Wichtig ist auf dem Platz

Ein Rennen in mehreren Etappen, quer über den amerikanischen Kontinent. Nicht der Schnellere, sondern der Überlebende ist der Sieger – und für das Überfahren wehrloser Passanten gibt es Bonuspunkte. Soweit die einigermaßen zynische Ausgangsthese, um die herum Regisseur Paul Bartel 1975 für Produzent Roger Corman und mit geschätzten 8 Dollar 50 Budget den mittlerweile zum kleinen Klassiker avancierten Exploitationfilm „Death Race 2000“ inszenierte. Die offensichtlichen finanziellen Beschränkungen verboten hierbei allzu ausufernde oder aufwendige Actionsequenzen, und aus dieser Not machte Bartel eine Tugend, indem er sich mehr auf die satirischen denn auf die spektakulären Aspekte des Stoffes stürzte und diesen in eine grell-groteske Komödie einschrieb. Die Antihelden von „Death Race 2000“ – nachdrücklich verkörpert von David Carradine sowie einem exaltiert grimassierenden Sylvester Stallone nur ein Jahr vor seinem großen Durchbruch mit „Rocky“ – sind überlebensgroße Karikaturen in bunten Zirkuskostümen, die sich mit kaltschnäuzigem Augenzwinkern den menschenverachtenden Spielregeln des Rennens beugen. Mindestens ebenso viel Emphase legt Bartel aber auf die Darstellung der Begleitumstände des sympathisch bodenständig inszenierten Spektakels. Von zynischen Kommentatoren und einem geifernden, allgegenwärtigen und blutlüsternen Publikum begleitet, stellt das Rennen hier eine Art moderne Version der Gladiatorenkämpfe dar – eine absurd überspitzte Form der Mediensatire, die etwa in den großen Science-Fiction-Filmen von Paul Verhoeven eine Fortschreibung erfuhr. Einen zumindest dem oberflächlichen Blick völlig konträr erscheinenden Ansatz wählte nun Regisseur Paul W.S. Anderson, der sich mit Filmen wie „Resident Evil“ oder „Alien vs. Predator“ nicht eben viele Lorbeeren verdiente, für sein 33 Jahre später vorgelegtes Remake „Death Race“.

Death RaceDie Frage hierbei freilich wäre zunächst einmal, ob es überhaupt angemessen ist, von einem Remake zu sprechen. Tatsächlich nimmt sich Anderson, der „Death Race“ in Kooperation mit Roger Corman produzierte, lediglich die Grundidee von Bartels Film und überträgt diese in ein völlig anderes Genre. So bleibt von der Sozial- und Medienkritik von „Death Race 2000“ zunächst einmal nur ein Skelett übrig, eine der Oberfläche entrissene und eher in den Subtext überführte Struktur. Das Actiongenre nämlich funktioniert grundsätzlich anders als die von der Zuspitzung lebende Satire. Als Bewegungskino kann es ihm nicht vordergründig darum gehen, seine Diskurse bis ins Letzte auszuführen, sondern es handelt sich zumeist eher um ein Kino der Setzung und des Durchspielens. Das kann man sogar mit guten Gründen als die subtilere, weil weniger offensichtliche Herangehensweise an Formen der Sozialkritik im Kino betrachten. Es stellt sich nun gleichwohl durchaus noch immer die Frage, inwiefern Andersons Inszenierung dem kritischen Furor von Bartels Vorlage auf anderem Terrain gerecht zu werden versteht; und diese Frage ist letztlich zu beantworten mit: Ja und Nein. Zunächst einmal verfügt „Death Race“ unleugbar über eine einigermaßen makellose Oberfläche. Die Actionsequenzen sind, im Gegensatz zu den rührend unaufwendigen Gokartrennen des Vorgängers, krachende, funkensprühende Schnitt- und Stahlgewitter von kraftvoller Dynamik, die Andersons Film als Genrebeitrag zu tragen ohne weiteres imstande sind. Die Struktur von „Death Race“ und die seiner Rennsequenzen als Set Pieces freilich zeigt sich in mancher Hinsicht verändert und aktualisiert gegenüber Bartels Entwurf: So orientiert sich Anderson eher am medialen Modell des Videospiels denn am bei Bartel omnipräsenten Fernsehen, und das schreibt sich – nur konsequent – in die Erzählweisen beider Filme ein. Wo Bartel die Rennsequenzen durch Zwischenmoderationen, Showschnipsel und dergleichen unterbrach, kommentierte und kontextualisierte, da bildet Anderson eher einen fortlaufenden Wechsel von an Videospiel-Levels orientierten Action-Nummern und Cutscenes ab, in denen der bei Bartel eher rudimentär ausgeführte Plot vorangetrieben wird. Weiterhin fällt auf, dass jenes Publikum, um das es Bartel wohl letztlich gar in erster Hinsicht ging, in „Death Race“ frappierend abwesend ist. Die Rennen finden auf Strecken im Nirgendwo statt, auf gottverlassenen Inseln – recht eigentlich Heterotopien –, von denen aus sie per World Wide Web und Pay-per-View in alle Welt übertragen werden. Diese signifikante Abweichung von Bartels Vorlage kann freilich auch durchaus ein konsequentes Weiterdenken von dessen sozialkritischem Ansatz markieren: Wo es Bartel um die Vermassung und Gehirnwäsche der televisionären Öffentlichkeit ging, da spielt Andersons Film in einer wesentlich fragmentierteren Welt, in der es „die Masse“ längst nicht mehr gibt. Sein Horrorszenario ist das einer Menge, nicht einer Masse: einer Menge radikal privatisierter, gesichtsloser und so anonymer wie ungreifbarer Monaden. Das ist im Grunde eine ziemlich bittere Schlussfolgerung und dem Geiste von Bartels Stoff vielleicht angemessener, als es eine werkgetreue Neuumsetzung jemals sein könnte.

