Wilbur wants to kill himself

Wilbur wants to kill himself, Dänemark 2002, Lone Scherfig

Eine schwierige Geschichte ist das eigentlich, die Lone Scherfig da erzählt. Eine Geschichte von Selbstmordgedanken, tödlichen Krankheiten, Ehebruch und gestörten Biografien. Schwierig deshalb, weil man nur allzu schnell in der Sozialschmonzette landen könnte und die Gefahr, will man den Film nicht nur bleiern betroffen umsetzen, den zugrundeliegenden Thematiken nicht mit der erforderlichen Sensibilität entgegen zu treten, stets gegeben ist.

Andererseits hat Lone Scherfig nun aber auch mit dem Dogmafilm „Italienisch für Anfänger“ eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass sie von Menschen inmitten der Krise nicht nur glaubhaft, sondern auch – unter Beibehaltung aller menschlichen Würde – tragikomisch, somit eben auch witzig erzählen kann. Nicht zuletzt die besonnene Exaktheit, die sie dabei an den Tag legte, das Gespür dafür, wie das menschliche eben nur allzu menschlich und dennoch würdevoll zu zeichnen ist, war es, die „Italienisch für Anfänger“ so herzlich wie ernsthaft machte. Das Publikum dankte es mit vollen Spielhäusern, die Kritiker mit Begeisterungsstürmen und, nicht zuletzt, die Jury der Berlinale 2001 mit dem Silbernen Bären.

In „Wilbur wants to kill himself“ entfernt sich Lone Scherfig indes nicht nur aus Dänemark, sondern auch von den Dogma-Prinzipien. Sie erzählt von zwei ungleichen Brüdern, Harbour und eben Wilbur, in Glasgow, deren Biografien vom Tod der Eltern traumatisiert wurden. Harbour ist der Optimist von beiden, der den geerbten Buchladen des Vaters, North Books, in dem beide dann auch wohnen, trotz finanzieller Misere unbedingt weiterführen will, der stets charmant und mit sonnigem Gemüt auftritt. Und Wilbur? Nun, „Wilbur wants to kill himself“, wie der Titel schon verrät, wobei wir nie wirklich erfahren, warum eigentlich. Er ist attraktiv, leicht zynisch, mag keine Kinder und ist trotzdem im Kindergarten, wo er arbeitet, beliebt, Frauen zieht er an wie ein Magnet. Und dennoch immer wieder Versuche, sich das Leben zu nehmen. Harbour nimmt sich seines Bruders an, nachdem dieser aus der Selbsthilfegruppe der Suizidgefährdeten des städtischen Krankenhauses aufgrund seiner steten Zynismen gegenüber den anderen, eigentlich, so möchte man angesichts dieser gescheiterten Existenzen meinen, fast schon mit Recht suizidgefährdeten Patienten rausgeflogen ist.

Und dann ist da noch Alice, die alleine mit ihrer kleinen Tochter Mary in Glasgow und von ihrem Job im Krankenhaus eher schlecht als recht lebt. Immerhin, sie findet dort im Hospital immer wieder vergessene oder verlorene Bücher, die sie bei North Books, bei den beiden Brüdern im Laden, zu Geld machen kann. Als sie ihren Job verliert, gesteht sie Harbour ihre Misere, dass sie keine Bücher mehr habe. Dieser nimmt’s gelassen und Alice kurzerhand zur Frau. Zu viert – Harbour, Wilbur, Alice, Mary – leben sie von nun an in dieser Mischung aus Buchantiquariat und Kommunen-WG, versuchen ihre gescheiterten Existenzen in den Griff zu kriegen, was angesichts Wilburs stets präsenter Suizidgedanken und -versuche, sowie einiger anderer Widrigkeiten, wie zB dem einen oder anderen Seitensprung, leichter gesagt als getan ist.

Scherfig hat den Film, den man ohne weiteres auch durchweg tieftraurig und betroffen hätte gestalten können, durch und durch charmant in Szene gesetzt. Nicht selten lacht man zwar herzlich, oft sogar befreit, auf, auch in bewegenden Momenten, etwa wenn Wilbur ins Wasser geht, erfolglos natürlich, ob der mangelnden Tiefe des Gewässers. Doch andererseits ist „Wilbur wants to kill himself“ – trotz aller Komik, die er mit Feingespür aufzubauen versteht – nicht etwa bloß eine schwarze Komödie, sondern beweist an anderen Stellen mindestens ebenso Sensibilität gegenüber den kleinen und größeren Tragödien des Lebens, das man – der eine mehr, der andere weniger – nie so recht in den Griff zu kriegen scheint. Eine Gratwanderung, die Lone Scherfig überaus gelungen ist und „Wilbur wants to kill himself“ zu einem wunderbaren, menschlichen Drama macht, das zwar „wie aus dem Leben gegriffen“ wirkt, sich aber an keiner Stelle in Banalität oder mediokrer Provinzialität verliert. Die großartigen schauspielerischen Leistungen tun ihr übriges, um diesen herrlich herbstlichen Film gekonnt abzurunden.

