Derrida/derrida

»Was über diesen Abschluss hinausreicht ist nichts:
weder Präsenz des Seins, noch der Sinn, noch die Geschichte,
noch die Präsenz; sondern Anderes, das keinen Namen hat,
das sich im Denken dieses Abschlusses ankündigt und hier unsere Schrift leitet.«
(Derrida, Grammatologie, S. 491)

»Schrecklich doch, o Phaidros,
hat doch die Schrift Ähnlichkeit mit der Malerei.«
(Platon, Phaidros, 275 d)

Die Ankunft des Anderen

»Ich unterscheide zwischen Zukunft und ›Avenir‹, der zukünftigen Zeit.« (Derrida, Derrida) Der Philosoph und Begründer dekonstruktivistischen Denkens, Jacques Derrida, leitet mit diesem Satz den Film ein, um den es mir im Folgenden gehen wird. Avenir, so heißt es, sei der Begriff für Zukunft. Eine Zukunft allerdings, die sich nicht schon im Vorfeld absehen lässt, oder der eine bestimmte Ankunft vorausgesagt werden kann. Es ist vielmehr der Begriff für ein zufällig eintretendes Ereignis, dessen einziger Zeuge im Hier und Jetzt seine Abwesenheit ist. Derrida nennt Avenir (à-venir, das Kommende) die »wahre Zukunft.« Was aber ist das für eine Zukunft, die sich unseren Blicken entzieht und die nur im Erscheinen erkannt werden kann?

Um diese Frage zu beantworten, ist ihre Ankunft, die Ankunft eines Anderen, das bis dahin unerkannt und abwesend war, notwendig. Dem kommenden Ereignis steht die Beurteilung durch den Zuschauer gewissermaßen erst noch bevor. Er fällt ein Urteil über die Ankunft, bezeichnet das Andere, macht es bedeutsam, gliedert es in die Reihe der bereits beurteilten Phänomene ein, und verurteilt es von nun an der Entscheidung folge zu leisten, die er darüber verhängt hat; Die Ankunft des Anderen ist also immer auch eine »juristische« Vorladung. Dieses Urteil das der Betrachter fällt, ist aber keine Beurteilung im Sinne von Gut oder Schlecht, es ist keine Wertung, wenn ihr auch ein bestimmter Wert zu oder abgesprochen werden kann. Und dennoch bleibt ein letzter Rest stets im Unklaren, bleibt in der Abwesenheit zurück, bleibt im »Spiel der Differenzen« verhaftet und nötigt zur erneuten Vorladung zur Ausdehnung des Urteils, zum Umdeuten und Umstrukturieren des Gegebenen, das die Ankunft aufs neue Erwarten lässt.

In jedem Fall aber stellt die Ankunft des Anderen eine Erweiterung des Hier und Jetzt dar. Ein Hinzutreten zum Gegebenen, ein Supplement, das den Zuschauer zum Aufschub seines Urteils nötigt und gleichzeitig eine Spur zieht, die der Erweiterung in diesen Aufschub hinein folgt.

Der Ansatz den ich verfolgen werde bezieht sich auf eine Aussage die Jacques Derrida in »Derrida« über die Echtheit des Mediums Film macht und die sich als visuelles Motiv fortsetzt. »Bevor ich diese Frage beantworte, möchte ich eine Bemerkung vorausschicken, und zwar über den künstlichen Charakter dieser Situation.« (Derrida, Derrida). Derrida spricht damit das Problem der Künstlichkeit medialer Kommunikation an; den Zwang und die Herrschaft, die das Medium auf ihn als Referenten ausübt. Er gesteht dem kinematographischen Apparat eine Autorität zu, der er sich nicht zu entziehen vermag, weil sie alle seine Handlungen bereits vorschreibt; durch die Sprache, die Kultur, die Technik.

Um mich nun als Zuschauer nicht zu disqualifizieren muss ich selbst das Urteil finden, das dieser Satz mit sich bringt; ein anderes, von Derridas Aussage verschiedenes Urteil, das seinem Satz hinzugefügt werden kann.

Dieses Urteil beginnt durch derrida. Demnach war es schon immer in der Abwesenheit präsent und lässt sich, nachdem ich mich entschlossen habe darüber zu schreiben, es präsent zu machen, auch formulieren. Mein vorgreifendendes Urteil lautet also: Die Autorität des kinematographischen Apparates basiert auf der Interpretation dieses Apparates. Die Herrschaft liegt folglich nicht im Apparat, sondern in seiner Deutung durch Derrida.

Bevor ich aber zum eigentlichen Kern der Sache vorstoßen kann, halte ich es für notwendig darüber zu sprechen, auf welche Weise Derrida seine eigene Theorie entfaltet, wie er seine Urteile fällt.

Derrida/Abwesenheit

Der Film, der von Rechts wegen den Titel: »Derrida« trägt, ist eine »Dokumentation« über Derrida und damit auch über sein Denken. Der Film ist mit biographischem Material gefüllt, er ist Zeitzeuge, Archiv eines bestimmten Lebensabschnittes von Jacques Derrida. Er legt einen visuellen Zugang, der uns Einlass in einen privaten Mikrokosmos verschafft und es uns ermöglicht, das Vergangene zu reanimieren, wann immer der Film auf der Leinwand oder auf dem [SCREEN], erscheint. Der Film hat neben seinem Archivcharakter aber auch die Eigenheit, durch seine Form, seine Struktur, Dialoge und Inhalte, genau die Philosophie zu thematisieren, die in Europa als Poststrukturalismus, später in den USA als postism (der sich aus dem new critisism entwickelt hat), Epoche machte. Derrida selbst hatte sich gegen diese Methodenbegriffe stets gewehrt, da er seine Philosophie als etwas verstanden haben wollte, dass sich dem Text anpasst und ihn nicht methodisch erschließt.

