Bei Knopps Zuhause

Erinnert sich noch jemand an diese Zorrokostüme, die es früher (immer noch?) für Kinder zu kaufen gab? Meist bestanden diese aus einem schwarzen Umhang, einem Hut und einer Maske, manchmal war auch noch ein Plastikdegen dabei. Das auf dem Hut aufgeklebte „Z“ schien mir als Kind noch akzeptabel, dass Zorro jedoch einen Umhang getragen haben sollte, auf dem sowohl sein Name als auch sein Konterfei prangte, hielt ich damals schon für fragwürdig: Als bedürfe es der unnötigen Bestätigung einer doch unumstößlichen Gewissheit. Mit Xavier „Hitman“ Gens’ Horrorfilm und TCM-Hommage „Frontiére(s)“ und seinen Artgenossen – „Hostel“, „Turistas“, den „TCM-“ und „Hills have Eyes“-Remakes und -Prequels etwa – verhält es sich ganz ähnlich wie mit jenen gutgemeinten Zorrokostümen: Sie verdoppeln gewissermaßen ihren Inhalt, legen ihn offen, holen ihn aus dem Schatten des Impliziten ins grelle Licht des Offenkundigen – und zerstören damit im schlimmsten Fall ihre eigene Prämisse.

Paris im Jahr 2007: Inmitten der Aufstände in den Pariser Banlieus ist eine Gruppe von fünf Jugendlichen auf der Flucht vor der Polizei. Sie haben das Chaos genutzt, um eine Bank auszurauben, mit der Beute wollen sie ihrer Freundin Yasmine (Karina Testa) eine Abtreibung in Amsterdam finanzieren. Eine Entscheidung, mit der Yasmine schon zu hadern beginnt, als ihr Bruder sie kurz vor dem Tod (er war zuvor angeschossen worden) dazu ermutigt, das Kind zu behalten. Die folgenden 90 Minuten bieten Yasmine ausreichend Gelegenheit, den viel beschworenen Wert des Lebens schätzen zu lernen, denn auf ihrem Weg in die Niederlande machen die Freunde dummerweise Halt in einer Pension, die von einer inzestuös durchseuchten Nazi-Kannibalen-Familie geführt wird. Das fröhliche Abschlachten beginnt …

Aus dieser Geschichte hätte sich sicher ein interessanter Film über den europaweit immer deutlicher hervortretenden Rechtsruck machen lassen: Man nehme eine Gruppe Prekariatskinder mit Migrationshintergrund (statt der sonst üblichen Mittelständler) und lasse sie den ganzen Hass einer Welt spüren, die die Gräuel des Zweiten Weltkriegs mehr und mehr zu relativieren und zu verklären beginnt und sich ganz dem Terror der Ökonomie unterworfen hat. Doch leider dient der aktuelle gesellschaftspolitische Kontext lediglich Gens’ perfider Doppelstrategie, seine Vorgänger auf der einen Seite in Sachen Sadismus und Geschmacklosigkeit noch zu übertreffen und sich gleichzeitig gegen Kritiker immun zu machen, die genau dies monieren. Kein Wunder, dass seine Figuren die gesellschaftskritischen Ambitionen Gens’ in Form markiger Statements in den Mund gelegt bekommen: dass Frankreich die neuen USA seien, behauptet etwa eines der Ghettokids, als Präsident Sarkozy über den Bildschirm flimmert. Näher ausgeführt wird diese Behauptung nicht, die Anwesenheit echter (!) deutscher (!) Nazis (!) irgendwo (!) in Frankreich (!) muss als Beleg schließlich reichen.

Bei Gens manifestiert sich das Antlitz des Bösen gleich in einer ganze Schar von Antagonisten, die sich aus dem kompletten Schurkeninventar des modernen Splatterfilms zusammensetzt und schon deshalb nicht als satirische Übersteigerung gegenwärtiger Trends fungieren kann, sondern höchstens als unwitzige Parodie auf filmische Vorbilder. Die Hinterwäldler-Familie steht hier unter der Fuchtel eines greisen, markige Sprüche in gebrochenem Deutsch („Meine Ehre heißt Tröhö!“) absondernden Altnazis, dem die schwangere Yasmine gerade recht kommt, um frisches Blut in die Adern seiner Familie zu pumpen. Die bisher gezeugten degenerierten Kinder fristen derweil ein trauriges tierhaftes Dasein in den Tunneln eines stillgelegten Bergwerks, ernähren sich von den Schlachtabfällen, die der fette schwitzende Metzgermeister der Familie ihnen zukommen lässt, wenn er gerade einmal wieder einen arglosen Touristen filettiert hat. Die Töchter der Familie rangieren von der nymphomanen Superschlampe bis hin zur leicht mongoloid dreinblickenden Kindfrau, die Söhne vom steif-intellektuellen KZ-Manager-Typen bis zum steroidgemästeten Skinhead (Samuel Le Bihan in einer entzückenden Rolle, die an Mickey Rourkes und Sylvester Stallones aktuelle Deformationen denken lässt). Diese Konstellation bietet Raum für zahlreiche Brutalitäten und Geschmacksverirrungen, die in so rasanter Abfolge und ohne jede Zwischentöne aneinandergereiht werden, dass einem das Geschrei und Gekreisch in den letzten zwanzig Minuten bestenfalls egal ist, tatsächlich aber eher den letzten Nerv raubt. Das unbeholfene dramaturgische Patentrezept Gens’: Man nehme eine ganze Menge von Allem, was eklig ist, und klatsche das Doppelte nochmal oben drauf.

Das eigentlich Interessante an „Frontiére(s)“ ist jedoch, dass sich Gens’ plumpes politisches Anliegen angesichts der äußeren Form seines Films, der blinden Geilheit, mit der er seine Protagonisten durch versiffte Hotelzimmer, Leichen- und Folterkammern, Gasöfen, Jauchegruben und unterirdische Höhlengänge und von einer sinnlosen Folterei zur nächsten hetzt, nur um sie letzten Endes dann doch abzuschlachten, völlig ad absurdum führt. Er versagt völlig bei seinem Versuch, dem großen Vorbild „Texas Chain Saw Massacre“, den er mehrfach offen zitiert, Tribut zu zollen: Hooper war es trotz des marktschreierischen Titels und der grotesken Ausgangssituation gelungen, einen unmissverständlichen Subtext zu entwickeln, anstatt wüste Parolen zu grölen. Am Ende erzählt Gens nämlich nicht die Geschichte einer Welt, in der man mit der falschen Hautfarbe, der falschen Herkunft, der falschen Adresse oder der falschen Ausbildung früher oder später zur „Schlachtbank“ geführt wird, sondern die jugendlicher Außenseiter, die doch froh sein können, in ihrem Ghetto nur ab und zu mal eine aufs Maul zu bekommen oder von ihresgleichen noch halbwegs human erschossen zu werden, denn „damals“ wäre man mit Gesindel wie ihnen ganz anders umgesprungen. Mit Zorro, dem alten Staatsfeind und Rebellen hat das nun wirklich nix mehr zu tun. Auch wenn das „Z“ ganz dick vom Hut glotzt.

Frontiére(s)
(Frankreich/Schweiz 2007)
Regie: Xavier Gens, Drehbuch: Xavier Gens, Kamera: Laurent Barés, Musik: Jena-Pierre Taieb, Schnitt: Carlo Rizzo
Darsteller: Karina Testa, Aurélien Wilk, Patrick Ligardes, David Saracino, Maud Forget, Samuel Le Bihan
Länge: ca. 108 Minuten
Verleih: EuropaCorp. Distribution

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