Heute schütte ich mich zu

An apokalyptischen Visonen und Weltuntergangsszenarien hat es dem Kino in den vergangenen Jahren nicht gemangelt und vor allem der Horrorfilm profitierte ganz erheblich von der neuen pessimistischen Grundstimmung nach 9/11. Von London („28 Days Later“) bis nach New York („I am Legend“) ließen Filmemacher die Menschheit aussterben – und in Pittsburgh als Zombies wiederauferstehen. Es erscheint verwunderlich, dass ausgerechnet dem Endzeitfilm, der die Angst vor einer Eskalation des Kalten Kriegs und dem Super-GAU in den Achtzigerjahren widerspiegelte, eine Renaissance bislang verwehrt blieb: trotz  anhaltenden Achtziger-Revivals und genereller Ideenlosigkeit. Mit Neil Marshall hat sich nun endlich ein Regisseur gefunden, um die Erinnerung an das einst so erfolg- und einflussreiche Genre aufzufrischen. Um das Fazit vorauszuschicken: Das Ergebnis kommt einer Grabschändung gleich.

In nicht allzu ferner Zukunft hat eine durch das so genannte Reaper-Virus ausgelöste Seuche dafür gesorgt, dass Schottland komplett ausgestorben ist. Eine gigantische Mauer, die das Land vom Rest der Insel abtrennt, erinnert noch an die überstandene Krise und das rücksichtslose Vorgehen der Armee, die mögliche Überlebende kurz entschlossen opferte, um der Lage Herr zu werden. Doch Jahre später taucht die Seuche in London plötzlich wieder auf. Weil Wahlen unmittelbar bevorstehen und eine Panik vermieden werden soll, erhält die Supersoldatin Eden Sinclair (Rhona Mitra) den Auftrag, in den Ruinen Schottlands einen Impfstoff zu finden. Satellitenbilder zeigen nämlich, dass das ehemalige Krisengebiet mitnichten ausgestorben ist …

Mit seinen beiden Horrorfilmen „Dog Soldier“ und „The Descent“ erwies sich Neil Marshall als akzeptabler Genrefilmer mit Fanboy-Hintergrund. Aber machen wir uns nichts vor: Was einen potenziellen Rohrkrepierer wie „Dog Soldiers“ letzten Endes einzig und allein vor dem Absaufen rettete, waren seine eng gesteckten ökonomischen Grenzen, die Marshall zwangen, sich auf das Wesentliche zu beschränken. Und der deutlich aufwändigere „The Descent“ erforderte dieselbe Beschränkung durch sein enges Raumkonzept, das jedwede Anflüge überbordender Kreativität im Keim erstickte. Vielleicht liegt es daran, dass die Inszenierung von „Doomsday“ nach dieser Askese nunmehr Assoziationen zu einem kleinen Kind im Süßwarenladen weckt. Mit großem Budget ausgestattet, verliert Marshall schon nach kurzer Zeit vollkommen den Überblick und das rechte Maß, zitiert wüst alle seine Lieblingsfilme (u. a. „Die Klapperschlange“, „Mad Max“, „Mad Max 2 – Der Vollstrecker“, „Aliens – Die Rückkehr“) und hetzt seine Hauptfigur, einen Lara-Croft-Ersatz für Vollnerds, quer durch die Set-Pieces, deren planlose Aneinanderreihung er mit Dramaturgie verwechselt. Von kannibalistisch veranlagten, gepierceten und tätowierten Hedonistenpunks, die zum großen Gelage allen Ernstes die Fine Young Cannibals hören und aussehen wie die Besucher einer Mad-Max-Convention, führt die Hatz in die mit Anklängen an Peter Jacksons „Herr der Ringe“-Trilogie inszenierten Highlands und eine Burg, die von den neo-mittelalterlichen Überlebenden um Kane (Malcolm McDowell) bewohnt wird. Zum krönenden Abschluss gibt es dann die seit „Mad Max 2 – Der Vollstrecker“ obligatorische Verfolgungsjagd mit ikonisch überzeichnetem Bond-Auto, in der fast alle Teilnehmer ihr Ende in spektakulären Karambolagen und schlechten Spezialeffekten finden, bevor der Spuk ein längst überfälliges Ende hat, natürlich nicht, ohne noch eine Fortsetzung anzudrohen. Formal in jeder Hinsicht eine Zumutung und stark Augen- und Ohrenkrebs erregend, darf sich „Doomsday“ darüber hinaus der fragwürdigen Leistung rühmen, mit Bob Hoskins und genanntem Malcolm McDowell zwei der charismatischsten und besten noch lebenden britischen Schauspieler in völlig nichtssagenden Rollen zu verheizen.

Wer immer noch nicht genug Argumente zur Hand hat, warum der Tod des mit Uneigentlichkeit nervenden, ach so postmodernen Zitate- und Fankinos schon seit geraumer Zeit überfällig ist, solle sich diesen stil- und geistlos zusammengestümperten Krawallbolzen anschauen. Alle anderen können dieses zweifelhafte Seherlebnis sehr viel effizienter simulieren, indem sie sich kräftig mit einem Hammer vor den Schädel kloppen.

Doomsday
(Doomsday, Großbritannien/USA/Südafrika 2008)
Regie: Neil Marshall, Drehbuch: Neil Marshall, Kamera: Sam McCurdy, Musik: Tyler Bates, Schnitt: Andrew MacRitchie, Neil Marshall
Darsteller: Rhona Mitra, Bob Hoskins, Malcom MacDowell, David O’Hara, Alexander Siddig
Länge: ca. 118 Minuten
Verleih: Concorde

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