Dekonstruktion versucht die zwanghafte Rahmung durch die Metaphysik zu überwinden, indem sie zeigt, was eine Totalität gewaltsam ausblendet, was aber immer schon im Begriff derselben enthalten ist, ohne aber präsent zu sein – das abwesende Andere. Die Figur dieses Anderen wird am Beispiel der Gattung deutlich: alle Texte sind immer Teil eines Genres, gehören aber gleichzeitig zu einer Operation die Derrida »das Gesetz des Gesetzes des Genres« nennt, »ein Teilhaben ohne Zugehörigkeit, »eine Ökonomie des Parasitären« (Derrida, Das Gesetz des Genres, S. 252). Was ist diese Teilhabe ohne Zugehörigkeit? Es ist ein Drittes, Abwesendes das immer schon an der Theorie partizipiert, ihr äußerlich und zugleich innerlich ist und sie dadurch auch letzten Endes dominiert. Die ursprüngliche Trennung von Abwesenheit und Präsenz bringt Derrida im Begriff »différance« zum Ausdruck.

Derrida hält 1968 vor der Société française de philosophie eine Rede über den Begriff der différance, den er bewusst mit einem a schreibt, das zwar gelesen aber nicht gesprochen wird. Différance beschreibt den Prozess der Ankunft des Abwesenden, das Präsent-Werden. Die Verwendung dieser Schreibweise und das Beharren auf einer eigentümlichen Terminologie, machen deutlich worin das philosophische Vorhaben Derridas besteht: Eine Umschiffung des Logo-/Phono-/Ethnozentrismus: der Verweis auf das vom System Ausgeschlossene; die Spur die auf dieses Ausgeschlossene verweist.

Wenn man aber eine genaue Beschreibung des Begriffs différance mit der Intention versuchte, dabei nicht in die Falle eines Logozentrismus, und damit der »Metaphysik der Präsenz« selbst, zu geraten, müsste der Versuch unter dieser Prämisse notwendig scheitern: Jede Festlegung eines Begriffs ist im Augenblick ihrer Festlegung dekonstruierbar. Dekonstruktion wird so zum unabschließbaren Geschäft. Sie behält sich somit aber auch die Möglichkeit vor, selbst überbordet oder dekonstruiert zu werden.

Dekonstruktion weist in einem ersten Schritt diese metaphysische Präsenz nach, indem sie beispielsweise einem Begriff oder einer Theorie aufs Genaueste folgt, um sie dann ihren metaphysischen Mechanismen zu überführen und den Bruch kenntlich zu machen, die er/sie mit dem Anderen eingeht. »Die Bewegungen dieser Dekonstruktion rührt nicht von außen an die Strukturen. Sie sind nur möglich und wirksam […] indem sie diese Strukturen bewohnen.« (Grammatologie, S.45)

Die Präsenz und das Abwesende dieser Präsenz befinden sich notwendig in einem hierarchischen Verhältnis zueinander, denn »bei einem klassischen philosophischen Gegensatz [hat man es] nicht mit friedlichen Koexistenzen eines Vis-à-vis, sondern mit einer gewaltsamen Hierarchie zu tun. Einer der beiden Ausdrücke beherrscht (axiologisch, logisch usw.) den anderen, steht über ihm.« (Derrida, Positionen, S. 88)

In einem weiteren Schritt überwindet sie diesen hierarchischen Zustand, indem sie den Begriff verschiebt und radikal das einblendet, was bisher verborgen war. Es findet also eine Verschiebung des metaphysischen Bruches mit der Kritik an diesem Bruch statt. Das was sich aus dieser Verschiebung wiederum konstruiert kommt im Begriff »Supplement« zum Ausdruck.

Das Supplement unterliegt einer eigenen Logik, die besagt, dass das Vorhandensein dieses Begriffs im Lexikon die Unabgeschlossenheit des Lexikons selbst bezeugt, indem dieses sich die Möglichkeit einer Erweiterung aufbewahrt. Die Folgen dieser Denkweise für den Film sind gravierend und werden im weiteren Verlauf noch verdeutlicht werden.

Ein Versuch, sich mit diesen Folgen des Derrida’schen Nachdenkens zu beschäftigen, stammt von Peter Brunette und David Wills und soll zur Veranschaulichung und zur Kritik dienen.

Brunette/Wills, die beide aus dem Umkreis der Yale School stammen, welche 1966 von Paul de Man, Hillis Miller u.a. initiiert wurde, bringen in ihrem Werk »SCREEN/PLAY – Derrida and Filmtheory« Dekonstruktivismus auf die bestehende Theorie zur Anwendung. Dabei zeigen sich, neben einer dekonstruktivistischen Praxis nach amerikanischem Vorbild, auch einige kulturell bedingte Interpretationsunterschiede der Denkart.

SCREEN/PLAY: Derrida und die zeitgenössischen Studien über den Film

Brunette/Wills beschreiben, dass sich in der theoretischen Behandlung des Films im Laufe der Zeit zwei wissenschaftliche Bereiche herausgebildet haben: Erstens, die Filmtheorie, die im Wesentlichen in Form der Filmgeschichte präsent ist und sich folglich mit Gattungstheorie (Genre) beschäftigt. Zweitens, die Filmkritik, die sich der Interpretation einzelner Filme widmet.

