Was ist Kino?

Lustvolle Zerstörung – das ist Roland Emmerichs filmisches Projekt seit seinem Debüt „Das Arche-Noah-Prinzip“. Dass er sich dabei von Mal zu Mal mit seinen visuellen Zerstörungsorgien steigert und dabei seine Erzählungen minimiert, verhilft seinen Filmen letztlich dazu zu immer stärkeren Argumenten für das Kino zu werden.

Hauptplakatjpeg_494x700Das apokalyptische und postapokalyptische Kino gibt es, seit dem die ersten Filmmonster die Menschheit bedroht haben. Sein Erfolg bis in die Gegenwart hat viel damit zu tun, was Film fähig ist darzustellen – nämlich alles, was auch imaginierbar ist. Und dazu gehören eben auch alle Varianten von Weltenzerstörung, die mit einer Ästhetik des Erhabenen operieren. Diese hat ihre Wurzeln in den Ursprüngen der romantischen Kunst: Das Erhabene benötigt die Konfrontation des kleinen, schwachen, vergänglichen Menschen mit dem Übergroßen, der Natur, der Ewigkeit und allem, was dem Menschen seiner Marginalität bewusst werden lässt. Dass also das Kino, dessen Leinwände und damit Darstellungen stetig größer werden, bestens für die Darstellung des Erhabenen gerüstet ist, macht es auch prädestiniert für Visionen der Weltzerstörung.

Der deutsche Regisseur Roland Emmerich zeichnet diese Visionen – mit wenigen Ausnahmen – seit Beginn seiner Karriere. Schon in seinem Erstling „Das Arche-Noah-Prinzip“ ging es um die Bedrohung ganzer Landstriche durch einen militärischen Komplott, bei dem aus dem Weltraum das Wetter der Erde mit Mikrowellen beeinflusst werden soll und es durch den Missbrauch dieser Technologie zu einer Art „Sintflut“ in Indien kommt. Im Fortgang seiner Filmografie hat Emmerich die Gefährdungspotenziale seinen menschlichen Protagonisten immer mehr aus der Hand genommen und deren Wirkungsbereich stetig vergrößert. Von der Zerstörung einer Großstadt durch einen Dinosaurier, über das Einfrieren der nördlichen Welthalbkugel durch Klimaeffekte bis hin zur beinahe kompletten Vernichtung der Menschheit und Reorganisation der Geografie in seinem jüngsten Film „2012“ hat Emmerich dabei seine Vision ausgebaut – und das ist auch eine Vision davon, wie Kinofilme erzählt werden sollen.

Wenig sagen – viel zeigen!

Schaut man sich Emmerichs Filme an, stellt man schnell fest, dass ihre Plots, die die cineastischen Zerstörungsorgien zusammenhalten, einer stetigen antiproportionalen Reduktion und Simplifizierung unterworfen werden. War die politische Verschwörung und die Charakterzeichnung in „Das Arche-Noah-Prinzip“ noch recht komplex ausgearbeitet, erstarren die Erzählungen nach und nach zu einer Anhäufung von Stereotypen. In „2012“ nun scheint es sogar so, dass der Plot in völliger Belanglosigkeit versinkt. Er wird förmlich unter den Bildern verschüttet, die immer größeren Abstand zum Geschehen gewinnen müssen, weil sie immer mehr und immer größere Zerstörungen darzustellen haben. Diese Tendenz könnte man nun als mangelhaftes Erzähltalent abtun; es wäre jedoch ebenso plausibel in ihr eine Konsequenz aus der Ästhetik des Erhabenen zu sehen, welche Emmerichs Filme immer mehr ausfüllt.

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Seine Bedrohungsszenarien wuchsen in den 1990er Jahren von zunächst anthropomorphen Außerirdischen in „Star Gate“ über zumindest noch mannsgroße Aliens in „Independence Day“, deren Schiffe jedoch schon ahnen ließen, dass da weit größeres auf die Zuschauer zukommen sollte, bis hin zu besagtem Riesen-Saurier „Godzilla“, der mit konventionellen Mitteln und in kleinen Bild-Einstellungen schon nicht mehr einzufangen war. Erst als sich Emmerich in „The Day after Tomorrow“ dann auf die schlimmste Bedrohung des Menschen, nämlich dem Menschen selbst, zurück besann und die halbe Welt der Klimakatastrophe opferte, gewann das Erhabene über das Erzählte endgültig die Oberhand: Klischeehafte Familiengeschichte, wie sie als abgelehnte Drehbücher in der Altpapiertonne Steven Spielbergs gelegen haben könnten, holzschnittartig konstruierte Charaktere und stereotype Verhaltensweisen – und das alles im Angesicht einer untergehenden Welt.

