehoben und weicht einer Schnittkaskade, die aus Blues Harp dann doch noch einen Actionfilm zu machen versucht, der für seine Erzählungen eine „endgültige“ Lösung bevorzugt. Doch negiert er damit die Erfahrung, die er seine Protagonisten hat machen lassen: Das Leben ist eben kein Film und liefert deswegen auch nicht immer eine Punchline. Mit seinem Finale fügt sich Blues Harp dann doch wieder in die Sujets Miikes ein, zeigt aber, dass dieser auch das Potenzial hat, ruhige, ernsthafte Stoffe anzugehen.

Blues Harp
(Jp 1998)
Regie: Takashi Miike
Buch: Toshihiko Matsuo & Toshiyuki Morioka, Kamera: Hideo Yamamoto, Musik: Atsushi Okuno
Darsteller: Mickey Curtis, Daisuke Iijima, Hiroyuki Ikeuchi, Akira Ishige u. a.
Verleih: Asian Film Network, Länge: 107 Minuten (uncut)


Die DVD von AFN

Die beim Kölner Asian Film Network erschienene DVD von Takashi Miikes Blues Harp besticht durch tadellose Bild- und Tonwiedergabe. Zum japanischen Originalton sind deutsche oder englische Untertitel wählbar (übrigens: eine Fassung mit alternativer deutscher Synchronisation ist angekündigt). Als erwähnenswertes Special führt die DVD Trailer zu Blues Harp und anderen AFN-DVDs auf: Junk (2000), Unlucky Monkey (1998), Score 2 (1999), Full Metal Yakuza (1997), Gangsters (1996) und Heat after Dark (1998).

Markant ist die aufwändige Cover-Gestaltung von Blues Harp: Ungewöhnlich im Querformat ist der in rot gehaltene Schuber mit einer Fotocollage versehen. Auf der Rückseite sind im selben Stil Screenshots des Films, Produktionsangaben und ein Kurztext angeordnet – letzerer ist leider fehlerhaft umgebrochen und daher nicht vollständig abgedruckt. Der DVD liegt ein Faltblatt mit Texten zum Regisseur Miike und dem Film bei.

Die Daten im Einzelnen:

# Original mit deutschen und englischen Untertiteln
# uncut Version 107 Minuten
# Ton: Dolby Digital 2.0
# Bild: Letterbox
# Extras: Szenenmenü, Trailer, Credit-Tafel

Preis bei Asian Film Network: 24,90 Euro

Informationsseite zu Blues Harp (Asian Film Network)

Stefan Höltgen

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