Zwei Filme von Jess Franco

Auch wenn der spanische Filmemacher Jess Franco die Kritiker- und Zuschauerschaft nach wie vor in begeisterte Fürsprecher und erbitterte Verächter spaltet, wird seine immense Bedeutung für das europäische Exploitationkino der 60er- und 70er-Jahre mittlerweile kaum noch bestritten.


Allein was die schiere Menge von Filmen betrifft, die auf das Konto des Spaniers geht, nimmt er eine absolute Ausnahmestellung ein. Die IMDb schreibt ihm nicht weniger als 188 Filme zwischen 1957 und 2005 zu, die der heute 77-Jährige unter beinahe ebenso vielen Pseudonymen gedreht hat. Ob alle diese Filme tatsächlich unter seiner Regie entstanden sind oder ob es nicht sogar noch mehr waren, dürfte indes schwierig zu beantworten sein: Nicht nur verwertete Franco Material seiner Filme mehrfach in back-to-back produzierten Titeln, er sprang auch gern für andere Regisseure ein und drehte deren angefangenen Filme unter Pseudonym zu Ende. Jess Franco war für Produzenten wie den Briten Harry Allan Towers oder den Schweizer Erwin C. Dietrich gerade deshalb ein idealer Geschäftspartner, weil er es verstand, mit bescheidenen Mitteln ein Ergebnis zu liefern, das man im Verbund mit einem reißerischen Titel und dem ein oder anderen „Star“ erfolgsträchtig in die Bahnhofskinos bringen konnte. Der Begriff des Handwerkers passt insofern gut zu Franco, auch wenn seine Filme einen sehr eigenwilligen visuellen Stil aufweisen, der – hier kommen wir wieder zu der oben behaupteten Spaltung – für manche von technischem Unvermögen zeugt. Man ist sehr versucht anhand seiner Filme die abgegriffene Phrase von der schmalen Grenze zwischen Genie und Wahnsinn bestätigt zu sehen. Zwei weitere Filme seiner umfangreichen Filmografie liegen jetzt in Deutschland auf DVD vor.

dracula.jpg„Nachts, wenn Dracula erwacht“ dürfte einer von Francos bekanntesten und auch „größten“ Filmen sein. Besetzt mit dem ewigen Dracula Christopher Lee, Herbert Lom und dem unverwüstlichen Klaus Kinski als Renfield besitzt er das Potenzial eines kassenträchtigen Reißers. Jess Franco allerdings hatte anderes im Sinn als einen plumpen Genrefilm abzuliefern: Sein Film sollte die erste vorlagengetreue Umsetzung von Bram Stokers berühmtem Roman werden. Auch wenn Francos Film keinen Eingang in den Korpus diskursmächtiger Dracula-Verfilmungen wie Murnaus „Nosferatu, eine Symphonie des Grauens“, Tod Brownings bzw. Terence Fishers „Dracula“ oder Coppolas „Bram Stokers Dracula“ gefunden hat, so muss man einräumen, dass sein Vorhaben gelungen ist. Gleichzeitig kommt man jedoch kaum umhin, auch die zahlreichen Verzeichnungen und Unzulänglichkeiten in Francos Film zu bemerken: Die Wölfe, die die Kutsche auf Harkers Reise zu Draculas Schloss begleiten, sind unverkennbar deutsche Schäferhunde, das Transsilvanien ist ebenso wie das London des Films irgendwo auf der iberischen Halbinsel zu verorten, kostengünstige Day-for-Night-Shots ersetzen aufwändige Nachtaufnahmen, die Schauspieler agieren – die oben genannten „Stars“ einmal ausgenommen – äußerst hölzern und der Film steht mehrfach beinahe still, schleppt sich nur mühsam über seine Spielzeit. Gerade in diesen vermeintlichen Mängeln liegt aber auch die Schönheit von Francos Film, der die traumgleiche Atmosphäre der Vorlage, das Verschwimmen von Tag und Nacht, nahezu perfekt abbildet, was nicht zuletzt auch dem wunderschönen Score von Bruno Nicolai zu verdanken ist. Wie eigenwillig seine Dracula-Adaption geworden ist, lässt sich wohl auch daran ablesen, dass der Film, der ihm atmosphärisch am nächsten steht, Werner Herzogs „Nosferatu – Phantom der Nacht“ ist, dessen fahlen Todesbilder er teilweise in prophetischer Vorahnung vorwegnimmt. Von der gothischen Opulenz der Hammer-Draculas ist „Nachts, wenn Dracula erwacht“ jedenfalls meilenweit entfernt, zumal auch Christopher Lee „seinen“ Vampirgrafen hier mit wesentlich mehr untotem Leben füllen, indem er ihm Ecken und Kanten und damit auch mehr Ambivalenz verleiht.

