Glaubensbekenntnis

Es ist einer der ältesten Stoffe der Kinogeschichte – doch der Plot ist nicht nur deswegen hinreichend bekannt: Die Passion Chrsti. Die vier Evangelien des Neuen Testaments erzählen die letzten Stunden im Leben Jesus Christus’. Die Schilderungen darin sind bislang obligatorisch für jeden Jesusfilm gewesen, geht aus ihnen doch das zentrale Motiv des Christentums hervor, dass einer für die Sünden aller gestorben und wieder auferstanden ist. Einer im Wortsinne „dogmatischen“ Interpretation des Leidensweges bis zur Wiederauferstehung folgt Mel Gibsons dritter Spielfilm, bei dem er nicht nur selbst Regie geführt hat, sondern auch das Drehbuch mitschrieb und produziert hat. Gibson, der mehrfach betont hat, dass sein Film eine „christliche Überzeugungstat“ für ihn darstellt, verlässt sich dabei voll und ganz auf die Aura und das mythische Potenzial seines Stoffes … und versagt.


Die Passion Chrsti wird zerrieben zwischen dem Anspruch an Authentizität der historischen Darstellung und dem Anspruch, eine Glaubenswahrheit zu formulieren, die nicht der Aussagenwahrheit („So ist es gewesen.“) folgt. Man muss gar nicht in eine vulgäre Kritik am christlichen Wunderglauben verfallen, um sich die Frage zu stellen, warum Gibson wohl den Teufel auftreten lässt oder das Ohr-Wunder im Garten Gethsemane mitinszeniert, wenn er gleichzeitig aufwändige Nachforschungen über die „damals gesprochene“ Sprache, das soziale und politische Gefüge im besetzten Judäa, überhaupt über den gesamten historischen Kotext des Neuen Testamentes anstellt. Diese Sehnsucht nach Authentizität geht soweit, dass Gibson seine Protagonisten Aramäisch und Vulgärlatein (beides phonetisch rekonstruiert) sprechen lässt und der Verleih Constantin an die geladenen Pressevertreter einen GEO-Essay „Wer war Jesus?“ verteilt.

Bei all der manischen Beschäftigung mit den historischen Kontexten der Erzählung muss es Gibson entgangen sein, dass auch ein Stoff wie dieser nicht ohne Erzählung goutierbar ist. In den letzten 15 Stunden von Jesu Leben ist eine Menge geschehen, von dem der Film aber leider nur wenig zu zeigen vermag. Anstelle dessen hält sich Gibson mit Naturalismus über Wasser: Ausführlich und detailliert schildert er, wie Jesus von seinen Häschern brutal verprügelt wird, wie er darauf von den Juden Hannas und Kaiphas verhört und abermals zusammengeschlagen wird, wie er schließlich in einer nicht enden wollenden Sequenz von den Römern fast zu Tode gefoltert wird, wie er im Kerker und auf dem Kreuzweg abermals zusammengeschlagen wird und schließlich – hier geht der Film noch mehr ins Detail – wie er am Kreuz festgenagelt wird. Worin, so fragt man sich spätestens bei der Auspeitschung – mag Gibson den Sinn gesehen haben, seinen Film quantitativ mit fünfzig Prozent Splatter-Szenen zu füllen?

Wohl wieder nur darin, authentisch zu sein … oder vielleicht von den oben beschriebenen narrativen Schwächen abzulenken. Zu denen gesellen sich auch inszenatorische. Nahezu grobmotorisch fängt die Kamera unter Leitung von Caleb Deschanel, der hier zeigt, was er bei Zusammenarbeit mit Gibson und Roland Emmerich in Der Patriot gelernt hat (nämlich optische Brachial-Glorifizierung von Einzelpersonen), die Bilder des Leidens ein. Fast schon voyeuristisch nähert sich der Blick den Verwundungen und Wunden des Gefolterten, ganz so, als könne auf diese Weise das Leid noch besser verdeutlicht werden. Ansonsten dümpelt die Optik zwischen reinem Zeigen und hin und wieder einer Slow-Motion-Aufnahme zum Hinweis auf ein bedeutsames Detail – leider die einzige visuelle Finesse, die Die Passion Christi anzubieten hat.

Die Charakterisierungen halten sich ebenfalls sehr nach ans „Drebuch der Bücher“ – mit der Ausnahme, dass den Römern, allen voran Pilatus, wesentlich mehr Ambivalenz im Umgang mit dem zu Verurteilenden zugesprochen wird. Wohingegen die Juden als eindeutig böse und „von Gott zu bestrafen“ konnotiert werden. Der Vorwurf des Antisemitismus, der dem Film verschiedentlich entgegengebracht wurde, speist sich wohl nicht zuletzt aus dieser Eindimensionalität. Ein Antisemitismus, wie er ähnlich für Harlans Jud Süß nachgewiesen wurde, ist bei Die Passion Christi jedoch nur mit äußerstem Argwohn auszumachen – vielmehr scheint es so, dass Gibson bei all seiner Nähe zum Stoff diese Lesart wohl gar nicht in den Sinn gekommen sein mag: Das Neue Testament schildert die Juden so, wie er sie zeigt … oder umgekehrt.

Die Passion Christi ist bereits vor dem Bundesstart (ja, sogar vor dem Start in den USA) in aller Munde gewesen: Die definitive Glaubenserfahrung soll er sein, vom Vatikan als „Triumph der Kunst und des Glaubens“ mit Vorschusslorbeeren überschüttet und ob seiner Authentizität als „mutig“ apostrophiert. Dem kritischen, eher cineastisch als religös motiviertem Kinogänger drängt sich jedoch schnell der Verdacht auf, dass sich hinter der Erzählung und den Splatter-Effekten ein naiver, uninspirierter Film eines wohlhabenden Kirchgängers verbirgt, der glaubte, nur weil er kann, sollte er auch …

Die Passion Christi
(The Passion of Christ, USA 2004)
Regie: Mel Gibson; Buch: Mel Gibson & Benedict Fitzgerald
Kamera: Caleb Deschanel; Schnitt: John Wright; Musik: John Debney
Darsteller: Jim Caviezel, Monica Belucci, Maia Morgenstern, Sergio Rubini u. a.
Verleih: Constantin; Länge 127 Minuten

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