Bürgerkrieg – Bruderkrieg. Auf diesen tradierten Vergleich, der bestens ausdrückt, worin das Drama eines Bürgerkriegs besteht, reduzierte der bosnische Regisseur Emir Kusturica die Erzählung seines Films Underground. Marco und Blacky, so die beiden Brüder im Film, werden dabei als Kinder des Krieges dargestellt.
Die Handlung beginnt bereits zur Zeit des 2. Weltkriegs, in der die beiden Schwarzmarkthändler mit Waffenschiebereien und Karriere machen und sich als patriotische Helfer der jugoslawischen Partisanen feinern lassen. Zwischen beiden Brüdern steht jedoch die Schauspielerin Natalija, die Verlobte Blackys, auf die Marko jedoch einen Blick geworfen hat und sie auf ihn. Um seinen Widersacher aus dem Weg zu räumen, überredet Marko seinen Bruder, in einer unterirdischen Höhle bis zum Ende des Krieges Waffen zu produzieren. Doch als der Krieg dann zu Ende ist, verrät Marco dies nicht an die „Partisanen im Untergrund“ und lässt sich weiterproduzieren, während er im Tito-Staat zu Geld und Ruhm gelangt. Als Blacky dem Betrug Jahre später auf die Schliche kommt, sinnt er nach Rache. Zuerst gerät er in die Dreharbeiten zu einem Film über den Partisanenwiderstand im zweiten Weltkrieg und erschießt einen Schauspieler, der einen deutschen Soldaten spielt. Auf der Suche nach Marko kommt Blacky in die Wirren des nächsten Krieges: Anfang der 1990er Jahre bricht der jugoslawische Bürgerkrieg aus, der die Brüder endgültig spaltet und zu erbitterten Feinden werden lässt.
Kusturicas Blick auf die Geschichte der beiden Brüder besticht vor allem durch seine humoristische Perspektive. In oft nahezu grotesken Situationen lässt er seine Helden feiern, streiten und trauern. Seine Bilder sind opulent, überladen, Ausstattung und Atmosphäre erinnern an die filmischen Stillleben eines Peter Greenaway; der Ton – vor allem die Musik von Goran Bregovic – kontrastiert das Geschehen und transportiert eine Lebensfreude, wie sie in der Lebensfeindlichkeit der Situation keinen besseren Kontrast bilden könnte. Die Dreiecksgeschichte zwischen Blacky, Natalija und Marko dekliniert Kusturica durch alle Höhen und Tiefen, die menschliche Dramen mit sich bringen. Das gesamte Hin-und-Her des Films ist dabei bestens austariert und auf die Allegorese abgestimmt: Ein Land im Strudel der historischen Ereignisse.
Als der Film 1995 erschien verursachte er heftige Kontroversen: Die historische Konsequenz, mit der Kusturica das Schicksal seines Landes vom zweiten Weltkrieg bis zum Balkankrieg nachzeichnet und die in ihre grotesken Komik gebrochene Erzählung schienen zu politisch, zu gewagt angesichts des Leids, in dem das zerfallene Land sich befand. Doch die künstlerischen Aspekte, die sich in Underground neben die politische Intention stellen, zeichnen ein ganz anderes Bild: Da wird immer wieder getanzt, gefeiert, gescherzt – und das inmitten der Wirren des Krieges. Die Musik, mit der nahezu der gesamte Film unterlegt ist, sorgt nicht nur für Kontrast in der Allegorie auf das Land, sondern auch für ein Stimmungsbild, das Kusturica von den Menschen, die in diesem Land leben, zeichnet. Und diese quellen geradezu über vor Lebensfreude und Humor, der keineswegs als bloßer Sarkasmus gewertet werden sollte. Kusturica liebt diese Menschen und sein Film hält zu ihnen, selbst als es das Land (bzw. seine Einheit) schon gar nicht mehr gibt. Wenn im Epilog alle Protagonisten auf einer Landscholle aufs offene Meer hinaustreiben und der Erzähler die Einheit und Unvergänglichkeit Jugoslawiens prophezeit, dann beginnt die Hochzeitskapelle schon wieder zu spielen und man ahnt, dass mit wohl weniger die politische als die Einheit der Mentalität gemeint sein könnte.
Underground
(F/Jug/D/U 1995)
Regie: Emir Kusturica
Buch: Dusan Kovacevic, Emir Kusturica
Kamera: Vilko Filac; Musik: Goran Bregovic; Schnitt: Branka Ceperac
Darsteller: Miki Manojlovic, Lazar Ristovski, Mirjana Jokovic, Slavko Stimac, Ernst Stötzner
Länge: 163 Minuten
Verleih: Kinowelt/Arthaus
Die DVD von Kinowelt
Die Ausstattung im Einzelnen:
# Bild: 1,85:1 (16:9 anamorph)
# Sprachen/Ton: Deutsch Dolby Digital 5.1, Serbokroatisch Dolby Digital 2.0 Stereo
# Untertitel: Deutsch
# Extras: Hinter den Kulissen, Interview mit Kusturica, Kurzbeiträge „Filmteam in Cannes“ und „Das Ausstattungsdesign“FSK 16
Preis: 12,99 Euro
Stefan Höltgen