Frau fickt Tintenfisch

Layout 1„A woman is fucking an octopus.“ Mit diesen markigen Worten versuchte Produzentin Marie-Laure Reyre Andrzej Zulawskis Film zu vermarkten – nur der Startschuss für die hochgradig bewegte Editionsgeschichte von „Possession“, die erst jetzt, fast 30 Jahre nach seiner Entstehung, mit der Veröffentlichung des Films auf DVD beendet zu sein scheint. Zulawskis in das Gewand eines bizarren Horrorfilms gekleidete Abrechnung mit dem Kommunismus (und totalitaristischen Systemen überhaupt), der ihm bei seiner Arbeit in Polen so oft in die Quere gekommen war, fand trotz solcher Verkaufsbemühungen und einer medienwirksamen Aufführung bei den Filmfestspielen in Cannes 1981 nie sein Publikum: Weltweit erschien der Film später als Genrefilm beworben in radikal gekürzten, vollkommen sinnentstellenden Rumpffassungen, die ihr Publikum gar nicht erreichen konnten, oder aber – wie etwa im stets konsequenten Deutschland – überhaupt gar nicht erst verfügbar waren. Von dem erst vor kurzem ins Rennen gegangenen, aber schon jetzt unverzichtbaren Label „Bildstörung“ erscheint „Possession“ nun zum ersten Mal in Deutschland, pünktlich zum 20. Jahrestag der Maueröffnung. Ein großer Clou des jungen Labels, das so Kontext schafft und damit auch den Zugang zu einem Film erleichtert, der in den vergangenen Jahrzehnten kein Stück seines verstörenden Potenzials, seiner erschütternden Direktheit, seiner Faszination eingebüßt hat.

„Die Mauer muss weg“: Das sind die ersten Worte in Andrzej Zulawskis „Possession“, mit weißer Farbe auf die Mauer gemalt, die sich durch Berlin zieht und die Stadt brutal in zwei Hälften reißt. Auch der Geheimagent Mark (Sam Neill) will eine Mauer niederreißen und zwar jene, die während seiner berufsbedingten Abwesenheit zwischen ihm und seiner Ehefrau Anna (Isabelle Adjani) emporgewachsen ist und ihre Ehe zu zerstören droht. Doch je mehr er gegen diese Mauer anrennt, umso stärker prallt er an ihr ab …

Die Geschichte einer zermürbenden, an die körperliche und geistige Substanz der beiden Partner gehenden Ehekrise mitten in der Tristesse des geteilten Berlins war auch ohne Zulawskis Ausflüge ins Horrorgenre (die er als „Maskierung“ beschreibt) und den politischen Subtext schon schwer zu verdauen: Geradezu berüchtigt sind jene Szenen, in denen wir Anna im modrig-feuchten Dunkel einer Berliner Altbauwohnung beim Geschlechtsakt mit einem schleimigen Tentakelmonster beobachten, das sie selbst zur Welt gebracht hat. Das psychisch fordernde Ehedrama abseits des Trivialfilms war mit Bergmans „Szenen einer Ehe“ in den Mainstream eingedrungen, wer jedoch bei „Possession“ ähnliches erwartete, dürfte bei Betrachtung des Films an seinem Verstand oder aber dem des Regisseurs gezweifelt haben. Dies ist jedoch eine Reaktion auf den Film, die keinesfalls inadäquat, sondern im Gegenteil sogar durchaus angemessen erscheint. So künstlerisch, verschlüsselt – teilweise ist man versucht, von „hermetisch“ zu sprechen – und präzise komponiert Zulawskis „Possession“ sich auch präsentiert, so unmittelbar wirkt er doch auf den Betrachter, der in 120 Minuten ein Wechselbad der Gefühle durchleidet. Es ist kaum nötig, den Eskapaden der Handlung minutiös zu folgen, weil „Possession“ ganz Stimmung, Bild, Emotion und Atmosphäre ist und sich zunächst auch am besten in diesen Dimensionen erschließen lässt. Die Trennung des einst untrennbar Verbundenen, die „Possession“ auf einer spezielleren politischen und einer allgemeineren persönlichen Ebene behandelt, wird weniger als soziales Phänomen betrachtet, sondern vielmehr als rigoroser Eingriff in die Tiefenpsycholgie des Menschen. Wohin man auch blickt in Zulawskis Film, sieht man nur seelische Krüppel und leere Hüllen, die wie Tote durch die maroden Straßen laufen und sich in festgefahrenen Scheinbeziehungen aufreiben. Nähe und Liebe sind nicht nur abwesend, sie sind unmöglich unter den herrschenden Umständen. Zulawski macht aus dem Verbrechen des Totalitarismus ein Verbrechen gegen die Spiritualität des Menschen, der sich in „Possession“ seiner seelischen Heimat beraubt, allein gelassen und ohne Hoffnung erkennt. Diese Entkernung äußert sich erst in verbalen Gefechten (es wird viel geschrieen in „Possession“), in handfesten Auseinandersetzungen, Nervenzusammenbrüchen, Hysterie, Wahnvorstellungen und Selbstverstümmelung. Bis der Verlust der Liebe Anna in einer an Cronenbergs Philosophie des „Neuen Fleischs“ erinnernden Szene dazu treibt, sich selbst einen neuen schleimigen Liebhaber zu gebären, der sich im Verlauf ihrer Liebesbeziehung in einen neuen, besseren Gatten verwandeln wird.