Das Noah-muss-in-die-Arche-Prinzip

Mit „2012“ hat diese Dichotomie zwischen Sagen und Zeigen nun vorerst ihre Amplitude erreicht: Emmerich knüpft, wie es das Bauprinzip des Katastrophenfilms verlangt, etliche Erzählstränge und versucht sie mit einander zu einer Geschichte zu verweben. Abermals führt er uns einen Wissenschaftler vor, auf den die Regierung nicht hören will. Wieder ist da eine zerrüttete Familie, die sich im Angesicht der Bedrohung eint, und wie auch schon mehrfach zuvor gesehen, werden Rand- und Nebenfiguren geopfert um die Bedrohung der Helden plastisch zu zeichnen. Und dass der im US-amerikanischen Exil lebende Emmerich dabei erneut einen ambivalenten Patriotismus zeichnet, der sich selbst zum Opfer fällt, ist ebenfalls keine Neuheit.

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Neu ist hingegen die das Ausmaß der Megalomanie, mit der Emmerich das Unvermeidbare bebildert. Da reißen Kilometer breite Schluchten im Boden auf, die ganze Stadtteile verschlingen, ein riesenhafter Vulkan bricht unter dem Yellowstone-Park aus und bedeckt die kompletten USA mit giftiger Asche. Die komplette Westküste Nordamerikas bricht vom Kontinent ab und versinkt in der durch die beschleunigte Kontinentaldrift aufklaffenden Sankt-Andreas-Spalte und zum Schluss wälzt sich eine mehrere Kilometer hohe Tsunami-Welle über alle Kontinente, die sich aufgrund der tektonischen Effekte einer Sonneneruption mittlerweise an ganz anderen Stellen auf der Erde befinden, und ersäuft den Großteil der Menschheit. Während Emmerich uns das alles zeigt, erzählt er seine Geschichte vom Vater, der seine Kinder und seine Frau in eine der wenigen Archen zu bringen versucht, die eigentlich der zahlungskräftigen Elite der Menschheit vorbehalten sind. Dass der Sohn des Wissenschaftlers ausgerechnet Noah heißt, dass in den Archen Kunstgegenstände und Tiere Platz finden und die im Himalaya versteckte Schiffe die Kontinente repräsentieren, dass die US-Arche dank des Heldenmut eines Einzelnen nur knapp einer zusätzlichen Katastrophe entkommt und dass zum Schluss alle Nationen brüderlich vereint Ziel auf das verschont gebliebene Afrika nehmen … das alles sollte das Vergnügen, „2012“ zu sehen, nicht beeinträchtigen, denn das kann unmöglich ernst gemeint sein.

Das Sterben der Väter

Es scheint so als arbeite sich Emmerich abermals an kulturellen und vielleicht auch privaten Traumata ab, wenn er eigentlich wieder dieselbe Vision von der Zerstörung der Welt an die Bedrohung der Kleinfamilie koppelt. Wie schon in seinen Filmen zuvor ist es auch in „2012“ die Schuld der Väter, die im Film gesühnt wird. Eigentlich ist der zentrale Held, der Wissenschaftler, sogar der einzige Vater von dem erzählt wird, dass er die Katastrophe überlebt – und das auch nur, weil er die Scherben seines Privatlebens erfolgreich zu kitten im Stande ist. Mit allen übrigen Figuren hat Emmerichs Film förmlich Mitleid. Niemand wird als „der Bösewicht“ dargestellt, alle sind Opfer der Umstände oder ändern ihr Verhalten im letzten Moment – häufig genug im Angesicht ihres Todes.

