»Ich häute mich für jeden Film«

Die iranische Regisseursfamilie Makhmalbaf gehört seit Jahren zu den international gefeierten Künstlern des Landes. Mohsen Makhmalbaf, der seit 1979 filmisch aktiv ist, seine Frau Marziyeh Meshkini sowie die Töchter Hana, Samira und der Sohn Maysam haben zusammen oder jeder für sich bereits zahlreiche Preise für ihre gesellschafts- und religionskritischen Spiel- und Dokumentarfilme erhalten. Im Frühjahr 2005 musste die Familie den Iran verlassen, weil aufgrud der Zensur eine Arbeit dort nicht mehr möglich war. Vera Tschechowas Dokumentarfilm erzählt die Hintergründe dieser Flucht nach Paris und stellt die einzelnen Künstler der Familie und deren Werk vor.

Bereits mit neun Jahren hat Hana ihren ersten Film konzipiert, mit Hilfe des Vaters gedreht und auf dem Filmfest in Venedig vorgestellt, wo er mit einem Preis ausgezeichnet wurde. Dass sie zu dieser Arbeit fähig war, hat sie dem Umstand zu verdanken, dass ihr Vater sie und ihre Geschwister aus der staatlichen iranischen Schule genommen und zu Hause selbst unterrichtet hat. Der religiöse und eher an lebensfernen Dingen orientierte Schulunterricht wurde auf diese Weise durch eine Kunst-, Literatur- und Philosophieausbildung abgelöst. Die Mutter, zweite Ehefrau Mohsen Makhmalbafs, die ebenfalls gefeierte und honorierte Regisseurin ist, hat den Prozess der Intellektualisierung und Individualisierung ihrer Kinder unterstützt und forciert. Dass eine derart zum Freidenkertum erzogene und kritische Künstlerfamilie in einem politischen System wie dem des Irans nicht nur ausreichend Stoff für Filme finden würde, sondern auch beständig von Zensurmaßnahmen bedroht (gewesen) ist, scheint selbstverständlich.

Mohsen Makhmalbaf hat die Wende zum Systemkritiker wie er sagt „am eigenen Leib“ vollzogen: Als begeisterer Anhänger der islamischen Revolution und Kritiker des Shah-Regimes ist er in den 1970er Jahren in ein Gefängnis geworfen und gefoltert worden. Dort hat er sich in nicht-politischen Themenfeldern ausgebildet und musste schon bald nach seiner Entlassung aus der Haft feststellen, dass die islamische Revolution die Zustände keineswegs verbessert hat: „Im Iran hat sich nur der Name des Königs geändert“, sagt er im Film und stellt das auf der Sharia basierende System als als Religion getarnten politischen Fundamentalismus heraus. In Filmen, wie „Afghan Alphabet“ oder „Scream of the Ants“ kritisiert er verschiedene Facetten dieses Systems, jedoch häufig nicht direkt, sondern in andere Themengebiete oder Regionen „verschoben“.

Die Kunst im Iran habe sich unter dem Druck der Zensur verformt und betreibe seit langem eine Art von Selbstzensur, die von Außenseitern oft mit einer besonderen „Lyrizität“ verwechselt wird. Die kritisierten Aspekte werden hier nicht mehr beim Namen genannt, sondern, um nicht der Schere zum Opfer zu fallen, in einer Gleichnissprache „verdichtet“, die die Aussageintention nur noch durch Interpretation zugänglich macht. Mohsen und seine Familie gehen einen anderen Weg: Sie verschieben ihre Handlungsorte und Sujets einfach in andere Bereiche: Will Mohsen die Unfreiheit des Islam kritisieren, so stellt er ihr kontrastierend die Freiheit des Hinduismus entgegen („Scream of the Ants“), will er den fatalen Einfluss der Koranschulen auf die iranischen Kinder anklagen, so filmt er ein nicht-religiöses Schulprojekt in Afghanistan, in welchem Mädchen durch ihre religiöse Indoktrination nur bedingt am Unterricht teilnehmen können („Afghanian Alphabet“).

Doch selbst dieses Vorgehen der Verschiebung hat die iranische Filmzensur durchschaut und verhindert das künstlerische Schaffen der Makhmalbafs auf vielen Ebenen: fehlende finanzielle Förderungen, ausgeschlagene Drehgenehmigungen, kein Verleih, stark begrenzte Abspielmöglichkeiten. Das hat dazu geführt, dass zahlreiche Projekte bereits gar nicht mehr im Iran verwirklicht wurden und noch vor seiner Familie sind seine Filmproduktionen in Ausland emigriert. Mohsen Makhmalbaf legt jedoch Wert darauf, keine einseitige Iran- oder Islam-Schelte zu betreiben. Für ihn ist die Verwicklung des Westens (etwa durch Ölgeschäfte) in die Ereignisse im nahen Osten ebenso skandalös wie die Politisierung aller anderen Glaubenssysteme (er hebt die Inquisition der Christen als eine der Sharia ähnliche Entwicklung hervor).

Die Themenfelder, die er und seine Familie in ihren Filmen behandeln, die gesellschaftlichen, ökonomischen und religiösen Aspekte, die sie kritisieren, sind vielfältig. Beim seit langem tätigen Mohsen hat sich eine Entwicklung von religiösen hin zu sozialen und philosophischen Themen vollzogen. Seine Filme gewinnen dabei zusehends an Leichtigkeit. „Ich häute mich mit jedem Film“, sagt Makhmalbaf und zitiert die Aussage eines Filmkritikers, der sein Werk mit einem Ballon verglichen hat: Jedes bearbeitete Thema ist ein Sandsack, den er fallen lassen kann, um nur noch höher aufzusteigen.

Salam Cinema
(Deutschland 2005)
Regie: Vera Tschechowa
Mit: Mohsen Makhmalbaf, Hana Mohsen Makhmalbaf, Samira Mohsen Makhmalbaf, Maysen Mohsen Makhmalbaf, Marziyeh Meshkini, Dieter Kosslick u.a.
Länge: 60 Minuten
ohne Verleih

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