Tradition of Terror

Was ist der Sinn eines Remakes? In einer Zeit, in der mediale Inhalte nahezu jeden Alters für jeden frei verfügbar sind, kann es wohl kaum allein um deren aufheben (im Hegelschen Sinne: bewahren/beseitigen/erhöhen) gehen. Eine weitere (vierte) Bedeutung kommt ihm zu: die kulturelle Analyse. Das Remake funktioniert als eine Art Sozial- und Mentalitätsgeschichte seiner Quelle und deren Entstehungsgeschichte. Gerade im Film wird daher der Blick des Zuschauers nicht selten zu einem kontemporären Blick auf die Epoche aus der das Original stammt. Im Fall von The Texas Chainsaw Massacre sind es die frühen 1970er Jahre; eine Zeit, die gemeinhin als Übergangszone der hochpolitisierten späten 60er in die individualistischen 80er Jahre angesehen wird. Ein Zwischenstadium, das in der Rückschau vor allem oft mit Orientierungslosigkeit gekennzeichnet wird (vgl. die Monologe von Raoul Duke in Fear and Loathing in Las Vegas). Das Remake von Tobe Hoopers Texas Chainsaw Massacre aus dem Jahre 1974 richtet seinen Blick vor allem auf den Aufbruch gesellschaftlicher Mikrostrukturen. Ein Ergebnis der politische Kritik an den überkommenen Strukturen von Familie (Stichwort: Kommunen, freie Liebe) und eine Vorbereitung auf die zunehmende Individualisierung.

Michael Bays Texas Chainsaw Massacre (TCM) erzählt seine Geschichte als Variante zum Original. Fünf junge Leute sind auf dem Weg von Mexiko nach Dallas zu einem Konzert. In Mexiko haben sie sich amüsiert und Drogen gekauft. Als sie auf der Landstraße ein junges Mädchen treffen, nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Die desorientierte junge Frau erschießt sich im Auto der fünf, diese versuchen mit der ortsansässigen Polizei Kontakt aufzunehmen. Als ein Sheriff kommt, scheint die Situation geklärt. Er nimmt sich der Leiche an. Indes ist einer der jungen Leute verschwunden. Bei der Suche nach ihm stoßen die Übrigen auf einen wahnsinnigen Mörder mit einer Kettensäge. Der Killer ist Mitglied einer Familie, die in der Gegend immer wieder Durchreisende überfällt und tötet und zu der nahezu jede Figur zählt, denen die Teenager begegnen. Nach und nach geraten die Protagonisten in die Fänge des Killers und werden getötet. Nach einem zähen Befreiungskampf überlebt nur eine von ihnen, die am Ende orientierungslos auf der Landstraße umherirrt …

Die Radikalität mit der der Film sich seiner Erzählung annimmt (bzw. diese aus dem Original übernimmt) lässt sich am besten mit dem ebenfalls in diesem Jahr erschienenen House of 1000 Corpses vergleichen. Die Ähnlichkeit beider Filme kommt nicht von ungefähr, bebildern sie doch die selbe Epoche durch ein ganz ähnliches Symptom: den Wahnsinn, der sich als Terror äußert. TCM konfrontiert seine hedonistischen Akteure nach und nach mit jener Atmosphäre von Angst und Unentrinnbarkeit. Stellt der Suizid der jungen Frau zwar noch einen schockierenden Skandal dar, so beginnen doch schon bald die erste Witze über den auf dem Rücksitzt mitfahrenden Leichnam. Erst als die fünf auf die eigenartig inzestuöse Gemeinschaft des Ortes (in Wirklichkeit über eine weite Fläche verstreute, verfallene Häuser und Trailer) stoßen, macht sich ein Unbehagen breit und immer breiter. Es ist eben jenes Unbehagen vor dem, was das Sprichwort mit „Blut ist dicker als Wasser“ benennt: der Familie. Diese ist in TCM omnipotent und omnipräsent. Die Flucht der nach und nach dezimierten Protagonisten führt sie immer tiefer in immer feinere Verästelungen dieser Familienstruktur, in deren Zentrum als Befehlshabende eine „Grandmother“ steht (vielleicht als das Schreckgespenst des in der 68er-Bewegung eingeforderten Matriarchats?). Sie bündelt alle sozialen Funktionen und macht sie sich zum Werkzeug. Dass einer ihrer Söhne der ortsansässige Sheriff ist (oder dies vorgibt), ist vielleicht eine der erschreckendsten Wahrheiten, auf die die Opfer stoßen.

Ästhetisch formt TCM diese Radikalität ebenfalls nach und nach zu einem immer dichteren Gefüge aus Bildern und Tönen. Dominieren anfangs noch die Weiten der Landstraßen in Halbtotalen und Totalen, so rückt der Kamerablick Opfern und Tätern sprichwörtlich immer mehr auf den Leib. Das deutet sich bereits in der Inszenierung des Suizids an, bei dem die Kamera durch das Loch im Schädel der Anhalterin das Auto der fünf verlässt um zu zeigen, dass der Körper von nun an Objekt und Objektiv des Blicks wird. Und indem sich die Protagonisten immer stärker im a-sozialen Gefüge der Familie verfangen, werden ihnen (und den Zuschauern) die Fluchtmöglichkeiten auch optisch immer deutlicher verstellt. Zuerst beklemmende, dunkle, zerfallene Häuser. Dann einzelne Räume und schließlich – im Finale – die Kühlkammer eines Schlachthauses. Flucht und Rückzug münden in TCM nicht nur in die Sackgasse, sondern quasi direkt ins optische Gefängnis. Und dieses erreicht sein Maximum, als kurz vor Ende des Films die letzte Überlebende im besagten Schlachthaus in einen Kühlraum gerät und ihr Verfolger Leatherface auch noch die Sprenkleranlage einschaltet und damit sogar die Luft mit Materie füllt. An diesem Punkt kann nur noch der Tod oder die Explosion folgen, suggerieren die Bilder.

