Der weibliche Blick

Dem Serienmörderfilm ist kaum noch eine originelle Perspektive abzugewinnen. Neben den zahllosen Varianten des Slasherfilms, den ontologischen Annäherungen an kriminalhistorisch authentische Fälle und den ästhetischen Versuchen, den „Mord als eine schöne Kunst“ zu betrachten, hat es auch immer wieder Filme gegeben, die den Seriemord allein als Plateau für die Auseinandersetzung mit politischen, kulturellen oder moralischen Fragestellungen inszenierten. Er eignet sich deshalb so gut für derlei „Instrumentalisierung“, weil sich in dieser Verbrechensart so viele Fragen und Probleme der Moderne wiederfinden. Karen Moncrieffs „The Dead Girl“ geht der Frage nach, welche Formen von sozialer Interaktion ein bestimmter Mordfall (als ein Glied in einer Serienmord-Kette) nach sich zieht.

poster_lg01.jpgIn fünf Episoden nähert sich Moncrieff Personen und Gruppen an, die in direkter und indirekter Beziehung zu der ermordeten Prostituierten Krista stehen: Eine Frau, die Kristas Leichnam bei einem Spaziergang zufällig findet und deren Leben sich dadurch radikal ändert, eine Frau eines Lagerhausvermieters, die entdeckt, dass ihr Mann tagelang durch die Gegend streift und Frauen ermordet, eine Frau, die den Leichnam Kristas untersucht und darin ihre seit Jahren vermisste Schwester wieder zu entdecken glaubt, die Mutter der Ermordeten, die ihre Tochter identifizieren soll und dabei ihre gemeinsame Vergangenheit zu verarbeiten gezwungen wird und schließlich Krista selbst, die als starke junge Frau und Mutter vorgeführt wird, die sich für ihre Freundin prügelt und aus einer Banalität heraus an ihren künftigen Mörder gerät. „The Dead Girl“ erzählt diese Geschichten nicht in chronologischer Reihenfolge, trennt sie durch Kapitelüberschriften voneinander und zeigt doch, wie sehr sie sich aufeinander beziehen und voneinander abhängen.

dead_girl_9.jpg„The Dead Girl“ ist deshalb vor allem auch ein Film über die Opfer – die lebenden wie die toten. Der Mord an Krista ist eben auch eine soziale Handlung, die Reaktionen nach sich zieht, welche nur allzu oft ausgeblendet werden. Der teilweise mystisch heroisierte Täter, seine Ätiologie und die Jagd auf ihn sind die zentralen Narrative der modernen Kriminalerzählung. Die Banalität, in die „Dead Girl“ den Täter – zumal in irgend einer seiner Episoden und aus dem Blickwinkel seiner Frau berichtet – überführt, geht in eine ganz andere Richtung. Hier wird erfahrbar, was es bedeutet, wenn ein Mensch stirbt, welche offensichtlichen und subtilen Folgen dies nach sich ziehen kann. Indem Moncrieff einige wenige Schicksale (die Anzahl der Episoden ließe sich beliebig vergrößern) ins Zentrum ihres Interesses rückt, erschüttert sie die scheinbar fest gefügten Regeln des Serienmörderfilms mehr als es ein Michael Haneke mit seinem heuchlerischen Interesse an „den Opfern“ (die bei ihm zu reinen Erfüllungsgehilfen des moralischen Zwecks werden) je könnte.

dead_girl_16.jpgÜber diesen äußerst originellen Zugang zum Thema hinaus ist „The Dead Girl“ ein hervorragend komponierter Film, der mit seinen Hinweisen und Metamotiven geschickt umzugehen weiß. Nie vergisst man, um wen sich der Film eigentlich dreht – selbst wenn die einzelnen Episoden teilweise ganz andere Geschichten erzählen. Und selten hat man im Serienmörderfilm eine derartig intensive Darstellung erlebt. Angefangen beim gleichermaßen berückenden und bedrückenden Spiel Toni Colettes in der ersten Episode bis hin zu Brittany Murphey, die das Mordopfer spielt und vielleicht eine der originellsten und erfrischendsten Frauengestalten im „Genre“ der letzten Jahre ist. Es ist kein Zufall, dass es gerade Frauenfiguren sind, die sich im Handlungszentrum von „The Dead Girl“ befinden, wie es wohl auch kein Zufall ist, dass gerade eine Frau solch einen Film drehen konnte. Wenn Frauen, die sich sonst klischeehaft stets als die Opfer und passiven Figuren im Serienmörderfilm wiederfinden, einmal die Initiative vor und hinter der Kamera ergreifen, dann entstehen ganz besondere ästhetische, moralische und erzählerische Blickwinkel. Das war bei Patty Jenkins’ „Monster“ so und bei „The Dead Girl“, der sich mit dem vielfach ausgezeichneten Vorgänger durchaus messen kann, ist das nicht anders.

The Dead Girl
(USA 2006)
Regie & Buch: Karen Moncrieff; Musik: Adam Gorgoni; Kamera: Michael Grady; Schnitt: Toby Yates
Darsteller: Toni Collette, Piper Laurie, Giovanni Ribisi, Rose Byrne, Elizabeth Pernoll, Brittany Murphy u.a.
Länge: 85 Minuten
Verleih: Kinowelt
Start: 08.01.2008

Die DVD von Kinowelt/Arthaus

Leider hat es „The Dead Girl“ nicht in die deutschen Kinos geschafft. Der Film erscheint Anfang Januar 2008 zunächst im Verleih, Anfang März dann auch als Kauf-DVD.

Die Ausstattung der DVD:

Bild: 1,78:1 (anamorph)
Ton: Deutsch, Englisch (5.1 Dolby Digital)
Untertitel: Deutsch
Extras: Audiokommentar mit der Regisseurin Karen Moncrieff, Behind the Scenes, Interviews, Fotogalerie, Trailer (Deutsch/Englisch), Karen Moncrieff über die Intention des Films (Text), Interview mit Karen Moncrieff (Text)
FSK: ab 16 Jahren
Preis: 17,99 Euro.

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