Beide Gebiete führen den Anspruch, totalitär verstanden zu werden. Doch kann das Ziel einer völligen Beschreibung natürlich nur virtuell und nicht tatsächlich erreichbar sein. Die Beschreibung dieser beiden Entitäten hat immer den Anspruch auf Vollständigkeit und ist von einer (inneren) Zweckhaftigkeit geleitet, die Vollständigkeit und Nähe zum Sujet voraussetzt und somit eine Sprache des Absoluten erlaubt. Daraus folgt meist eine Beschreibung der textuell partikulären Details. Wenn aber eine Theorie darüber erscheint, wie wir beispielsweise Filme sehen und verstehen (ihnen Sinn geben), versucht sie gleichzeitig Regeln oder Prinzipien aufzustellen, die für sich beanspruchen allgemeingültig zu sein. Sie folgert aus den sich abzeichnenden Tendenzen den Begriff der Gattung.

Die Gattung ist jedoch ein höchst problematisches Gebilde. Derrida schreibt hierzu: »Sobald man das Wort »Gattung« vernimmt, sobald es erscheint, sobald man versucht es zu denken, zeichnet sich eine Grenze ab. Und wenn sich eine Grenze herausbildet, dann lassen Norm und Verbot nicht auf sich warten: »man muss, man darf, man darf nicht – das sagt Gattung, das Wort Gattung, die Figur, die Stimme, oder das Gesetz der Gattung.« (Derrida, Das Gesetz der Gattung, S.248)

Die Theorie vollzieht die Bewegung zu einer totalitären Beschreibung. Paradoxerweise ist der Begriff »Totalität« in diesem Zusammenhang nur ein anderes Wort für das Auffinden einer Essenz innerhalb einer spezifisch umgrenzten Kategorie. Dieses Auffinden der Wahrheit geschieht praktisch durch das Ausblenden von Unwichtigem oder Marginalem. Das Marginale ist aber dadurch immer schon in der Theorie selbst enthalten, ist durch ihre Abwesenheit präsent und kontaminiert das gesetzte Gesetzt: »Und wenn es im Herzen des Gesetzes selbst ein Gesetzt der Unreinheit gäbe? Und wenn die Möglichkeit des Gesetzes das a priori eines Gegen-Gesetzes wäre […]?« (Das Gesetzt der Gattung, S. 250).

Das Genre bleibt unabgeschlossen, vermischt sich mit anderen Genres und »verunreinigt« sich durch »Markierungen« und Bezugnahmen auf Elemente anderer Gattungen. Das Genre ist also nichts weiter als ein theoretischer Wert, der aber immer unbeständig bleiben muss.

SCREEN/PLAY: Über die Filmgeschichte

Oftmals wird die Geschichte der Filmtheorie als strikter Gegensatz zwischen Formalismus und Realismus beschrieben. Die Filmgeschichte ist selbst narrativ und somit immer abhängig von narrativen Strukturen und Techniken.

»Narrative is not merely a neutral discursive form that may or may not be used to represent real events in their aspects as developmental processes but rather entails ontological and epistemic choices with distinct ideological and even specifically political implications.« (White, The Content of the Form, S. 35) In der Theorie spielen zwei rhetorische Operationen eine wichtige Rolle: Synecdoche und Metonymie. Die Synecdoche wählt den engeren Begriff anstelle des Umfassenderen (pars pro toto); Metonymie ersetzt den eigentlichen Begriff durch einen anderen, der mit ihm in Beziehung steht. Ein Film steht demnach also repräsentativ für eine Gattung oder Epoche.

Das gleiche gilt auch für formalistische Interpretationen, in denen ein Bild oder eine Sequenz als Repräsentant für den gesamten Film oder Text dient. Diese Verfahrensweisen werfen jedoch einige Probleme auf, die gleichzeitig als Angriffspunkt dekonstruktivistischer Kritik dienen: Auf welche Weise kann der Ausschnitt eines Films legitim für das Ganze stehen? Wie verhält es sich mit dem »Rest« der keine Beachtung findet und übrig bleibt? Wie kann ein unabhängiges Gebilde, wie etwa ein Beispiel, für etwas anderes als für sich selbst eintreten?

Die gleichen Fragen treten auch bei der Periodisierung von Filmen auf. Die historische Einteilung geschieht durch Reduktion auf wenige Vertreter einer Epoche. Die Frage, wann beispielsweise der Neorealismus tatsächlich beginnt und endet, wird zur theoretischen Spitzfindigkeit. Die Perioden, die bis jetzt kreiert worden sind, können folglich niemals mehr sein als virtuelle Ränder für die Handhabung im theoretischen Diskurs. Nach welchen Kriterien wird nun aber periodisiert?

Die beiden Autoren nehmen hierfür die bekannten Vertreter dieses Forschungsbereichs unter die Lupe (David Cook, Jack Ellis, David Robinson,) und kommen zu dem Ergebnis, dass jeder von ihnen nach dem Prinzip der Zentralisierung vorgeht und sich dabei immer um ähnliche Kriterien formiert.

