… and hunger will eat our thoughts

Die sozialen Folgen einer Seuche sind ein Gradmesser für Toleranz und Hilfsbereitschaft in einer Gesellschaft. Und wie uns das AIDS-Virus gezeigt hat, ist es zunächst immer die Angst, die regiert, wenn eine tödliche Krankheit umgeht, dann das Misstrauen und schließlich die Ausgrenzung. Aufklärung über die Risiken einer Ansteckung hilft wenig im Umgang zwischen Gesunden und Kranken. Der Film hat in Epidemien und den mit ihnen verbundenen Ängsten daher schon immer reichlich Stoff für das Katastrophen- und Endzeit-Genre gefunden. Nur selten verirrt sich eine Seuche ins Kino und rottet dann nicht ganze Landstriche aus. Andrew Parkinsons Dead Creatures ist eine dieser wenigen Ausnahmen.

Fünf Frauen – eine von ihnen schwer krank, kurz vorm Sterben – leben unerkannt in Londoner Abbruchhäusern und leerstehenden Wohnungen. Sie alle sind mit einem Virus infiziert, der sie nach und nach verfaulen lässt. Ein anderes Symptom der Krankheit: Sie müssen Menschenfleisch essen. Mehr als sechs Stunden ohne „Leichenschmaus“ lässt sie in einen tollwütigen Wahnsinn verfallen, bei dem sie jeden anfallen würden, der ihnen begegnet. Sie tun also gut daran, sich immer ausreichend und regelmäßig zu ernähren, wenn sie weiterhin unerkannt bleiben wollen. Doch jemand ist ihnen auf die Schliche gekommen. Der Vater einer der Frauen verfolgt sie und auch ihre Opfer, die die Angriffe überlebt haben. Denn auch diese werden mit der Kranheit infiziert. Einer von diesen Opfern, ein junger Kerl, infiziert eine Mitschülerin, die von den Frauen gefunden und in die Gruppe aufgenommen und behutsam in die „Regeln“ der Krankheit eingeweiht wird.

Dead Creatures ist – anders als sein Titel suggeriert – kein Zombie-Film der Romero-Generation. Weder sind die Frauen „dead“ noch kann man sie guten Gewissens zu „Creatures“ titulieren. Ihre Krankheit zwingt sie zwar zum Bruch des finalen Tabus, zum Kannibalismus, die Erzählung des Films stellt dieses Menschenfressen jedoch zu keiner Zeit als Akt der Grausamkeit dar. Die Frauen verbindet eine verständnisvolle und vor allem solidarische Freundschaft miteinander, denn – und darin sind sie sich sicher – die Gesellschaft könnte mit ihrer Krankheit nicht umgehen. Daher setzen sie auch alles daran, dass ihre Opfer sterben und nicht verletzt ins Krankenhaus eingeliefert werden. Ihr Dilemma ist nun, dass sie einerseits vom Vater einer ihrer Genossinnen verfolgt werden, der mittels eines Bolzenschussgerätes jeden der „Zombies“ umbringt, nachdem er ihn verhört hat und auf der anderen Seite mit den Infinzierten des Jungen, den sie zwar kennen, von dem sie aber nicht wissen, wo er sich aufhält, umgehen müssen.

Andrew Parikinson erzählt seine Geschichte mit bedächtigem Rhythmus. Ihm scheint die soziale Studie der Infizierten das Hauptanliegen. Zwar sind gerade die Kannibalismus- und Tötungsszenen mit recht drastischen Effekten inszeniert, doch illustrieren diese Effekte mehr die Fatalität der Gruppe, indem sie den Ekel der Situation auf den Zuschauer übertragen. Und so steht Dead Creatures auch weniger in der Tradition vom Romeros Night of the living Dead als in der von Martin. Die Täter sind Opfer der Umstände, sozial nicht akzeptierbar und verfolgt von jemandem, der das Gesetz in die eigene Hand nimmt. Ihre Existenz ist Flucht.

Die Seuche, die Dead Creatures inszeniert, ist keine Epidemie, weil die Infizierten selbst für Quarantäne sorgen. Dass Parkinson gerade eine Frauengemeinschaft in dem Mittelpunkt seiner Erzählung rückt, verleiht dem Film besondere Brisanz, weil dadurch auch die sexuellen Implikationen der Seuche mitschwingen. Ganz bewusst fressen die Frauen nur Männer (als einmal ein weibliches Opfer in die Wohnung gebracht wird, erregt das den Missfallen der Tischgemeinschaft) und ebenso bewusst sucht sich der männliche Infizierte entweder Mädchen oder Homosexuelle als Opfer aus. Damit drängt sich die Assoziation zum AIDS-Thema geradezu auf und macht aus Dead Creatures eine instrospektive Parabel der Infizierten, denen die Gesellschaft permanente Gefährlichkeit unterstellt.

Parkinson bezieht Stellung zu seinem Thema, indem er sich eindeutig auf die Seite der „Täter“ stellt und sie als Opfer kennzeichnet. Dead Creatures weicht damit wesentlich vom Zombie-Thema der 70er und 80er Jahre ab. Seine „Toten“ sind nicht einfach Schießbudenfiguren, die darauf warten, dass jemand mit einem Gewehr daherkommt und sie durch einen Kopfschuss „erlöst“. Sie fordern den Zuschauer (und die Gesellschaft) beständig zur Empathie auf und sind sich darüber im Klaren, dass diese unmöglich einzubringen ist.


Dead Creatures
(GB 2001)
Regie & Buch: Andrew Parkinson
Kamera: Joseph Shepherd
Darsteller: Antonia Beamish, Brendan Gregory, Bart Ruspoli, Anna Swift, Beverly Wilson
Verleih: MTI, Länge: 95 Minuten

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