Was lange gärt, wird endlich Wut

Publikationen zur Affekttheorie des Films haben seit einiger Zeit Konjunktur. Dies ist zum einen erfreulich, weil damit die Konzentration allein auf Film als ästhetisches Artefakt zugunsten einer die Rezeption berücksichtenden Sichtweise ausgeweitet wird. Zum anderen liefern die Theorien – die zumeist „negative“ Affekte untersuchen – ein nicht-empirisches Scharnier zwischen Filmästhetik und Medienwirkungsforschung, das beide Disziplinen sinnvoll ergänzt und aneinander annähert. In der Reihe „Arnoldshainer Filmgespräche“ befasst sich der 22. Band mit der „Wut“ als bislang vernachlässigtem Untersuchungsgegenstand.

Vom 04.06. bis 06.06.2004 trafen sich 13 Referenten in der „Evangelischen Akademie Arnoldshain“ und diskutierten das Phänomen „Wut“. Die im Schüren-Band veröffentlichten Beiträge verdeutlichen die Vielfalt dieser Debatte, die von philosophisch-abstrakten Begriffseingrenzungen über kunsthistorische Untersuchungen der Motivgeschichte bis hin zur Diskussion einzelner Filme und der darin vertretenen Wut-Phänomene reichten.

So erörtert Klaus Kreimeier in seinem einleitenden Aufsatz über „Filmische Szenarien der Wut“ an Werken wie Don Siegels „The Shootist“ (USA 1976) oder Fassbinders „Warum läuft Herr R. Amok?“ (Deutschland 1969) die ganz unterschiedlichen Erscheinungsformen von Wut der Filmfiguren, verdeutlicht deren Einfluss auf die Narrationen und markiert speziell geschlechtstypische Formen dieses Affektes an Filmen wie Hitchcocks „Rebecca“ (1940), Truffauts „Die süße Haut“ (1963) oder King Vidors „Duell in der Sonne“ (USA 1945). Der Bonner Medienwissenschaftler Michael Wetzel steuert dem Band einen kunsthistorischen Beitrag über „Wut in Text und Bild“ bei, bei dem er vor allem auf die Beiträge der bildenden Künste eingeht (etwa Michelangelos Moses-Statue) und hier vor allem den Wut-Audruck in Gesichtsdarstellungen mit Gilles Deleuzes Überlegungen konfrontiert. Mit psychologischen und sozialpsychologischen Klassikern (Freud, Le Bon, Canetti) ergänzt er seine Abhandlung und überführt sie zum Schluss in eine Untersuchung popkultureller Medien (Film, Comic, Videoclip).

Einen recht kurzen und in seinem Gehalt die Überlegungen Kreimeiers raffenden Beitrag liefert der Heidelberger Literaturwissenschaftler Horst-Jürgen Gerigk ab. Er betrachtet „Wut aus phänomenologischer Sicht“, was hier bedeutet, das Phänomen von „Zorn“ und „Hass“ abzugrenzen. Zu den leider etwas weniger originellen Beiträgen zählt der von Jörg Metelmann, der (natürlich) das Werk Michael Hanekes auf Affekthaftigkeit untersucht. Metelmann konzentriert sich dabei vor allem auf den „frühen Haneke“ und aspektiert dessen Filme bis „Funny Games“ (Österreich 1996). Ähnliche Überlegungen finden sich bereits in Metelmanns Dissertation zum selben Regisseur, die 2003 bei Fink erschienen ist.

Wie immer bei den „Arnoldshainer Filmgesprächen“ wird auch in diesem Band Einzelanalysen, die Filme speziell hin auf das Thema des Bandes untersuchen, viel Platz eingeräumt. In den neun Detailuntersuchungen werden George A. Romeros „Dawn of the Dead“ (USA 1978), Michael Witterbottoms „Butterfly Kiss“ (GB 1994), „Joel Schumachers „Falling Down“ (USA 1992), Ang Lees „Hulk“ (USA 2003), Quentin Tarantinos „Kill Bill“ (USA 2003 & 2004), David Finchers „Fight Club“ (USA 1999) und Werner Herzog „Aguirre – Der Zorn Gottes“ (D 1972) auf die in ihnen dargestellten Wut-Phänomene hin analysiert. Der hier aufgestellte Kanon an „Wut-Filmen“ könnte einschlägiger kaum sein und bietet sich deshalb geradezu für exemplarische Studien an.

Diese neue Perspektive gewinnt selbst bereits unendlich oft untersuchten Filmen wie Romeros „Dawn of the Dead“ noch originelle Erkenntnisse ab. Die politische Parabel des Films wird hier vom Theologen Roland Wicher mit der „Wutepidemie“ erklärt, die sich in der blinden Konsumwut der Untoten, der Zerstörungswut der Rockerbanden und der Ordnungswut der Überlebenden zeigt. Werner Herzogs Film über den „Zorn Gottes“, betrachtet von Mitherausgeber Reinhard Middel, stellt die Hybris der Conquistadoren der unbändigen Wildheit der Natur am Amazonas gegenüber und fördert so verschiedene Arten von Wut hervor. Dass Middel hierbei sowohl auf die Figur des Aguirre, wie auch auf den Schauspieler Kinski, der für seine Wutausbrüche bekannt geworden ist, ein Auge wirft, zeigt wie lohnend eine Auseinandersetzung mit der Wut als intra- und extradiegetisches Filmphänomen sein kann.

Margit Fröhlich/Reinhard Middel/Karsten Visarius (Hgg.)
Außer Kontrolle. Wut im Film.
Marburg: Schüren 2005
Arnoldhainer Filmgespräche 22
196 Seiten (Paperback), 16,90 Euro
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