David Cook, beispielsweise, schließt kategorisch Dokumentation, Animation und Experimentalfilm aus der Betrachtung aus, mit der Begründung, die Sprache sei im internationalen Film durchweg narrativ. Brunette und Wills wenden hierzu ein, dass die von Cook ausgeschlossenen kinematischen Modi aber ihrem Wesen nach selbst narrativ, die Präferenzierung durch Cook folglich willkürlich gewählt sei. Wenn nun das Ausblenden von vermeintlich Unwichtigem willkürlich geschieht, ist auch der Status der Essenz willkürlich.

Durch diese Methode werden die oben genannten Filmhistorien der Reihe nach ihres »Mangels« überführt und die beiden Autoren gelangen so zu der Einsicht, dass der Diskurs über den Film bisher einseitig und unabgeschlossen gewesen sein muss.

Ich möchte an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, um Dekonstruktivismus, wie er in Amerika häufig praktiziert wird, kurz einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. Augenscheinlich wird Dekonstruktion hier vornehmlich bei der Delegitimation und Destruktion von Filmgeschichte zur Anwendung gebracht.

Das Dekonstruieren solcher »Enzyklopädien« ist mit Sicherheit eine der anschaulichsten Arten, die Methode vorzustellen, da Geschichtsschreibung immer auf das verlässliche Datieren aus ist, diese Verlässlichkeit aber illusorisch bleibt. Gerade bei Geschichtsschreibung des Films, wo es mitunter tausende von unberücksichtigten Werken gibt, auf die verwiesen werden kann, ist dieses Geschäft sehr einträglich. Schließlich ist die Datierung eines gewissen Paradigmenwechsels im Film nicht so eindeutig zu treffen, wie beispielsweise die Ereignisse des 11. Septembers. Dass sie es doch tun, zeigt ihr Streben nach Orientierung in einem Mediendschungel, den man jetzt kaum noch zu überschauen in der Lage ist. Eine Historie zu dekonstruieren mag möglich sein, aber ist sie auch notwendig? Meiner Meinung nach verliert es gehörig an Witz, Dekonstruktion auf diese Art zu demonstrieren.

Wo ist das eigentlich konstruktive Moment, das diese Denkweise erst lebensfähig macht? Dekonstruktion will nicht widerlegen, sondern aufzeigen, wo die jeweilige Theorie endet, was sie ausblendet, um ihr dann etwas hinzuzufügen. Kann Dekonstruktion nun als zweckgebundene Methodenlehre für Theoretiker/Historiker verstanden werden? Es ist problematisch, aus einer in letzter Instanz dekonstruktiv/konstruktiven (Derrida schreibt: De-kon-struktion) Denkart ein reines Aufzeigen der Schwachstellen, oder des archimedischen Punktes, von Theorien zu machen?

Denn was Brunette/Wills hier tun, ist nichts anderes als ihrerseits eine Gattung zu etablieren, eine Grenze zu ziehen und eine Norm zu wahren. Zentralisieren sie sich nicht ebenfalls um genau die Elemente die sie dekonstruieren möchten? Warum unterbreiten sie uns keinen konstruktiven Gegenvorschlag, beispielsweise eine »Filmgeschichte des Unwesentlichen.«

Es ist bei Derrida ja nun einmal nicht so, dass die Unentscheidbarkeit, die der Umstand des begrifflichen Verschiebens nach sich zieht, die Struktur zerstört, es ist lediglich so, dass einfach nicht mehr entscheidbar ist, wo es ein Zentrum der Struktur überhaupt geben soll. Derrida bejaht die Existenz eines Zentrums geht aber davon aus, dass die finale Deutung dieses Zentrums deshalb nicht funktioniert, weil dieses sich im ständigen Spiel der Differenzen befindet. Jede Festlegung auf ein Zentrum ist ein Erdachtes. Wenn aber dieses Zentrum nur ein Erdachtes ist, wie sich aus »Die Schrift und die Differenz« folgern ließe, ist so auch die Struktur selbst erdacht? Das Erdachte wird zur Grenze des Entscheidbaren, wo und wie aber das wahre Zentrum liegt, bleibt unentscheidbar, bleibt nur angedeutet, lässt sich nur im Aufschub, im Zurücktreten, im Erinnern vermuten. Darum bewegt sich Derrida auch gerne in seiner eigenen metaphorischen Terminologie. Die Metapher schließt das Unsagbare ein, ohne es jedoch explizit machen zu können. Das ist das konstruktive Moment, das hier außer acht steht.

Auch der vorliegende Text hat nur ein virtuelles Zentrum. Somit fällt er selbst wieder in den Bereich der Metaphysik zurück, wird diskursiv erfassbar, deutbar, erweiterbar, aber niemals im engsten Sinne verstehbar sein. Die Struktur bleibt beständig geöffnet. Aber erst diese Öffnung des Textes erlaubt es demjenigen, der den Text ließt, überhaupt einen Sinn an das Gesehene zu heften. Die Struktur ist also kein überkommenes Element der Philosophiegeschichte, das es zu überwinden gilt, indem das die Struktur organisierende Zentrum destruiert wird; vielmehr »stellt eine Struktur, der jegliches Zentrum fehlt, das Undenkbare selbst dar.« (Derrida, Die Schrift und die Differenz, S. 422)

derrida/Derrida

»Je voudrais faire une remarque préliminaire
sur le caractère totalement artificielle de cette situation.«
(Derrida, Derrida)

Derrida hatte, bevor er mit diesem Satz ein Interview in derrida einleiten konnte, schon in zwei Filmen als Akteur mitgewirkt – in Ken McMullens: Ghost Dance und in Safaa Fathys Dokumentarischem Film: D’ailleur Derrida. Derrida von Amy Ziering Kofman und Kirby Dick bildet die vorläufig letzte Stufe einer Reihe von Transformationen, desselben Themas.

