Ein komischer Vogel

Bevor 1919 das rote Kreuz auf blauem Grund Nationalwappen und -flagge Islands wurde, zierte ein Falke lange Zeit diese Insignien. Noch heute trägt die höchste Auszeichnung des Inselstaates den Namen „Falkenorden“. Ohne Zweifel kommt diesem Tier in Vergangenheit und Gegenwart Islands eine identitätsstiftende Bedeutung zu. Dass dieser Vogel den Titel für Fridrik Thor Fridrikssons jüngsten Spielfilm liefert, stellt also alles andere als eine nur handlungsbedingte Folge dar.

Simon, ein schweigsamer und mysteriöser Amerikaner, reist nach Island, der Heimat seiner Mutter. Er will sein verpfuschtes Leben beenden. Bevor er seinen Plan ausführen kann, trifft er Dúa, eine eigenwillige junge Künstlerin, von der er glaubt, sie könne seine Tochter sein. Nach einem Konflikt mit der örtlichen Polizei, bei dem Simon Dúa mitWaffengewalt zu Hilfe eilt, bleibt dem ungleichen Paar keine andere Wahl als die Flucht aufs Festland. In ihrem Reisegepäck befindet sich ein Islandfalke, einst das begehrteste Exportgut der Insel. In Hamburg will Simon das Tier an reiche Araber verkaufen. Aber Dúa hat ganz andere Pläne …

Islandfalken beginnt mit einem zittrigen Kameraflug: Der Landung eines Flugzeugs auf dem Flughafen von Reykjavik. Und in diesem Moment begibt sich der Film und seine Erzählung auf Augenhöhe. Er schildert ein Island, dass fernab vom Wildnis- und Abenteuer-Klischee soziale Einöde ist. In dem kleinen Ort, in dem sich Simon niederlässt, ist alles bedrückend – mit Ausnahme von ihm und Dúa, die deswegen von den Einwohnern gemieden und gahasst wird. Zwangsläufigkeit steuert der der Film also auf das Zusammentreffen der beiden Protagonisten zu und genauso zwangsläufig kettet er beider Schicksale aneinander. In seiner Konzentration um diese beiden Figuren geraten der soziale Kontext und die Nebendarsteller allerdings gefährlich ins Hintertreff und schon bald sieht sich der Zuschauer mit einem Set von behaupteten Verhaltensweisen und klischierten Figuren konfrontiert. Der Ortspolizist Johann etwa, der anfangs nur von Misstrauen beherrscht zu sein scheint, steigert sein Handeln ins Irrationale, wenn er aus Eiversucht und Rache schließlich Dúas Anwesen niederbrennt und alle ihre Hunde erschießen lässt. Und so sind es weniger die Umstände als der mangelnde Einfallsreichtum des Drehbuchs, der Simon und Dúa schließlich in die Fremde treibt.

Konnte Islandfalken auf der Insel aber wenigstens noch mit seinen Naturbildern beeindrucken (was natürlich vor solch einer Kulisse nie eine Kunst darstellt), so scheitert er, als die beiden in Deutschland ankommen, vollständig. Simons Bemühungen mit der Hamburger Unterwelt Kontakt aufzunehmen, um den Falken zu verkaufen, wirken unglaubwürdig. Die Rotlicht-Gangster sind allenfalls Schemen ihrer selbst und Simons schließliches Aufbegehren gegen sie – in einer der unglaubwürdigsten Schießereien der Filmgeschichte – daher ohne wirkliche dramatische Tiefe. Dúa indes wird vom Drehbuch in den totalen Okkultismus hineinzitiert und in ihrer Motivation und Entwicklung immer unglaubwürdiger.

Einiges in Islandfalken erinnert an Werner Herzogs Stroszek, in dem drei Berliner, bedroht von Kriminellen, aus Deutschland flüchten, in die USA aufbrechen und dort an ihren Wünschen scheitern. Allein die Konsequenz, mit der die Figuren entwickelt werden und auf die soziale Wirklichkeit aufprallen, fehlt Fridrikssons Film vollständig. Zwar wird stets behauptet, das beide etwas suchen und dass Simon und Dúa das Glück abseits gesellschaftlicher Konformität auch finden, doch ist das Scheitern, das aus der Kollision ihrer Wünsche mit der Wirklichkeit entsteht, unglaubhaft.

Daran hat neben der Erzählung vor allem das Spiel der beiden Hauptdarsteller Schuld. Keith Carradines gespielter Simon strahlt war die gewünschte amerikanische Gleichgültigkeit und Entschiedenheit aus, wirkt jedoch in der Beziehung zu den anderen Figuren (vor allem zu Dúa) stes gelangweilt und lustlos. Margrét Vilhjálmsdóttir ist im Gegenteil manisch damit beschäftigt, ihrer Figur Tiefe zu verleihen; ihr steht jedoch ein zu präsenter Carradine und die mangelhafte psychologische Grundierung des Drehbuches im Weg. So bleibt am Ende einzig der Falke authentisch zwischen der eigenartigen Geschichte und ihren „komischen Vögeln“ – und der Eindruck, dass Fridriksson mit seinem Film zwar viel gewollt, aber wenig erreicht hat.

Islandfalken
(Falcon, Island/Norwegen/Deutschland/England 2002)
Regie: Fridrik Thor Fridriksson
Buch: Einar Karason und Fridrik Thor Fridriksson; Kamera: Harald Paalgard; Musik Hilmar Örn Hilmarsson
Darsteller: Keith Carradine, Margrét Vilhjálmsdóttir, Ingvar E. Sigurdsson u.a.
Verleih: Ventura Film; Länge: 96 Minuten.

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