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Auch in dieser fortgesetzten Abrechnung mit der Generation der Väter ließe sich ein Strukturprinzip des Films erkennen. Der den meisten Katastrophenfilmen zugrunde liegende Spagat zwischen dem (Melo)Drama im Kleinen und der Krise im Großen, der nur selten (beispielhaft etwa in Camerons „Titanic“) erzählerisch gelungen wirkt, wird in Emmerichs Katastrophen-Filmen eigentlich jedes mal bis zum Zerreißen überdehnt. Je größer die Katastrophen-Szenarien werden, desto kleiner und piefiger werden die dargestellten Privat-Probleme der Protagonisten und es bedarf schon eines gerüttelt Maßes an Geringschätzung von Emmerichs intellektuellem Potenzial, dahinter bloß Talentmangel zu vermuten. Viel eher ließe sich hier der Versuch erkennen, seine Filme mittels der zur Karikatur erstarrten Plot-Wiederholung endgültig vom Ballast der Story zu befreien und sie ganz mit Bildern aufzufüllen. Denn dass gut erzähltes Kino anders daherkommt, weiß jeder, der schon einmal einen anderen Film als die letzten von Emmerich gesehen hat – und dazu zählt wohl auch Roland Emmerich selbst.

Kino für Augenmenschen

nebelmeerLässt man sich erst einmal auf diese Prämissen ein, kann man nicht nur ohne Befürchtungen in „2012“ gehen, sondern das ästhetische Ereignis eines Kinobesuchs ganz neu bewerten. Wie eingangs geschrieben sind gerade Filme, die mit dem Erhabenen operieren, für die Präsentation im Kino gefertigt. Dazu zählen Emmerichs Katastrophenfilme allemal. Sie sind deshalb auch weniger Opern (die nach dem Wagner’schen Dictum des „Gesamtkunstwerks“ eben ihren Primat nicht allein auf einen Aspekt – den des Optischen – setzen sollen), sondern vielmehr bewegte Gemälde. Man könnte meinen, Roland Emmerich arbeitet mit jedem Film, in dem er den Untergang in noch größerem Maßstab vorführt, an einer Form von romantizistischer „Kinemato-Graphie“, die sich in direkte Tradition zu den malerischen Visionen eines Caspar David Friedrich stellt. Hier lässt Friedrich  einen winzigen Mönch vor der Unendlichkeit des Ozeans verschwinden oder ein Schiff in den schroffen Schollen des Eismeers versinken, rollt eine gigantische Flutwelle durch den Himalaya und verschlingt ein kleines Kloster mit einem einsamen Dalai Lama unter sich oder begräbt das Eis die New Yorker Freiheitsstatue unter sich, während zu Punkten geschrumpfte Menschen an ihr vorbei laufen.

Das muss man einfach mit dem wohligen Schauer, dass es eine „Was wäre wenn“-Konstruktion ist, genießen! Für solche Filme ist das Kino gemacht! Einen Emmerich-Film auf der heimischen Mattscheibe zu sehen, war schon bei „Das Arche-Noah-Prinzip“ ein zweifelhaftes Vergnügen und ist spätestens mit „Stargate“ sinnlos geworden. Die TV-Serie, die als Spin-off zu Emmerichs Erich-von-Däniken-Vision von 1994 konzipiert wurde, stützt sich folgerichtig auch eher auf die vom Erfinder allzu klischeehaft konzipierte intergalaktische Politik-Erzählung und sucht darin ihre Originalität – die Bilder von sich durch eine extraterrestrische Wüste rollenden Soldatenheeren sind seit Emmerichs Kinofilm im TV-Format nicht mehr erreicht worden. Mit „2012“ hat er, ermöglicht durch ein gewaltiges Budget von 260 Millionen US-Dollar, seine bislang klarste und fulminanteste Bildsprache gefunden. Und in ihr erzählt er eine Geschichte in Bildern, die man wirklich nur im Kino verstehen kann.

2012
(USA/Kanada 2009)
Regie: Roland Emmerich; Buch: Harald Kloser, Roland Emmerich; Musik: Harald Kloser & Thomas Wanker; Kamera: Dean Semler; Schnitt: David Brenner & Peter S. Elliot
Darsteller: John Cusack, Amanda Peet, Chiwetel Ejiofor, Thandie Newton, Oliver Platt, Thomas McCarthy, Woody Harrelson, Danny Glover u. a.
Länge: 158 Minuten
FSK: ab 12 Jahren
Verleih: Sony Pictures
Start: 12.11.2009

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