Mit dem oben zitierten Satz beginnt er im Film ein Gespräch, mit einer ihm gegenüber sitzenden Person – der Stimme nach zu Urteilen mit Amy Kofman – die aber nicht im Bild zu sehen ist. Ihre Stimme ist der einzige Zeuge ihrer Präsenz im Bild; ihre Abwesenheit wird durch ihre Stimme markiert. Genau darin liegt ein wesentlicher Teil der Derrida’schen Theorie: Die Stimme aus dem Off ist ein Zeichen für die abwesende Präsenz von Amy Kofman. Das vom Bild Ausgeblendete ist durch die Tonspur im Film mit enthalten. Der Rahmen des Bildes wird dadurch erweitert. Warum hält er die Situation aber für so künstlich?

Der Philosoph selbst ist in der Szene zu sehen (und zu hören), und man würde vermuten, dass die Bilder echt sind. Ein Grund für die Einschränkung könnte sein, dass nichts von dem was im Film gesagt oder getan wird, sich in dem Sinne wiederholen kann, indem es aufgezeichnet worden ist. Das filmische Ereignis ist ein Zeuge für einen kleinen Ausschnitt aus dem Zeitstrom, der auf Celluloid gebannt werden konnte. Die Bilder sind bereits Vergangenheit, werden ins Vergangene gezogen, sobald sie entstehen. Der Schnitt, die Montage kurz alle editorischen Operationen sind eine Interpretation des Materials durch die Regisseure, oder im weiteren Sinne, durch den medialen Apparat. Trotzdem erweckt das filmische Bild, eben durch seine Nähe zum Sujet, immer den Eindruck des Unmittelbaren. Besonders bei einem dokumentarischen Werk, das ja von sich aus auf Authentizität bedacht ist, wird eine gewisse Unmittelbarkeit spürbar. Aber selbst wenn Derridas Gebaren in diesem Moment angespannt oder für ihn untypisch sein sollte, so bleibt es doch Derrida, den man sprechen hört und sieht, den man identifiziert.

Genau in dieser angenommenen Authentizität liegen Derridas Bedenken. Das Medium – im weitesten Sinn des Begriffs – wird zum Ort der Simulation eines vermeintlich realen Systems. Es forciert in einem bestimmten Rahmen das Gespräch, indem es Derrida über Dinge sprechen lässt, die er auf diese Art und Weise – in diesem Modus der Technik und des Stereotypen, der von einem bestimmten kulturellen Rahmen bedingt ist – nicht diskutiert hätte. Bleibt aber unter diesen Bedingungen Derridas Aussage nicht auch im Bereich der Simulation verhaftet?

Ein erweiterter Grund könnte sein, dass die Künstlichkeit der Szene auf die Künstlichkeit des Films zurückzuführen ist. Wenn der Film künstlich ist, stellt sich recht schnell die Frage nach der Authentizität des Gezeigten. Diese Bedenken werden auch visuell thematisiert: In derrida sind einige Szenen aufgeführt, die den Vorgang des dokumentarischen Filmens von Außen zeigen. Der Philosoph sitzt beispielsweise, an einer Stelle des Films in seinem Wohnzimmer, während eine Kamera von außen durch die Fenster das Filmteam bei der Arbeit mit Derrida zeigt. Kirby Dick sagt dazu im DVD-Kommentar »We introduced the problems and the concepts of media […].«

Das Problem wird an einer anderen Stelle weiter deutlich, die Derrida vor einem Fernsehgerät zeigt auf dem ein Interview zu sehen ist, das einige Tage zuvor mit ihm geführt worden war. Später wird dieses Motiv wieder aufgegriffen und man sieht Derrida erneut, dieses mal wie er vor dem Fernsehgerät sitzt, sich eine Szene ansieht, in welcher er vor dem Fernseher sitzt und sich das Interview ansieht, das einige Tage zuvor mit ihm geführt worden war.

Die Unnachgiebigkeit, mit der der Rezipient bei einer solchen Szene auf das Nicht-Authentische hingewiesen wird, wird auch in Derridas Einleitungssatz deutlich. Er scheint fast warnend darauf hinzuweisen, dass gezeigte nicht zu überschätzen. Einige Szenen später folgt eine Erklärung aus einem zitierten Interview: »Selbst wenn man vor einer Kamera oder einem Mikrofon improvisiert, so gleicht man einem Bauchredner oder überlässt es einem anderen, die Schemata oder Sprache wiederzugeben, die bereits da sind. Viele Vorschriften sind in unseren Köpfen, unserer Kultur vorgeschrieben. […] Und da, wo improvisiert wird, kann ich mich selbst nicht sehen.« (Unpublished Interview 1982) Die gesamte Szene und damit auch Derridas eigene Handlungen und Improvisationen sind bereits durch kulturelle, technische Vorschriften kontaminiert; das Medium beherrscht Derrida im Moment des Gefilmt-Werdens.