Schade eigentlich, dass diesem dänischen Filmjuwel auf der Berlinale nur ein Platz in einer Sondervorführung gegönnt geblieben ist. Man wünscht ihn sich eigentlich mindestens ins Forum, wenn nicht sogar direkt in den Wettbewerb. Wie auch immer, sollte Lone Scherfig auch in Zukunft weiterhin Filme von diesem Niveau drehen, dann ist man auch schon erst einmal zufrieden.

Wilbur wants to kill himself
(Dänemark/Großbritannien 2002)
Regie: Lone Scherfig; Drehbuch: Lone Scherfig, Anders Thomas Jensen; Kamera: Jörgen Johannson; Schnitt: Gerd Tjur
Darsteller: Jamie Sives, Adrian Rawlins, Shirley Henderson, Mads Mikkelsen, Julia Davis, Susan Vidler, Robert McIntosh, Lorraine McIntosh, u.a.


Zur DVD

Mit dieser Veröffentlichung hat die Kinowelt Home Entertainment dem Film eine schöne und empfehlenswerte Edition zur Seite gestellt, die man sich ruhigen Gewissens ins Regal stellen kann. Die Bild- und Tonqualität sind jeweils exzellent. Besonders zu tragen kommt dabei der Umstand, dass der Film digital auf HD gedreht wurde, was naturgemäß im Kino zu einigen Qualitätseinbußen führen kann, auf DVD allerdings ein gestochen scharfes und kontrastreiches Bild beschert. Ironischerweise ist der Film also auf Konserve sogar in besserer Qualität als im Kino zu sehen.

Aber auch jenseits dessen weiß die DVD zu überzeugen: Regisseurin Lone Scherfig hat zusammen mit Kameramann Jörgen Johannson einen recht informativen Audiokommentar eingesprochen, der sich vor allem auf die technischen Aspekte der Produktion und künstlerische Absichten der Regisseurin und Drehbuchautorin konzentriert – mithin kommen da auch einige Details der Bildausschnitte zur Sprache, die vielleicht auch dem scharfen Blick so manchen Kinogängers bislang entgangen waren. Glücklicherweise wurde der dänische Kommentar deutsch untertitelt. Auch das weitere Zusatzmaterial ist reichhaltig ausgefallen: Einige verpatzte Szenen laden zum Mitlachen ein, aus dem Film schlußendlich doch noch entfernte Szenen können kommentiert angesehen werden und in zahlreichen Featurettes werden Hintergründe und Besonderheiten (wie etwa die Diskrepanz zwischen dänischem und schottischem Humor) der Produktion beleuchtet, ohne sich dabei allzu sehr als ein PR-Wolf im Making-Of-Schafspelz auszunehmen. Obligatorische Dreingaben wie Poster, Biografien und Trailer runden diese gelungene DVD ab, die außerdem noch durch ein sehr schön gestaltetes Menü, das der herbstnachmittäglichen Atmosphäre des verschrobenen Glasgower Buchladens aus dem Film nachempfunden ist, bis ins Detail zu gefallen weiß. Ein kleiner Malus stellt alleine das etwas unglücklich gestaltete Cover dar, das durch allerlei kesse Sprüche und dergleichen Stilistika eher eine durchgeknallte, alberne Komödie in Aussicht stellt – diese Gestaltung wird diesem melancholisch-schönen, herbstlichen Film in keiner Hinsicht gerecht.

Die technischen Details:

* Bildformat: 1:2,35, 16:9 anamorph
* Sprachen: Deutsch, Englisch (je Dolby Digital 5.1)
* Untertitel: Deutsch (Film/Audiokommentar)
* Ländercode: 2/PAL
* Laufzeit: ca. 105 Minuten

Zusatzmaterial:

* Audiokommentar mit Lone Scherfig und Jörgen Johannson
* Geschnittene Szenen (mit Kommentar)
* Pannen bei den Dreharbeiten
* div. Featurettes
* Biografien, Poster, Trailer

Diese DVD bei Amazon kaufen.

Thomas Groh

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.