Sphären der Gewalt, Sphären der Machtlosigkeit

Der Mond Pandora ist wunderschön und tödlich zugleich. Farbenprächtige Dschungellandschaften und fliegende Felsformationen, wundersame Fauna und aggressive Flora und vor allem die für Menschen toxische Atmosphäre machen dem Touristen eindeutig klar: „Du gehörst nicht hierher.“ Man ist auf Gasmasken und Militär angewiesen, wenn man sich sicher auf Pandora bewegen will. Auch wenn die Menschheit die Erde hinter sich gelassen hat, es gelten auch auf Pandora die alten Mechanismen der Naturbeherrschung. Die Natur wird nicht bestaunt, sondern ausgebeutet und über die Ausbeutung zerstört. Wenn James Cameron’s Film „Avatar“ uns eine Moral mit auf den Weg gibt, dann die Einsicht, dass der Mensch in der Natur niemals zuhause sein kann, er kann sie nur beherrschen. Unsere Heimat ist die Apokalypse, das Paradies ist uns verschlossen.

Die Leitmetapher für diesen Zustand ist für Cameron der Sarg, die hermetisch verriegelte Box. In einer solchen Box reisen die Menschen nach Pandora, die Teilnehmer des Avatarprogramms legen sich in eine Box, um sich mit ihrem Avatar zu verbinden und auch die Gasmaske mit ihrer geschlossenen Sauerstoffzirkulation grenzt die Menschen von der giftigen Atmosphäre des Mondes ab. Selbst der Mond Pandora ist nach der mythischen ersten Frau mit der Box voller Übel benannt. „Avatar“ handelt von Sphären, Sphären des Einflusses und Sphären der Machtlosigkeit. Die Überwindung der Grenzen dieser Sphären kann nur durch Gewalt erfolgen. Die Etymologie weiß uns am besten über dieses Verhältnis aufzuklären, wenn wir uns klar machen, dass unser Wort Raum von Rodung kommt.
Es stellt sich die Frage, inwiefern diese Kontexte für das Videospiel „James Cameron’s AVATAR: Das Spiel“ relevant sind. Spiele transportieren Bedeutung auf anderen Kanälen als Filme. Die Passivität der Filmrezeption erlaubt es dem Film komplexe Verhältnisse zu schildern ohne den Rezipienten zu überfordern. Das Spiel dagegen fordert immerzu Handlung. Moderne Videospiele haben kaum noch eine reine Pause, man wechselt lediglich ins Pausenmenü, das Geschehen wird nur aufgehalten, um Video- und Audioausgabe oder Steuerung zu justieren. Den reinen Stillstand gibt es im Videospiel nicht mehr. Insofern kann Sinn in Spielen nur über Handlung transportiert werden, über Steuerung oder über die durchmessenen Schauplätze.

Der Plot von „AVATAR: Das Spiel“ ist schnell zusammengefasst: Die Menschen wollen auf Pandora das seltene Metall Unobtanium fördern. Dazu müssen sie die Wälder, die auf den großen Reservoirs liegen roden. Diese Wiederum sind der Lebensraum der Na’vi, einer einheimischen humanoiden Spezies, die sich dagegen natürlich wehrt. Um Kontakt mit den Na’vi aufzunehmen, haben die Menschen das so genannte Avatarprogramm ins Leben gerufen, in dem künstlich erzeugte Na’vi-Körper von Menschen per Bewusstseinsübertragung gesteuert werden. Weil allerdings wirtschaftliche Interessen der Hauptbeweggrund für die Expeditionen nach Pandora sind und diese Interessen wiederum aufgrund der lebensfeindlichen Bedingungen auf Pandora unter dem Schutz des Militärs stehen, kommt die Vermittlung nicht zustande und der Konflikt entbrennt erneut. Das alles kann man nur wissen, wenn man den Film gesehen hat, im Spiel wird es bestenfalls angedeutet.

Bei einer so gewaltigen Filmproduktion wie „Avatar: Aufbruch nach Pandora“ ist es selbstverständlich, dass das Spiel im Dienst des Films steht. Streng genommen ist das Spiel zunächst einmal nicht viel mehr als ein Merchandiseartikel, eine virtuelle Actionfigurensammlung komplett mit Zubehör und Pandopedia (dem Mondspezifischen Lexion). Zu beginn darf man sich eine von etwa zehn Spielfiguren aussuchen mit der man dann auf Pandora ankommt. Im Gegensatz zu James Sully, dem Protagonisten des Films, ist die ausgewählt Figur nicht gehbehindert. Nach etwa einer Dreiviertelstunde Spielzeit wird man vor die Wahl gestellt, ob man sich den Na’vi anschließt oder ob man bei den Menschen bleibt. Je nachdem welche Wahl man trifft erwartet einen entweder ein durchschnittlicher Third-Person-Shooter oder ein durchschnittliches Third-Person-Actionadventure. Die Möglichkeit dieser Wahl allerdings stellt die Stärke des Videospiels im Gegensatz zum Film deutlich heraus: Sully wird sich immer für die Na’vi entscheiden.