Gerade durch diesen Hinweis auf die Autorität des Mediums im Film ergibt sich eine neue Gelegenheit die Bilder zu sehen. Gezeigt wird nämlich in erster Linie Derrida, wie er irgendwann einmal gewesen sein könnte. Wenn nun aber der visuelle Abdruck seiner Person, oder genauer, der, seiner formalen, eventuell idealisierten Gestalt, die sich auf dem Celluloidstreifen eingeschrieben hat, die Eine, die visuelle Seite eines Zeichens wäre? Müsste es dann nicht etwas geben, worauf dieses Zeichen verwiese? Was wäre dieses Etwas? Würde diese sinnlich wahrnehmbare Seite nicht auch ein intelligibles Pendant vermuten lassen? Und läge dadurch der Inhalt dieses Verweises nicht in der Person Derrida selbst?

Derrida verweist auf etwas durch Derrida. Er wird selbst zur Schrift, durch die der Rezipient mit Derridas Rede, seinem Schreiben, seinem Denken, seinen Texten und schließlich mit Text überhaupt, in Verbindung treten kann. Die Gestalt Derridas ist ein Verweis auf Derrida im weitesten und im engsten Sinne. Eine absolute Trennung von Derrida und derrida wird fragwürdig. Alles was er außerhalb des Films repräsentiert, ist dadurch auch im Film selbst enthalten. »Die Abwesenheit eines transzendentalen Signifikats erweitert das Feld und das Spiel des Bezeichnens ins Unendliche.« (Derrida, Die Schrift und die Differenz, S. 424) – Avenir.

Kofman/Dick zitieren beispielsweise aus verschiedenen Texten des Philosophen und holen so die außerhalb des Filmes sich befindlichen (englischen) Werke explizit in den Film: Archive Fever; Circumfession; Dissemination; Ear of the other; Gift of Death; Memories for Paul de Man; Points. Jede dieser Schriften deutet ihrerseits auf seine Originalfassung, die wieder auf andere Schriften verweist, die wieder auf andere Schriften verweisen: Der Text wird zum unendlich sich erweiternden Netzwerk, dessen virtuelles Zentrum in unserem Fall derrida ist. Die Kamera, die sich selbst filmt, ist die visuelle Umsetzung dieses Spiels, das die Linearität des Films im hypermedialen Äther aufzulösen scheint. Die Erweiterung des Films über seinen Rahmen hinaus ist also zunächst ein Prozess des Verweises auf das vom Film Ausgeblendete. derrida versucht durch Zitation, das Einblenden von Werkstiteln und das zeigen verschiedener Räume und Zeiten dieses Netzwerk deutlich zu machen: Es gibt keinen Text, der nicht mit einem anderen Text in Verbindung steht.

Der Film ist folglich ein Element der Sprache, ist selbst sprachlicher Code und damit sein eigenes Supplement. Umgekehrt ist die Schrift mit dem Bild verwandt, man spricht ja mit unter auch vom Schriftbild. In der Literatur beispielsweise zeigt Arno Schmidt eindrücklich die Verwandtschaft der Schrift zum Bild. »Zettels Traum« sei hier am Rande erwähnt. Die Künstlichkeit die Derrida anmahnt wäre demnach auf den materialen Teil einer Sprache des Films bezogen. Er ist also von der Seite der Technik, der techne her gedacht.

Technik ist aber die Terminologie eines bestimmten Glaubens: der Glaube an die Autorität der Technik; an das Gesetz der Technik. Wie steht es aber mit dem Rest, der keine Erwähnung findet?

Das Gesetz des Apparats

Ein Begriff, der von Derrida in Bezug auf die Technik des Films genannt wird und der für unsere Betrachtung interessant sein wird, ist der des kinemato-graphischen Apparates (Cahier du Cinema). Der Apparat ist nicht nur ein paradigmatischer Begriff zur Kennzeichnung der Materialität des Mediums; er weist auf die Domäne des Technischen hin, von der das Kino abhängt, und damit auch auf die Kunst und die Schrift. Der Apparatbegriff hat in der Geschichte seiner theoretischen Behandlung vielfältige Interpretationen erfahren, auf die der Terminus mit unter anspielt:

Baudry verwendet den Begriff um die Technik des Kinos mit den Mechanismen des Unterbewussten zu vergleichen: Die Ideologie des Apparates wird – genau wie in der Psychoanalyse – immer dann deutlich, wenn der Apparat fehlerhaft arbeitet. Anschlussfehler, Filmrisse, etc. sind Indikatoren für ein Durchscheinen der Ideologie; wie der Traum, der Versprecher oder der Witz bei Freud Anzeichen für ein unbewusstes Bloßlegen innerer Vorgänge sind. Jede künstlerische Tätigkeit bedarf der Technik, die sie realisiert. Sie ist aber gleichzeitig einem Gebrauch durch den Menschen unterworfen, der sie seinerseits wiederum nach der Art und Weise ihrer Einrichtung gebrauchen muss. »Zwar tut der Apparat was der Fotograph will, aber der Fotograph kann nur wollen, was der Apparat kann.« (Flusser, Ins Universum der Technischen Bilder, S.24). Im Film ist diese Verbindung von Apparat und Kunst am deutlichsten zu spüren. Der Film unterliegt zwar der künstlerischen Kontrolle, aber die Kunst ist abhängig von der Art und Weise, wie der Apparat eingerichtet ist.