Leider aber entfaltet sich das Potenzial dieser Idee unter Andersons Regie dann doch nicht vollständig, da diesem das im Actiongenre wirkende Prinzip des narrativen „weniger ist mehr“ – korrespondierend selbstredend mit dem hier aufs Eindrucksvollste durchexerzierten „mehr ist mehr“ von Bewegung und Spektakel –  nicht vertraut scheint. Die narrativen Phasen nämlich zwischen den überaus beeindruckenden Actionsequenzen verorten „Death Race 2000“ im überaus stereotyp durcherzählten Genre des Gefängnisfilms, dessen Konventionen er bis hin zum unnötigen Epilog völlig ungebrochen bedient. Das reintegriert ihn leider in ein durch Narration gezähmtes Modell des überflüssigerweise ausgebremsten Bewegungskinos und macht ihn leichter verdaulich, als Sozialkritik es idealiter sein sollte. Seiner Wirkung als eindrucksvoller Rausch der Bilder und Bewegungen und immerhin zur Hälfte interessante Weiterführung einer klugen Idee tut das freilich wenig Abbruch.

Death Race
(USA / Deutschland / Großbritannien 2008)
Regie & Buch: Paul W.S. Anderson; Musik: Paul Haslinger; Kamera: Scott Kevan; Schnitt: Niven Howie
Darsteller: Jason Statham, Joan Allen, Tyrese Gibson, Natalie Martinez, Ian McShane, Max Ryan, Jacob Vargas, Robin Shou, Jason Clarke u.a.
Länge: 106 Min.
Verleih: Universal Pictures

Zur DVD von Universal

Die auch als Limited Edition erhältliche Extended Version von „Death Race“ ist ca. 6 Minuten länger als die Kinofassung. Die technische Umsetzung ist, der audiovisuellen Wucht des Films angemessen, tadellos, das sehr scharfe Bild wird begleitet von krachend-kraftvollem Sound. Das Bonusmaterial erfüllt alle Standards für Veröffentlichungen aktueller Mainstream-Filme, Überraschendes wird eher nicht geboten.

Bild: 2,35:1
Ton: Deutsch, Englisch, Türkisch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel: Deutsch, Englisch, Türkisch
Extras: Lasst die Motoren an: Wie man ein „Death Race“ macht; Hinter dem Lenkrad: Stunt-Analyse; Audiokommentar mit Regisseur Paul W.S. Anderson und Produzent Jeremy Bolt
FSK: Keine Jugendfreigabe

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