Das Problem an dieser Idee ist, dass bei Cameron eine Entscheidung für die Menschen nicht vorgesehen ist. Die Rezeption eines Sachverhaltes aus unterschiedlichen Perspektiven ist dem Medium Videospiel geradezu in die Wiege gelegt worden. Allerdings müssen beide Perspektiven in der Erzählung auch denkbar und nachvollziehbar sein. Hier scheitert das Spiel. Während man sich in der Na’vi-Kampagne als munterer Ökoterrorist verdingt und in Einklang mit der Natur dem Unwesen der Menschen ein Ende macht, findet man sich in der Menschen-Kampagne als stupider Agens der Zerstörung wieder. Kurz vor Ende der Menschen-Kampagne hat man sogar noch einmal die Möglichkeit sich den Na’vi anzuschließen und Konsequenterweise ist der letzte Endgegner egal wie man sich entscheidet immer der befehlshabende Menschen-Colonel. Die vermeintliche Multiperspektivität verläuft sich in der vom Film vorgegeben Stereotypie oder im Scheitern beim Versuch außerhalb der Box zu denken, auch dies ein Problem der gedanklichen Sphären des Films.

Das Erstaunliche ist, dass der Na’vi-Teil vermutlich erst später seinen Weg in das Spiel gefunden hat: Die letzten Level der Na’vi sind ganz klar von Zeitknappheit gezeichnet, unvollständig und stark gekürzt. Die Na’vi steuern sich schlechter als die Menschen und haben auch ein monotoneres Arsenal von Waffen. Wenn man sich für die Na’vi entscheidet, muss man sich darauf gefasst machen den Plot des Films mit anderen Figuren durchzuspielen. Das Spiel kommt zwar als Prequel daher, aber alle Figuren haben ihre Entsprechung in Charakteren aus dem Film. Es gibt sogar eine Hubschrauberpilotin, die sich den Na’vi anschließt. Auf der einen Seite also die Unfähigkeit gegen den Filmplot anzukommen und auf der anderen Seite das Unvermögen ihm zu entkommen. Erzählt wird dieses Scheitern in unmotivierten Cut-Scenes und lustlosen Fetch-Quests.

Auf einer Ebene aber haben die Designer von Ubisoft Montreal ganze Arbeit geleistet: Der Mond Pandora ist wunderschön und tödlich zugleich. Was das Spiel auf der Handlungsebene und mit der schwachen Steuerung verschenkt, das macht es durch die gewaltigen und lebendigen Areale wieder wett. Auch wenn das Leveldesign nicht originell ist, es ist herrlich anzusehen. Man läuft Meterhoch über dem Urwald auf baumstammartigen Ranken, klettert an fliegenden Felsen entlang und durchmisst scheinbar endlose neonfarbene Grotten. Anhand der Schauplätze wird in dem Spiel auch am deutlichsten die Trennung der beiden Kampagnen kommuniziert. Spielt man als Mensch findet man sich oftmals in zugewachsenen Dschungelwelten wieder, voller bedrohlicher Pflanzen und Tiere. Die anderen Menschen auf die man trifft wirken winzig vor der schieren Macht das Dschungels. Hier und da sieht man eine verschrotteten Kampfrüstung vom Dickicht des Waldes überdeckt. Die Außenposten der Menschen sind meistens zerstört und verlassen. Pandora präsentiert sich für die Menschen in seiner ganzen majestätischen Unwirtlichkeit. Ganz anders bei der Na’vi-Kampagne. Der Dschungel wirkt beruhigend, geradezu friedlich. Flora und Fauna lassen die Na’vi in Ruhe. Bedrohlich sind die gerodeten Waldstücke, die verbrannte Erde, die übersät ist mit Tierkadavern und toten Na’vi. Am Rande der Menschensiedlungen sind fast immer Geschütztürme angebracht und jeder Trupp Menschen hat einen Soldaten mit Flammenwerfer dabei.

Lässt man die narrativen Kontexte beiseite, so erschließt sich allein über die Sphären Cameron’s auf Pandora projizierte Weltsicht. Das macht sie nicht klüger, aber nachvollziehbarer. In Dimensionen von Sicherheit, Ressourcenzugang und akuter Gefahr lässt sich der Konflikt in seiner ursprünglichsten Form, der Raumnahme, erfassen. Hier zeigt sich, dass die Adaptionsleistung von Ubisoft fast schon zu gut gelungen ist: Nachdem sie einvernehmlich Narration und Gameplay über Bord geworfen haben, treffen sich Film und Spiel in der Sekundärtugend des Productiondesigns. Das eigentliche Kunststück war immer schon Pandora.

Dan Gorenstein

James Cameron’s AVATAR: Das Spiel
(Ubisoft 2009)
Verfügbar für X-Box 360, PlayStation 3 (getestet), Nintendo Wii, PC, Sony PSP, Nintendo DS
Freigegeben ab 16 Jahren
Preis:57,50 Euro

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