Folgt man Adornos Kulturkritik wird deutlich, dass aber gerade die Technik, in Form globaler Re-Produktionsmechanismen, den Anspruch der Kunst auf Zweckfreiheit beschädigt, wenn nicht sogar verhindert. Der Warenwert wird zum Kriterium, der Produktion, der Vermassung und der profitablen Distribution. Der Apparat zwingt dem Kunstwerk einen Kulturwert auf und entlässt es in teleologische Verflechtungen. Andererseits liegen genau in diesen Mechanismen die Anfangsgründe des Films (und natürlich auch von anderen Künsten). Ohne die Bereitstellung von Produktionsmitteln in Form technischer Vorraussetzungen gäbe es keinen Film. (Man wird an dieser Stelle sicherlich einwenden können, dass es letztlich Sache des Künstlers sei dem Material seine Form zu verleihen, es ins Werk zu setzen. Genau dieses ins Werk setzen ist aber die Dimension des Technischen, denn techne bedeutet ja gerade die Fertigkeit eine Kunst auszuüben. Ohne Technik gibt es keine Kunst. Die Vermassung vermindert das Ästhetische Material (vor allem das Fernsehen trägt dazu bei), aber Kunst wird ein Werk nicht im Augenblick seiner Vermarktung, sondern im Augenblick da es entsteht. »Kunst ist das, was neu ist.« (Beuys))

Benjamin spricht dem Film als Kunstform ähnliche Qualitäten zu wie Adorno. Der Film als technisch reproduzierbares Werk verliert, durch die Fähigkeit sich einem Vermassungsprozess zu unterwerfen (»Die technische Reproduzierbarkeit der Filmwerke ist unmittelbar in der Technik ihrer Produktion begründet.« Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, S. 359.), seine Echtheit – die Aura. Benjamin versieht jedoch diese Zweckentfremdung der Kunst mit positiven Vorzeichen, da der Zuschauer dadurch nun zerstreut ins Kino gehen kann, und sich so ein politisches Bewusstsein herausbildet, das schließlich zur Revolution führt. Nur im unmittelbaren Angesicht eines Kunstwerks spürt der Betrachter noch dessen überweltliche Präsenz und weiß um den Mehrwert, das Göttliche, wenn man so will, der Kunst. Bei Adorno ist die Rede von einem Vertrag, den der Betrachter mit dem Kunstwerk eingeht: Der Rezipient spricht mit dem Werk und lässt das Werk für sich sprechen.

Was all diese Theorien gemeinsam haben (diejenige Derridas eingeschlossen), ist die Grundannahme, dass der Film, das Werk, das Medium, stets autoritär auftritten gegenüber dem, was es re-präsentiert. Die Re-Präsentation ist demnach eine psychologische, ideologische, soziologische oder technologische, in jedem Fall aber eine logo-/ethnozentristische.

In der Repräsentation »überträgt [sich] die Sache in ihr Doppel (das heißt bereits in eine Idealität) für ein anderes, und die vollkommene Repräsentation ist immer schon anders als das, was sie verdoppelt oder re-präsentiert.« (Grammatologie, S.500). Dieselbe lässt sich analog zum sprachlichen Zeichen also in einen Repräsentanten und ein Repräsentat aufspalten. Der Repräsentant ist die materiale Seite des Films. Das Repräsentat aber wäre demnach die Bewegung dieser Simulation, der Geste des Films – die Performanz. Was will aber die Performanz zeigen, oder anders gesprochen was will sie sein? Die Antwort ist schlicht: Sie will echt sein.

Sie will echt sein um die inneren Vorgänge die obenangesprochen wurden und die durchweg explizit gemacht werden können, zu verdecken und dadurch authentisch zu wirken. Diese Echtheit kommt im Streben nach der Authentizität der Geste selbst zum Ausdruck.

Baudrillard gibt in »Videowelt und fraktales Subjekt« einen passenden Hinweis dafür: »Was die Menschen auf den Bildschirmen ihrer Textverarbeitungssysteme oder ihrer Mikrocomputer erkennen, oder zu erkennen glauben, ist nichts anderes als der Prozess ihres eigenen Gehirns.« (ars elektronica, S.117). Der Apparat und insbesondere der kinematographische Apparat sind am menschlichen Maßstab gemessen. Der Sinn, den der Apparat, und damit das Artifizielle, erzeugt, ist also immer auch vermischt mit dem Sinn, den die Geste hervorruft. Diese ursprüngliche Geste ist die des »Akteurs.«

Weil Derrida, wie er selbst behauptet, vom kinematographischen Apparat immer beeinflusst ist und dessen Autorität gleichzeitig anerkennt, indem er sie entweder explizit macht oder durch Improvisation zu umgehen versucht, ist er ihm unterworfen. Er ist nicht nur äußerliches Symptom, sondern ist bereits als Idee in Derridas Nachdenken vorgezeichnet. Es besteht zwischen Derrida und derrida demnach also ein kommunikatives Verhältnis, damit derrida überhaupt als autoritärer Apparat verstanden werden kann. Gleichzeitig gibt es aber zwischen beiden eine Differenz, denn »die vollkommene Repräsentation ist immer schon anders als das, was sie verdoppelt oder re-präsentiert.«

Derrida kann der Autorität des Apparates somit nie völlig Folge leisten. Diese Differenz deutet sich auch im oben beschriebenen Verweisprozess an. Wäre sie nämlich nicht vorhanden, dann würde es nicht den Verweis brauchen, dem der Film seine Urteile verdankt.

