Partyluder Dorian Gray

Anti-Aging, Methusalem-Komplott, Überalterung, Jugendwahn. Begriffe, die seit einigen Jahren verstärkt über die Titelblätter nicht nur der Boulevardmagazine geistern und in marktschreierischem Gestus Weltuntergangsstimmung verbreiten. Allem aufklärerischen Impetus zum Trotz sind die mit diesen Begriffen verbundenen Phänomene aber keineswegs so neu, wie man den Leser glauben machen möchte. Vielmehr verweisen sie auf einen Diskurs, der wohl so alt ist wie die Menschheit selbst: das Streben nach ewiger Jugend und Schönheit und, damit verbunden, nach Unsterblichkeit. Die Hybris, die mit diesem Streben verknüpft ist, wird in Kunst und Literatur meist böse bestraft: Tod und Verdammnis warten auf den, der versucht, dem lieben Gott ins Handwerk zu pfuschen. Die Realität ist da weit weniger brutal: Die härteste Strafe, die dem blüht, der sich zu sehr nach seiner Jugend sehnt, sind Spott und Missachtung und der Abstieg in die Vergessenheit …

41zdptywael_ss500_.jpgOscar Wildes Roman von 1890 über den eitlen Dandy, der sein Porträt an seiner Statt altern lässt, sich also selbst zum unveränderlichen Kunstwerk macht und schließlich vom Anblick des immer groteskere Züge annehmenden Bildes wahnsinnig wird, ist nicht wenig dem Schauerroman seiner Zeit verpflichtet, hebt sich aber dennoch deutlich von dessen Naivität ab. Während dort moralische Devianz meist äußerlich evident wird – Nachwirkungen dieser Tradition kann man noch heute im Horrorfilm, etwa in den zahlreichen Slasherfilmen mit seinen entstellten und missgebildeten Mördern aufspüren –, verpasst Wilde seinem Protagonisten das Gesicht eines Engels. Damit markiert „Das Bildnis des Dorian Gray“ einen wichtigen Schritt hin zur modernen Serienkiller-Figuration. Dorian Grays prominentester Nachfolger dürfte kein geringerer als Bret Easton Ellis’ „American Psycho“ Patrick Bateman sein, dessen kosmetisch gepflegte Gesichtszüge finstere Abgründe verbergen. Wildes äußerst vielschichtiger Roman beinhaltet neben seiner raffinierten Auseinandersetzung mit ästhetischen und philosophischen Konzepten also auch eine scharfe Gesellschaftskritik: Er zeichnet eine Upper Class, die so vom Glanz der Oberfläche besessen ist, dass ihr der moralische Verfall Dorians gar nicht auffällt, dieser durch ihr Hofieren sogar noch begünstigt wird.

Massimo Dallamanos Verfilmung von 1970 ist bereits die achte filmische Adaption von Wildes Roman. Der italienische Regie-Routinier verlegt das Geschehen in das London der filmischen Gegenwart und betont so die sozialkritischen Bezüge der Vorlage. Er zeigt eine versnobte, überalterte und moralisch verkommene Oberschicht aus Wirtschaftsbonzen und Militärs, in deren Mitte der jugendliche und bildhübsche Dorian wie ein Halbgott verehrt wird. Die Besetzung des Dorian Gray mit dem damals populären Helmut Berger darf geradezu als Geniestreich bezeichnet werden und macht den Film auch heute noch absolut sehenswert. Berger, damals vom Filmemacher Luchino Visconti protegiert (und, wenn man den zahlreichen Geschichten glauben möchte, noch mehr als das), kann man etwas überspitzt als das begabtere Äquivalent heutiger Partyluder und Supermodels betrachten. Er ist somit die Idealbesetzung für den Jüngling, dessen einziges Kapital seine Schönheit und seine Jugend sind. Dorian Gray gibt sich zwar der Konvention seines Umfelds entsprechend als kunst- und kulturbeflissen, hat aber weder Geschmack noch irgendein Talent. Sein Stern beginnt zu sinken, als er sich vom Dekorationsobjekt zum Führer der feinen Gesellschaft aufspielt und diese in ein drittklassiges Theater bringt, in dem seine Geliebte spielt. Während er ergriffen dem dilettantischen Treiben auf der Bühne zusieht, brechen seine vermeintlichen Freunde erst in Gelächter aus und verlassen dann vorzeitig den Saal. Der Engel hat sich als Narr entpuppt, sein Zauber ist verflogen. Dem Schauspieler Berger erging es ganz ähnlich: Wenige Jahre nach seinen umjubelten Auftritten in Viscontis „Die Verdammten“ und „Ludwig II.“ versank er durch Drogen und Alkohol begünstigt in den Niederungen des Exploitation-Kinos und wird heute fast ausschließlich als alkoholisierte Lachnummer durch diverse Talk- und Promishows gezerrt. Für Bergers Karriere kommt Dallamanos Film eine schon beinahe prophetisch zu nennende Bedeutung zu.

„Das Bildnis des Dorian Gray“ ist aller polemischen Spitzen gegen die oberen Zehntausend zum Trotz alles andere als ein wilder oder gar wütender Film. Er trägt alle Zeichen klassischer Film- und Erzählkunst: einen sehr ruhigen, gleichmäßigen und unaufgeregten Erzählfluss, eine gediegene Kameraführung und Bildgestaltung, die mit sparsam eingesetzten moderneren Stilmitteln – etwa der Subjektiven – aufwartet, und einen wunderschönen Score aus der Feder von Peppino De Luca und Carlos Pes. Ein rundum empfehlenswerter Film also.

Das Bildnis des Dorian Gray
(Dorian Gray, Großbritannien, Italien, Deutschland 1970)
Regie: Massimo Dallamano, Drehbuch: Marcello Coscia, Massimo Dallamano, Günter Ebert, Kamera: Otello Spila, Musik: Peppino De Luca, Carlos Pes, Schnitt: Leo Jahn, Nicholas Wentworth
Darsteller: Helmut Berger (Dorian Gray), Herbert Lom (Henry Wotton), Richard Todd (Basil Hallward), Marie Liljedahl (Sybil Vane), Margaret Lee (Gwendolyne), Maria Rohm (Alice Campbell)
Länge: 100 Minuten
Verleih: Arthaus

Zur DVD von Arthaus

Leider hat Arthaus die große Chance versäumt, den in Deutschland bisher nur gekürzt erschienenen Film in einer restaurierten Fassung zu veröffentlichen. So muss man sich hierzulande nach wie vor mit einer unvollständigen Version zufrieden geben, die auch technisch nur durchschnittlich ist: Das Bild weist Kratzer und Verschmutzungen auf, eine Originaltonspur fehlt völlig. Lediglich die gut 45-minütige Dokumentation über Helmut Berger weiß rundum zu begeistern und lohnt dann doch den Kauf. Ein Fernsehteam begleitete den äußerst mürrischen Österreicher und fing dabei zahlreiche denkwürdige und lustige Momente ein. Wer Helmut Berger schon einmal bei einem seiner TV-Auftritte erlebt hat, kann sich ungefähr vorstellen, was ihm blüht.

Zur Ausstattung der DVD:

Bild: 1,66:1
Ton: Deutsch (Dolby Digital 1.0 Mono)
Extras: Dokumentation über Helmut Berger, Trailershow, Bildergalerie, Texttafeln
FSK: Ab 16
Länge: 100 Minuten
Preis: 16,95 Euro

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