im-schatten-des-morders.jpgDie angesprochenen Mängel weist auch Francos „Im Schatten des Mörders“ auf, im Gegensatz zu „Nachts, wenn Dracula erwacht“ scheinen diese aber hier aber eher Francos Kritiker zu bestätigen. Gelang es bei der Stoker-Adaption noch die zahlreichen Schwächen zu ihrem Vorteil einzusetzen, so präsentiert sich dieser kleine gothisch angehauchte Krimi von Anfang an als Schaf im Wolfspelz. Die Berufung auf eine Kurzgeschichte von Edgar Allan Poe ist relativ weit her geholt, die Story, ein klassischer Whodunit, aufgrund zahlreicher dramaturgischer Unzulänglichkeiten kaum nachvollziehbar. So bleiben dem Zuschauer nur Francos unorthodoxe stilistische Fingerübungen, um das Interesse wachzuhalten. Kein Sonnenstrahl erhellt das alte viktorianische Herrenhaus, in dem sich fast die gesamte Handlung abspielt, der ganze Film ertrinkt förmlich in Schwarz. Der expressive Schnitt – vor allem zu Beginn mutet Francos Film beinahe postmodern an – steht in heftigem Kontrast zu den unbeweglichen Dialogszenen, in denen sich lust- und leblos agierende Schauspieler – darunter Lina Romay, einer der populärsten Franco- und Sexfilm-Stars der Siebzigerjahre – ergehen. So bleibt unter dem Strich ein seltsam lethargisch dahinplätschernder Film ohne echte Höhepunkte, der aber aufgrund seiner inszenatorischen Kapriolen und sympathischen Unzulänglichkeiten dennoch nie wirklich langweilig ist.

Nachts, wenn Dracula erwacht
(El conde Drácula, Spanien, Deutschland, Italien, Liechtenstein 1970)
Regie: Jesus Franco, Drehbuch: Jesus Franco, Peter Welbeck (Harry Alan Towers), Augusto Finocchi, Dietmar Behnke (deutsche Dialogfassung), Kamera: Manuel Merino, Luciano Trasatti, Musik: Bruno Nicolai, Schnitt: Bruno Mattei, Derek Parsons
Darsteller: Christopher Lee (Graf Dracula), Herbert Lom (Prof. Abraham van Helsing), Klaus Kinski (R. M. Renfield), Soledad Miranda (Lucy Westenra), Maria Rohm (Mina Murray), Fred Williams (Jonathan Harker), Jack Taylor (Quincey Morris)
Länge: 92 Minuten
Verleih: Kinowelt

Im Schatten des Mörders
(La noche de los asesinos, Spanien 1976)
Regie: Jesus Franco, Drehbuch: Jesus Franco, Kamera: Javier Pérez Zofio, Musik: Carlo Savina, Schnitt: Antonio Gimeno
Darsteller: Alberto Dalbés, Evelyne Scott, William Berger, Maribel Hidalgo, Lina Romay
Länge: 82 Minuten
Verleih: Eurovideo

Zu den DVDs von Kinowelt und Eurovideo

Sowohl „Nachts, wenn Dracula erwacht“ als auch „Im Schatten des Mörders“ liegen in Form dieser DVDs zum ersten Mal in ungekürzter Form vor, sofern man das von zwei Filmen sagen kann, die weltweit in den unterschiedlichsten Schnittfassungen veröffentlicht wurden. Qualitativ sind beide DVDs einwandfrei – die „Dracula“-DVD ist identisch mit der bereits in den USA erschienen –, bei den Extras hat die „Special Edition“, die Kinowelt dem König der Vampire hat angedeihen lassen,deutlich die Nase vorn: Auf zwei Scheiben gibt es neben einem Audiokommentar eine ausführliche Dokumentation, in der Franco und Produzent Towers zu Wort kommen, Interviews mit de Regisseur und Jack Taylor, die komplette Super-8-Version, Bildergalerien und Texttafeln. Wenn man das alles geschaut hat, kann man die Augen schonen und Christopher Lee runde 90 Minuten zuhören wie er Auszüge aus Bram Stokers berühmtem Roman in verteilten Rollen vorliest. Die DVD von Eurovideo hat leider keine nennenswerten Extras aufzuweisen.

Zur Ausstattung der DVDs

Nachts, wenn Dracula erwacht
Bild: 1,33:1
Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 2.0 Mono)
Extras: Audiokommentar, Dokumentation, Interviews, Texttafeln, Trailer, Super-8-Fassung, Christopher Lee liest Dracula
Länge: 92 Minuten
FSK: Ab 16
Preis: 17,89 Euro

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Im Schatten des Mörders
Bild: 2,35:1 (anamorph)
Ton: Deutsch, Spanisch (Dolby Digital 1.0 Mono)
Extras: Texttafeln
Länge: 82 Minuten
FSK: Ab 18.
Preis: 13,90 Euro

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