Damit Derrida die Herrschaft des Apparates überhaupt versteht, muss er die Differenz überbrücken; die Autorität wirkt nicht unmittelbar, denn »[die] Unmittelbarkeit ist abgeleitet. Alles beginnt durch das Vermittelnde.« (Derrida, Grammatologie, S. 272). Diese Vermittlung kann er nur erreichen, indem sich etwas zwischen ihn und den Apparat schiebt, indem er ihn interpretiert, ihn deutet; seine Deutung aufschiebt und erweitert. Das Verständnis, das er dem kinematographischen Apparat entgegen bringen muss, ist eine Interpretation dieser Differenz. Die Interpretation ist ihrerseits wiederum ein von beiden Parteien verschiedenes Gebilde.

Demnach sind aber die Gesten, die Derrida im Glauben an diese Interpretation macht, selbst von diesen Interpretationen geleitet; jene stehen zwischen dem Medium und Derridas ursprünglichen Gesten. Sie sind das Vermittelnde, das immer schon am Apparat partizipiert. Der Apparat muss interpretiert werden damit er seine Herrschaft überhaupt etablieren kann; er muß sich aber auch an die Gesten halten, um Derrida authentisch zu re-präsentieren. Die Herrschaft nicht nur über Derrida, sondern auch über den Apparat, geht also von der Interpretation aus. Folglich ist die Kontrolle, oder der Zwang, die Herrschaft oder Autorität, nicht im Apparat zu finden, sondern in Derridas eigener notwendiger Interpretation davon. Die Interpretation ist das Gesetz, das der Apparat dem Akteur auferlegt. Eine Interpretation im Sinne der Technik. Aber das Gesetz selber ist Interpretation. Eine Interpretation der Interpretation; ein Gesetzt des Gesetzes des Apparates.

Verdächtigung eines Verurteilten

Vor dem Abschluss, zu dem ich nun komme, gäbe es noch viel zu sagen. Die Urteile, die sich hier im Abschluss ankündigen, bleiben bis zu ihrer Ankunft abwesend. Sie sind noch nicht Gegenstand des Urteils; sie sind Vorurteile. Sie werden aber verdächtigt etwas zurückzuhalten, dass dem Diskurs bisher fremd war und werden genötigt ihre Ankunft darum anzumelden. In diesem Sinne sind sie aber bereits verurteilt – zur Ankunft verurteilt um den Diskurs zu erweitern. Darum begnüge ich mich mit dem Zurücktreten und dem Aufschub der Urteile. Ich erwarte ihre Ankunft und bin gespannt was da kommen wird – Avenir.

Filme

  • Kofman, Ziering Amie und Dick, Kirby: Derrida, 2003.
  • Fathy, Safaa: D’ailleurs Derrida, 1999.

Arbeiten von Jacques Derrida

  • Derrida, Jacques: Grammatologie, übers. von Hans-Jörg Rheinberger und Hans Zischler, Frankfurt am Main 1974.
  • Derrida, Jacques: Die Struktur, das Zeichen nd das Spiel im Diskursder Wissenschaften vom Menschen, in: ders.: Die Schrift und die Differenz, übers. Von Rodolphe Gasché, Frankfurt am Main 1976.
  • Derrida, Jacques: Das Gesetz der Gattung, in: ders.: Gestade, hg. von Peter Engelmann, Wien 1994.
  • Derrida, Jacques: Positionen. Gespräche mit Henri Ronse, Julia Kristeva, Jean-Louis Houdebine, Guy Scarpetta, hg. von Peter Engelmann, Graz / Wien 1986.
  • Derrida, Jacques: Einige Statements und Binsenweisheiten über Neologismen, New-Ismen, Postismen, Parasitismen und andere kleine Seismen. Dt. von Susanne Lüdemann, Berlin 1997.

Andere Arbeiten / Kritische Literatur

  • Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie, in: ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. von Rolf Tiedemann, Band 7, Frankfurt am Main 2003.
  • Adorno, Theodor W; Horkheimer, Max: Kulturindustrie, in: ders.: Dialektik der Aufklärung, Frankfurt am Main 1969.
  • Barthes, Roland: Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie, übers. von Dietrich Leube, Frankfurt am Main 1989.
  • Baecque, Antoine de und Jousse,Thierry : Jacques Derrida: Le Cinéma et ses fantômes. In:
  • Cahiers du Cinéma, April 2001, S. 75 – 85. Dt. Übers.: www.txt.de/b_books/cahiers-derrida.de. Ars electronica, hrsg. Merve Verlag, Berlin 1989.
  • Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, in: ders.: Medienästhetische Schriften, Frankfurt am Main 2002, S. 351-383.
  • Brunette, Peter and Wills, David: Screen/Play. Derrida and Film Theory, Princeton / New Jersey 1989.
  • Culler, Jonathan: Dekonstruktion. Derrida und die poststrukturalistische Literaturtheorie, hg. von Burghard König, Hamburg 1999.
  • Flusser, Vilém: Im Universum der Technischen Bilder, Göttingen 1992.
  • Vogel, Amos: Film als subversive Kunst. Kino wider die Tabus – von Eisenstein bis Kubrick, hg. von Georg Weidenfeld, Hamburg 2000.
  • Zima, Peter V.: Moderne/Postmoderne. Gesellschaft, Philosophie, Literatur, 2. überarb. Auflage, Tübingen/Basel 2001.

Über den Autor:

Florian Reinacher, geboren 1979 in VS-Dauchingen, lebt in Köln und studiert derzeit Philosophie und Germanistik an der Universität Bonn. In der vorliegenden Ausgabe der F.LM gibt er sein Debüt als Autor. Neben dem Schreiben widmet er seine Zeit der Musik, insbesondere dem eigenen Elektronikprojekt waschraum-productions.

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