Die Nacht des lebenden Suizidanten

Aus dem Bewusstsein, dass der Horror und das Unheimliche oft als verdichtete und verschobene Motive für latente psychische Zustände gelesen wurden, hat sich in den vergangenen Jahren ein regelrechter Boom des „Veroffensichtlichens“ ergeben. Stand beispielsweise der Vampirismus Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts etwa für die gesellschaftlich verdrängte, individuell aber zusehends aggressiver werdende Sexualität, so wird er in den zahlreichen erotischen und pornografischen Vampirfilm-Hybriden heute dieser Subtilität entkleidet, verliert damit einerseits zwar seine kathartische Funktion, zeigt aber andererseits den Grad an Aufklärung und Emanzipation des Rezipienten über diese latenten Zustände. Dass den Zombiefilm dieses Schicksal auch ereilen würde, war nur eine Frage der Zeit. Der Brite Andrew Parkinson („I, Zombie„, „Dead Creatures„) und ein wenig später der deutsche Regisseur Mathias Dinter („Die Nacht der lebenden Loser“) haben diesen Weg beschritten und aus Zombies Funktionen gemacht. Nun ist „Boy eats Girl“ auf DVD erschienen und macht es Dinter leider allzu genau nach.

boyeatsgirlplakat.jpgHier wie dort ist es nämlich eine Geschichte um Adoleszenz, der das Zombie-Thema aufgepfropft wird: Nathan ist in Jessica verliebt, die er schon seit Kindheitstagen kennt, traut sich aber nicht sie anzusprechen. Kurz vor einem Schulball sorgen seine Freunde dafür, dass es zu einem Rendezvous zwischen beiden kommt, das aber gründlich in die Hose geht und an dessen Ende Nathan glaubt, Jessica spiele mit seinen Gefühlen. Er geht nach Hause, legt sich spaßeshalber eine Schlinge um den Hals – als seine Mutter in sein Zimmer stürmt und einen Unfall verursacht, an dessen Ende Nathan tot ist. Glücklicherweise hat die Mutter zuvor in einer Kirche ein geheimes Voodoo-Buch gefunden und erweckt ihren Sohn zu neuem Leben. Nathan ist jetzt gefühllos, hat Hunger auf Fleisch und legt eine überaus aggressive Sexualität an den Tag, die ihn sofort zum begehrtesten Jungen bei den Schulkameradinnen machen. Doch er ist nun auch infektiös geworden. Alle, die von ihm gebissen werden, verwandeln sich ebenfalls in Zombies. Am Ende sind nur noch Nathan, seine Clique und Jessica übrig und wie durch ein Wunder findet die Mutter Nathans dann einen Weg, die Zombie-Seuche zu beenden.

boyeatsgirl.jpgSelbst das Ende dieser Seuche ist psychologisch-emblematisch aufgeladen. Es ist eine Schlange, die in derselben Gruft wie das Voodoo-Buch beheimatet ist und deren Biss heilt. Über diesen vulgären Phallizismus kann man sich genauso ärgern wie über den Film insgesamt, denn „Boy eats Girl“ nimmt dem Zombiefilm-Subgenre jeden Reiz, wenn er das Thema als Adoleszenz-Metapher instrumentalisiert. Nichts, aber auch wirklich gar nichts anderes hatte schon Dinter mit „Die Nacht der lebenden Loser“ gemacht und war damit gescheitert. „Boy eats Girl“ betritt diesen ausgetretenen Pfad und tut so, als wäre das originell, mischt seinem Film zeitgemäße Rockmusik, übersteigerten Splatter (zeitweilig allzu deutlich von Peter Jacksons Zombiefilm „Braindead“ inspiriert) und sexistischen „Jugendstil“ bei. Ob er damit den Nerv der jugendlichen Zuschauer trifft, kann nur vermutet werden – sein Film wirkt damit jedenfalls überaus unerwachsen. Einzig in der unangenehmen Tatsache, dass die Themenverknüpfung „Jugendsuizid“ und Zombiismus vielleicht dieser Tage den Nerv der britischen Gesellschaft treffen könnten, ist ein interessanter Aspekt des Films zu sehen. Ansonsten hat „Boy eats Girl“ aber weder dem Zombiefilm noch dem „Coming of Age“-Thema etwas erhellendes hinzu zu fügen.

Boy eats Girl
(Irland/UK 2006)
Regie: Stephen Bradley; Buch: Derek Landy; Musik: Hugh Drumm, Stephen Rennicks; Kamera: Balazs Bolygo; Schnitt: Dermot Diskin, Ben Yeates
Darsteller: Samantha Mumba, David Leon, Tadhg Murphy, Laurence Kinlan, Sara James, Mark Huberman, Sarah Burke u. a.
Länge: 77 Minuten
Verleih: e-m-s

Die DVD von e-m-s

„Eine wie keine meats Braindead“ titelt das DVD-Cover auf der Rückseite und ist damit zumindest ehrlich in Bezug auf die Quellen des Films. Die Aufmachung und Ausstattung der Scheibe ist Standard, die Interviews im Bonusprogramm und das Making of suggerieren mehr Substanz als der Film letztlich hat.

Die Ausstattung der DVD im Einzelnen:

Bild: 1,85:1 (anamorph)
Ton: Deutsch (dts, DD 5.1), Englisch (DD 5.1)
Untertitel: deutsch
Specials: Making of, Cast&Crew, Interviews, Trailer, Bildergalerie
FSK: ab 16 Jahren
Preis: n.n.

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