„Possession“ muss man sehen. Nicht bloß, weil er über eine atemberaubende Kameraführung verfügt, die Berlin in erschreckend schöne Weitwinkelbilder bringt und den Zuschauer mehr und mehr in einen ekstatischen Taumel versetzt. Er brennt sich gerade deshalb so nachdrücklich ein, weil sich seine Bilder eben nicht vollständig in Begriffe rückübersetzen lassen, nach ihrer Übersetzung immer ein Rest übrig bleibt, der seine Schatten wirft. Es gibt diese Szene in „Possession“, in der der sonst so souveräne Heinrich (Heinz Bennent) das Tentakelwesen erblickt und nichts weiter zu sagen weiß als „It cannot be.“ Was nicht sein darf, kann eben nicht sein und trotzdem sehen wir in seinem Gesicht die letztlich nüchterne Erkenntnis darüber, dass alles, worüber er sich einst so sicher war, mit einem Mal hinfällig ist, ohne Erklärung. Es gibt Dinge, an denen Worte zerbrechen. Um sie dennoch zu verstehen, braucht es Bilder. Wie dieses: „A woman is fucking an octopus.“

Possession
(Frankreich/Bundesrepublik Deutschland 1981)
Regie: Andrzej Zulawski; Drehbuch: Andrzej Zulawski, Frederic Tuten; Musik: Andrzej Korzynski; Kamera: Bruno Nuytten; Schnitt: Marie-Sophie Dubus, Suzanne Lang-Willar
Darsteller: Isabelle Adjani, Sam Neill, Margit Carstensen, Heinz Bennent, Johanna Hofer
Länge: 125 Minuten
Verleih: Bildstörung

Zur DVD von Bildstörung

Bildstörung präsentiert den Film in hervorragender Bild- und Tonqualität, verpackt in einem schön gestalteten Pappschuber, ausgestattet mit einem umfangreichen Booklet mit zahlreichen Essays und Texten sowie interessantem Bonusmaterial. Ein Pflichtkauf und eine der wichtigsten und schönsten Veröffentlichungen des Jahres!

Bild: 1,66:1 (16:9/anamorph)
Ton: Englisch (Dolby Digital 2.0 Stereo)
Untertitel: Deutsch
Extras: Audiokommentar von Andrzej Zulawski und Daniel Bird, Dokumentation, Bildergalerie, Trailer, Booklet
Freigabe: FSK 16
Preis: 18,95 Euro

Diese DVD bei Amazon kaufen.

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.