Untermalt werden diese von einem Soundtrack, der sich direkt aus der maschinellen Tötung, die der Film inszeniert, ableitet. Störgeräusche (teilweise als auditive Zitate aus Hoopers TCM) verbunden mit metallischen Industrial-Sounds und ofmals wie im Hintergrund eingestreute, aber sofort überwältigte Anflüge von Melodien. Das A-tonale bestimmt den Ton, wie das A-soziale die Erzählung bestimmt und kommentiert diese damit. Der einzige Moment, in dem man als „Soundtrack“ allein ein leises Klavier spielen hört, offenbart, dass es Harmonie selbst auf der Tonspur nur noch zu einem hohen Preis gibt: Eines der Opfer Leatherfaces hängt an einem Fleischerhaken über einem alten Klavier und versucht sich mit letzer Kraft mit den Zehen seines nicht abgesägten Beines auf der Klaviatur abzustützen. Doch er erreicht nur mit den Zehenspitzen drei Tasten, die er immer wieder niederdrückt … und stirbt pianissimo.

TCM erzeugt durch seine Erzählung, Bild- und Tonkomposition eine hochgradig somatische Wirkung. Nicht anders als unangenehm, ja, mehr noch: terroristisch wirkt der Film auf den Betrachter. Dieses Potenzial zieht er vor allem aus seinem sich gemächlich entwickelnden, immer frequenteren Rhythmus. Wie die letzte Protagonistin befindet sich der Zuschauer am Ende des Films in einer ausweglosen Situation, weil auch sein Blickfeld (zumindest im Kino) nun vollständig verstellt und kein Fluchtweg mehr vorhanden ist. Die Folge sind Beklemmungsgefühle, Angst, Herzrasen (sogar beim Fan und Vielseher des Genres). Dieser „Angriff auf den Körper des Zuschauers“ wird in der Erzählung verdoppelt durch die Perspektive der Protagonisten: Die Identifikation mit den fünf jungen Leuten besteht die gesamte Zeit des Films über und damit wechselt die Zuschauerperspektive vom unbeteiligten Beobachter zum Opfer: Die Verstörung des jungen Mädchens am Anfang des Films wird schließlich zu der des Zuschauers (und gleichzeitig zu der der einzigen Überlebenden am Ende des Films).

Die anfängliche These über Remakes findet gerade im vielseitigen Terror des Films ihre Argumentation. Der Grund, aus dem die wahnsinnige Familie mordet ist so banal wie aufschlussreich: Leatherface, der Sohn, sei als Kind wegen seiner Hautkrankheit gehänselt geworden. Das ist der Grund dafür, dass er nun fremde Gesichter abschneidet und sie sich selbst aufsetzt. Im Kontrast zur sozialkritischen Begründung aus Hoopers Film (die Arbeitslosigkeit durch die Schließung des Schlachthauses) wirkt dies zunächst fast albern. Doch dass sich die gesamte Familie von Leatherface der Rache an der Gemeinschaft verschrieben hat und die gesamte Gegend sozial und geografisch infiltriert hat, gibt dann doch zu denken. Es ist schließlich unser Blick auf die 1970er Jahre als dem vielfach zitierten Beginn der Auflösung der bürgerlichen Kleinfamilie, der den Horror verständlich macht. Der Terror ist ein matriarchaler Moloch, eine Großfamilie, die zudem noch alle Degenerationserscheinungen aufweist, die mit ihr konnotiert sind – allen voran Blutrache und Inzest (was sich vor allem im Bild der Erbkrankheit, einem beliebten Red-Neck-Klischee u. a. in Filmen wie Wrong Turn zeigt).

Als Remake ist TCM also so konsequent wie er nur sein könnte, denn er hebt seinen Ursprungsfilm auf und nutzt ihn zudem als Anlass für eine Reflexion über die Bedingungen seiner Möglichkeit. Ein cineastisches Ereignis ist TCM darüber hinaus, weil er es schafft, diese Erzählung auf die Höhe der Zeit zu bringen und seine Zuschauer vollends zu „packen“. TCM ist ein somatisches Erlebnis, das einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt.

Michael Bay’s Texas Chainsaw Massacre
(Texas Chainsaw Massacre, USA 2003)
Regie: Marcus Nispel
Buch: Kim Henkel, Tobe Hooper, Scott Kosar, Kamera: Daniel Pearl, Musik: Steve Jablonsky, Mel Wesson
Darsteller: Jessica Biel, Jonathan Tucker, Erica Leerhsen, Mike Vogel, Eric Balfour, Andrew Bryniarski, R. Lee Ermey u. a.
Verleih: Constantin; Länge: 98 Minuten

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