Zwei Filme mit Tomas Milian

Der gebürtige Kubaner Tomas Milian ist einer der produktivsten und bekanntesten Schauspieler des italienischen Exploitationkinos der Siebzigerjahre gewesen. In seinen populärsten Rollen, als kleiner Gauner Monnezza, unkonventioneller Bulle Nico Giraldi (deutsch: Tony Maroni) oder Pistolero Provvidenza, absolvierte er gleich mehrere Leinwandauftritte. Dabei nahm er sich des kleinen Mannes von der Straße an: Sein Monnezza trägt das Herz auf der Zunge, erduldet die Gängeleien des Systems zwar alles andere als leise und gleichmütig, aber doch immer mit großer Geduld, großem Herz und viel Witz. e – m – s hat nun zwei Monnezza-Filme veröffentlicht, die typisch für den sozialkritisch angehauchten Unterhaltungsfilm italienischer Provenienz sind.
schlitzohr.jpgIn Umberto Lenzis „Das Schlitzohr und der Bulle“ holt der Polizist Sarti (Claudio Cassinelli) den kleinen, findigen Gauner Monnezza (in der deutschen Synchronfassung „Maccaroni“) aus dem Knast, um mit seiner Hilfe ein entführtes Mädchen wiederzufinden, das dringend ärztliche Hilfe benötigt. Von Monnezzas Bauernschläue sowie seinen Kontakten auf der Straße erhofft sich Sarti entscheidende Hinweise, doch sein unfreiwilliger Helfer hat durchaus seinen eigenen Kopf. Die Spannung des von Drehbuchautor Dardano Sacchetti als Komödie angelegten Films erwächst aus der Beziehung des überehrgeizigen Polizisten Sarti und dem Taugenichts Monnezza, der sich nur unwillig in seine Rolle als Helfer des Systems, das ihn selbst hinter Gitter gebracht hat, einfindet. „Das Schlitzohr und der Bulle“ ist somit ein Vertreter des eigentlich erst in den Achtzigerjahren als solches in Erscheinung getretenen Buddy-Movies, der ganz in der Tradition des italienischen cinema di dinuncia einen sehr klassenkämpferischen Unterton hat. Mit seiner Minipliperücke, dem Blaumann, den ausgelatschen Flip-Flops und den schlechten Manieren ist Monnezza ebenso Karikatur des kleinen Mannes von der Straße, der durch die grob gestrickten Maschen des italienischen Sozialsystems gerutscht ist, wie Sympathie- und Identifikationsfigur für den Zuschauer. Er fungiert als Führer durch ein Italien, das dem Normalbürger verschlossen bleibt und das sich als Unrechtssystem offenbart, in dem vielen keine andere Möglichkeit bleibt, als kriminell zu werden. In dieser Darstellung des Straßenlebens nehmen viele italienische Filme der Siebzigerjahre beinahe dystopischen Charakter an. Dem Zuschauer bietet sich ein Bild der Gesetzlosigkeit und des Chaos. Dem Staat, hier vertreten durch den Polizisten Sarti, fällt demgegenüber nichts anderes ein, als die singulären Syptome zu behandeln; das System als Ganzes bleibt unverändert. „Das Schlitzohr und der Bulle“ zeigt eine Möglichkeit auf, wie es gehen könnte: Indem Staat und Straße zusammen arbeiten und der eine vom anderen profitiert. Trotz all dieser interessanten Aspekte und eines gewohnt spielfreudigen und urkomischen Tomas Milian bleibt leider nur ein mittelprächtiger Film: Actionspezialist Umberto Lenzi konnte mit der komödiantischen Vorlage offensichtlich nur wenig anfangen und strickte das Drehbuch nach seinen Vorstellungen um, sodass das Ergebnis nicht immer den Eindruck größter Kohärenz hinterlässt.

gangster.jpg„Die Gangster-Akademie“ des Kameramannes Stelvio Massi unterscheidet sich inhaltlich nur marginal von Lenzis Film und mutet ähnlich episodisch an. Monnezza betreibt hier eine kleine Trattoria, verdient sich jedoch etwas zusätzliches Geld, indem er eine Gruppe von Jugendlichen in der Kunst des Taschendiebstahls unterrichtet und sich dafür an ihrer Beute beteiligen lässt. Monnezza ist jedoch kein Materialist, sondern versteht sich eher als moderner Robin Hood; nicht nur, weil er seinen Schützlingen die tägliche Mahlzeit sichert, er schädigt das System dort, wo es gegenwärtig am empfindlichsten ist: am Geldbeutel. Doch wie in „Das Schlitzohr und der Bulle“ steht bald schon das Gesetz in Form des Polizisten Ghini (Luc Merenda) auf Monnezzas Matte. Dieser erhofft sich wichtige Hinweise bei der Aufklärung einer Raub- und Mordserie. Doch Monnezza ist hier anders als in Lenzis Film nicht erpressbar und kann daher auf eigene Faust mitmischen. „Die Gangster-Akademie“ präsentiert eine etwas andere Seite des Monnezza-Charakters, der von Film zu Film neu erfunden wird und keiner Kontinuität unterliegt: In seiner gewohnten Umgebung bewegt er sich sehr viel sicherer als in Lenzis Film und nutzt sein Wissen, um auf eigene Rechnung zu vorgehen. Auch wenn er letzten Endes gegen die ermittelnde Staatsgewalt arbeitet, ist er doch die Sympathiefigur des Films. Hier tritt erneut der antiautoritäre Zug des italienischen Polizei- und Gangsterfilms zutage. Gegenüber dem nur sich selbst verpflichteten Monnezza mutet der an Gesetze und Regeln gebundene Polizist wie ein Verlierer an.

Das Schlitzohr und der Bulle
(Il Trucido e lo Sbirro, Italien 1976)
Regie: Umberto Lenzi, Drehbuch: Dardano Sacchetti, Umberto Lenzi, Kamera: Sebastiano Celeste, Luigi Kuveiller, Musik: Bruno Canfora, Schnitt: Eugenio Alabiso
Darsteller: Tomas Milian, Claudio Cassinelli, Henry Silva, Nicholetta Macchiavelli, Claudio Undari
Länge: 90 Minuten
Verleih: e – m – s

Die Gangster-Akademie
(La Banda del Trucido, Italien 1977)
Regie: Stelvio Massi, Drehbuch: Dardano Sacchetti, Elisa Briganti, Stelvio Massi, Kamera: Franco Delli Colli, Musik: Bruno Canfora, Schnitt: Mauro Bonanni
Darsteller: Tomas Milian, Luc Merenda, Elio Zamuto, Franco Citti, Katia Christine
Länge: 83 Minuten
Verleih: e – m – s

Zu den DVDs von e – m – s

Mit „Das Schlitzohr und der Bulle“ und „Die Gangster-Akademie“ hat e-m-s zwar leider nur zwei durchschnittliche Filme aus dem riesigen Korpus erstklassiger italienischer Krimis auf DVD zugänglich gemacht. Bild und Ton lassen keine Wünsche offen, lediglich die Tatsache, dass „Die Gangster-Akademie“ nur in einer rund zehn Minuten gekürzten Version vorliegt, ist ein Wermutstropfen. Auf spektakuläre Extras muss man ebenfalls verzichten, dafür gibt es Fotogalerien, Trailer und ein informatives Booklet.

Zur Ausstattung der DVDs:
Bild: 2,35:1
Ton: Deutsch, Italienisch (Dolby Digital 2.0 Mono)
Extras: Fotogalerie, Trailer
Länge: 90 Minuten/83 Minuten
Preis: 9,95 Euro

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