Während du schläfst …

Was gibt es „unfilmischeres“ als einen schlafenden Menschen? Andy Warhol hat das 1963 fünfeinhalb Stunden in seinem Film „Sleep“ vorgeführt. Wenn der Protagonist sich nicht bewegt, nicht agiert, nicht reagiert, ist schlicht kein Spielfilm mit ihm zu machen – zumindest keiner, in dem er der alleinige Erzählgegenstand bleibt. So ist Warhols Film dann auch eher ein Experiment und ästhetische Provokation. Einen Thriller um einen schlafenden hat 2007 der US-amerikanische Regisseur Joby Harold als Debüt vorgelegt: „Awake“ insinuiert vom Titel her genau das Gegenteil von dem, worum es im Film geht.

Nämlich um den zunächst hellwachen, herzkranken Milliardärsjüngling Clay Beresford (Hayden Christensen), der sich von seinem besten Freund, dem Chirurg Jack Harper (Terence Howard), ein Herz transplantieren lassen will. Danach soll ein neues Leben für Clay beginnen – an der Seite seiner bis dahin geheim gehaltenen Verlobten und dann Ehefrau Sam (Jessica Alba). Clays Mutter Lilith (Lena Olin) ist gegen den Operateur, der bereits mehrere Verfahren wegen Kunstfehlern am Hals hat und schlägt bringt einen erfahreneren Herzchirurgen ins Spiel. Auch mit der Ehe mit dem einfachen Dienstmädchen Sam ist sie nicht einverstanden, weil sie nicht glaubt, dass allein Liebe der Grund für das Interesse der Frau ist. Clay setzt sich jedoch durch, legt sich auf den OP-Tisch von Harper, wird narkotisiert – und fällt nicht in Schlaf. Regungslos, doch bei vollem Bewusstsein erlebt er nicht nur jeden Schnitt, den die Ärzte an seinem Körper vornehmen, mit; er verfolgt auch ihre Gespräche und die handeln zu seinem Entsetzen nicht von medizinischen Themen.

Wovon sie sprechen, das soll hier nicht verraten werden, denn das Zentrum der Erzählung von „Awake“ ist nicht, wie die Tagline verkündet, die Unempfindlichkeit gegenüber Narkosemitteln. Vielmehr nutzt der Film dies als eine interessante Voraussetzung von einem physisch still gestellten, psychisch aber extrem aufmerksamen Helden zu erzählen. Clay bleibt zwar die meiste Zeit über reglos auf dem OP-Tisch liegen, doch der Film beginnt ab dann von realen und imaginären Räumen zu erzählen, um seinen Helden doch noch in Bewegung zu versetzen. Man kennt das Prinzip bereits aus „Johnny got his gun“: Auch hier wird von einem hospitalisierten Mann erzählt, der durch eine Bombe Arme, Beine und die Möglichkeit sich zu verständigen verloren hat. Auch Autorregisseur Dalton Trumbo ließ seinen Helden durch imaginierte Räume wandern, lieferte Flashbacks und zeigte den bandagierten Körper nur in wenigen Sequenzen. So verfährt auch „Awake“: Clay benutzt die akustischen Informationen, die er auf dem OP-Tisch liegend empfängt, und seine Erinnerungen, um die Ereignisse, deren Opfer er nun scheinbar wird, zu rekonstruieren.

„Awake“, der zugebenermaßen ein etwas anstrengender, weil zu konstruiert wirkender Thriller ist, gelingt auf diese Weise ein interessanter struktureller Wandel der Erzählung. Der Thriller-Plot, der uns und dem Protagonisten eine heile Welt vortäuscht, um im entscheidenden Moment durch einen Plottwist die Gefahr zu zeigen, wandelt sich in einen Suspense-Plot, in dem wir als Zuschauer mehr wissen als der Held. Während Clay bewegungslos unter dem Skalpell liegt, werden uns die Facetten einer Verschwörung offenbart, die der gelähmte Held erst mental rekonstruieren muss. Dabei mischen sich reale Begebenheiten mit seinen Erinnerungsbildern und metaphorischen Szenen, in denen sein Zustand, sein Leben und sein Denken in Bilder gefasst werden. Unser Blick auf die Außenseite, auf den starren Körper, wird erweitert um einen Blick in die Innenwelten. Die Beschreibung macht sozusagen der Erzählung platz.

Dass das Experiment dann letzten Endes doch nicht glücklich verläuft, liegt daran, dass Joby Harolds mit der originellen Erzähltechnik eine überaus unoriginelle Erzählung verpackt. Nicht nur ist das Ende bereits zu Beginn klar – die Geschichte verschweigt keinen Moment lang, dass sie von der moralischen Wandlung eines übermütigen jungen Mannes zu einem Menschen mit Verantwortung erzählt. Auch durch die Darsteller, die in all ihren Handlungen überaus blass und wie entrückt wirken, wird dem Zuschauer Anteilnahme unmöglich gemacht. Paradebeispiel hierfür ist Jessica Alba, die vor allem damit betraut ist, hübsch auszusehen und den Unschuldsengel abzugeben, als Vexirfigur jedoch vollständig versagt, weil ihr Können und ihre Rolle einfach nicht dafür ausgelegt sind. Lichtblick ist allein Lena Olin, die, obwohl ihre Mutter-Figur klischeeüberladen ist, die notwendige Dramatik und Hilflosigkeit darzubieten im Stande ist. „Awake“ ist also letztlich ein Film, der bei einmaligem Ansehen unterhaltsam wirkt, wenn es gelingt, sich weniger auf das Was als auf das Wie der Erzählung einzulassen.

Awake
(USA 2007)
Regie & Buch: Joby Harold; Musik: Samuel Sim; Kamera: Russell Carpenter; Schnitt: Craig McKay
Darsteller: Hayden Christensen, Jessica Alba, Terrence Howard, Lena Olin, Christopher McDonald u. a.
Länge: 84 Minuten
Verleih: Kinowelt

Die Blu-ray-Disc von Kinowelt

Bild: 2,35:1, 1080/24p FULL HD
Sprachen/Ton: Deutsch (7.1 DTS HD Master Audio), Englisch (5.1 DTS)
Untertitel: Deutsch
Extras: Audiokommentar des Regisseurs, Making of, Deleted Scenes, Storyboard-Film-Vergleich, TV-Spots, Trailer

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