»Viewing is Horror«

Der Horrorfilm bezieht sein Grauen nicht selten aus dem Unfassbaren, das sich im Menschen selbst verbirgt. Dazu lotet er mysteriöse und geheime Gruppen aus, die sich der Alltagserfahrung entziehen und eben durch ihre Abgeschiedenheit oder ihre extrem ritualisierte Lebensweise das Fremde als Enklave auf ideale Weise in der Gesellschaft selbst zu verorten verstehen. Etliche Horrorfilme spielen in Klöstern, handeln von Sekten bezeihungsweise sind in Irrenanstalten situiert oder stellen psychotische Figuren ins Zentrum ihrer Erzählungen.

„Evil Words“ versucht diese Sujets miteinander zu verbinden: Der junge und erfolgreiche Schriftsteller Thomas Roy wird in die Psychiatrie eingeliefert, nachdem er sich alle Finge mit einem Papierschneider abgetrennt hat und danach aus dem Fenster gesprungen ist. Nach und nach kommt sein behandelnder Psychiater Dr. Paul Lacasse und dessen Assistentin Jeanne dem Geheimnis des seit dem Suizidversuch katatonischen Patienten auf die Spur: Jedes Mal Roy eine seiner Horrorerzählungen schreibt, geschieht das Grauen, das er in Worte gefasst hat, auch in der Wirklichkeit. Nach und nach entdeckt Lacasse zusammen mit einem Biografisten Roys immer mehr Fälle von seltsamen Zusammenhängen zwischen Erzähltem und Passierten. Bei ihren Recherchen stoßen sie schließlich auf einen alten Priester, der Roy zu kennen scheint, aber mehr als eine Warnung vor dem jungen Mann nicht mitzuteilen hat. Erst als Lacasse diesen Priester verfolgt und in seiner Gemeinde aufsucht, erfährt er, dass Roy der einzige Überlebende eines satanischen Rituals ist, das vor 36 Jahren in der Kirche des Priesters stattgefunden hat. Dabei hat es dutzende Tote gegeben – unter anderem eine damals mit Roy schwangere Frau, der dieser bei lebendigem Liebe aus dem Bauch geschnitten wurde. Der Priester, der den Waisen aufgezogen hat, ist überzeugt, dass in Kürze, an Roys 36. Geburtstag, ein ähnliches Ritual stattfinden wird, bei dem Roy schließlich wieder eine Schwangere töten wird, um deren Kind zu entbinden und mit dem Bösen zu infizieren. Lacasse eilt zurück in seine Psychiatrie, in der sich seine hochschwangere Assistentin Jeanne um Roy kümmert …

Neben den beiden bereits erwähnten Sujets verhandelt „Evil Words“ ein mindestens eben so altes und produktives Motiv des Horrors, das die Verquickung von künsterischer Genialität und deren Einfluss auf die Realität akzentuiert. Von Edgar Allen Poes „Das ovale Portrait“, Oscar Wildes „Das Bildnis des Dorian Grey“ ist das Phänomen der die Wirklichkeit negativ beeinflussenden Kunst immer wieder im Genre thematisiert worden – bis hin zu Filmen wie Romeros „Star – The Dark Half“ oder Carpenters „In the Mouth of Madness“. Und auch hier finden sich immer wieder Möglichkeiten zur Verbindung mit Sektierertum, Glaube und Wahnsinn, wie die genannten Beispiele verdeutlichen. Eric Tessier wandelt also auf gleichsam tradisionsreichen und ausgetretenen Pfaden.

Darin mag es wohl auch begründet sein, dass sein Film kaum etwas zu bieten hat, das nicht im Klischee erstarrt. Sicherlich: Die Vorher-Nachher-Frage, also, ob zuerst die Verbrechen und dann Roys literarische Bschreibungen oder umgekehrt existierten, die den Psychiater vor allem intressiert, spielt noch mit den Phänomenen konstruktivistischem Wirklichkeitsverständnisses und Übernatürlichem, wird vom Film aber konsequent in dessen zweiter Hälfte denunziert. Die wahre Erklärungs- und Rückblenden-Kakophonie, in die „Evil Words“ verfällt, als Lacasse den alten Priester aufsucht, zersetzt auch noch das letzte Fünkchen von Ambivalenz und damit möglicher Originalität des Stoffes.

Übrig bleibt ein Film, der leider völlig belanglos ist, weil er dem Genre nichts neues hinzuzufügen weiß und sich anstelle dessen in seinem Rekurs auf das „biblische Böse“ gefällt, das doch spätestens nach den Exorzisten- und Omen-Filmen oder zuletzt in Carl Schultz‘ „Das 7. Zeichen“ (dem „Evil Words“ übrigens frappierend ähnelt) seine letzten Reiz ausgekitzelt haben dürfte. Mittelmäßige Horror-Schonkost also, gewürzt durch ein paar Interessante Remineszenzen an die Geschichte des Horrors – allenfalls für streng Gläubige und Sektenforscher interessant.

Evil Words
(Sur le Seuil, F 2003)
Regie: Eric Tessier

Stefan Höltgen

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