Todlangweilig

Die Neueröffnung von Alcatraz, ein Hi-Tech-Knast der neuesten Generation. Dort werden Sascha (Steven Seagal), ein verdeckter FBI-Agent, und sein Gangsterfreund Nick (Ja Rule), der von Saschas wahrer Identität nichts weiß, eingebuchtet. 8 Monate zuvor hatte sich Sascha noch Nicks Vertrauen erschlichen, um in Sonnys (Richard Bremner) Organisation einzudringen, ein Zugriff einer anderen Polizeieinheit hat’s, gewissermaßen, vereitelt. Doch hat Sascha dabei Nicks Leben, unter Einsatz des eigenen, gerettet: die Kugel traf ihn, nicht Nick, 22 Minuten lang war Sascha klinisch tot. Am Tag der Einweisung soll zudem Lester (Bruce Weitz) hingerichtet werden, der sich, spirituell geläutert, als überaus reumütig erweist, dem Tod gelassen entgegen geht. Sein letzter Wille: ein Gespräch mit jenem Sascha, der selbst schon tot gewesen ist, ihm vom Jenseits erzählen könnte. Die Vollstreckung danach findet indes nicht statt: Alcatraz, zwar ausbruchsicher, ist offenbar nicht einbruchsicher! Eine Gruppierung wilder Straßenkämpfer im Post-Matrix-Look bemächtigt sich der Verwahrungsanstalt just nach jenem Gespräch, möchte dem zum Tode Verurteilten vor dem Exitus noch das Wissen um den Verbleib der überaus fetten Beute seines reichlich außer Kontrolle geratenes Coups abringen. Als hochrangige Geisel und Druckmittel dient die anwesende Richterin, sowie der Rest des Personals. Angesichts einer machtlosen Polizei auf dem kalifornischen Festland, organisiert Sascha unter den Insassen den Widerstand, stellt die Frage, unter notwendiger Aufdeckung seiner eigentlichen Identität, auf wessen Seite man zu kämpfen habe.

Hätte man etwas weniger Lust dazu verspürt, den mittlerweile doch reichlich unsportlich wirkenden Seagal in zahllosen Actionsequenzen plump durchs Bild tapsen zu lassen, auf der Tonspur begleitet von ähnlich plump gestalteten Nu-Rock-Standardriffs und HipHop-Beats, es hätte vielleicht ja wirklich ein ganz ansehnlicher Thriller entstehen können. Dem war nicht so, also ist aus HALF PAST DEAD eben eine Aufzählung von Drehbuchlöchern geworden, die durch, selbst Freunden des Selbstzweckhaften kaum zumutbaren, selbstzweckhaften Actionsequenzen lose miteinander verquickt wurden. Sascha kann offenbar alles: Einen Lügendetektor gnadenlos bescheißen, 22 Minuten lang tot sein – juckt ihn alles nicht die Bohne! Anderswo – etwa bei DIE ANOTHER DAY (USA, 2002) – mag so was ja noch als augenzwinkernder camp durchgehen, hier aber verkommt das, bloßer Behauptung physischer Allmacht zur Folge, zur plumpen, wenig zu unterhalten wissenden Selbstüberhöhung. Und woher weiß der seltsam von allem Irdischen entrückt wirkende Lester eigentlich von Saschas vorübergehender Leichenstarre? Woher das Wissen um dessen Einweisung am Tag seiner Hinrichtung? Im Hochsicherheitstrakt, in der Einzelhaft der death row scheint’s reichlich geschwätzig zuzugehen. Überhaupt das Gefängnis: da drin geht’s zu wie im schönsten Hiphop-Video, jeder trägt ein Bandana, die Wände werden mit Graffiti besprüht, der Direktor pflegt den ganz persönlichen Kontakt zu den Häftlingen, jeder ist cool und lässig, fehlt ja eigentlich nur noch die brennende Tonne in der Mitte. Wozu also all das bedeutungsschwangere Gerede von den „schlechten Zeiten für böse Jungs“, wenn’s im Knast selbst auch nicht anders abgeht als auf dem Jahrestreff des Fanclubs vom Wu Tang Clan? Der Film weiß es offenbar selbst nicht.

Auch andernweitig begnügt sich HALF PAST DEAD damit, interessante Implikationen einer mehrfach gebrochenen Geschichte lediglich in Aussicht zu stellen, niemals aber zu erfüllen: Die biographische Tragik von Sascha – vor langer Zeit hat Sonny seine Frau getötet – steht als bloßer Versuch der Anreicherung der Story konzeptlos neben anderen im Raum, ohne aber im Film dramaturgisch von größerer Bedeutung zu sein. Ähnlich verhält es sich mit der Freundschaft zwischen Nick und Sascha, die, so möchte man meinen, mit der Enthüllung von Saschas wahrer Identität doch auf eine denkbar schwere Probe gestellt wird. Zwar sorgt dieser Umstand, natürlich, zunächst für etwas lange Gesichter, von einer Nutzung im Sinne der Dramaturgie, des Nervenkitzels kann indes noch nicht mal ansatzweise die Rede sein. Und warum die ganzen Knastis auf einmal bereitwillig für Gott und Vaterland einzutreten scheinen, die zahllosen Gelegenheiten eines brachliegenden Sicherheitssystems und der eigenen Bewaffnung offensichtlich noch nicht mal versuchsweise für eigene Zwecke nutzen wollen, dies zu erklären, macht sich HALF PAST DEAD ebenfalls kaum Mühe. Wie man überhaupt den ganzen Rest des Films wohl allein deshalb hinnehmen muss, weil sich der Drehbuchautor das eben so in seinem knapp umrissenen Treatment ausgedacht hat.

Bleiben als letztes zumindest noch die Actionsequenzen. Die sind, keine Frage, zahlreich vorhanden, choreographisch wohl konzipiert und erreichen die zeitgenössischen Standards über weite Strecken ohne größeren Probleme. Allein, sie stehen, einer mangelnden Einbettung in die Dramaturgie sei’s gedankt, seltsam neben dem Film, sind oft so willkürlich ins Geschehen montiert, dass man hier und da eine Vertauschung der Filmrollen im Vorführraum wähnt. Direkte Folge einer solch beliebigen Aneinanderreihung ist die schnell einsetzende Überdrüssigkeit beim Zuschauer: Was nutzt das alles, all die Bewegung im Bildkader, wenn sich dadurch doch im Innern des Films nichts bewegt, keine Dynamik entsteht? Eine bloße Nummernrevue, deren Schauwert im Einzelnen durch die beliebige Aneinanderreihung im Allgemeinen bald schon den Reiz des Sensationellen verliert.

HALF PAST DEAD bleibt vor allem als Anhäufung zahlreicher verpasster Gelegenheiten in Erinnerung. Ein einziges großangelegtes Verschenken in Aussicht gestellter Möglichkeiten zugunsten zweifelhafter Ambitionen.

Ab 12. Juni im Kino!

Halbtot – Half Past Dead
(Half Past Dead)
USA 2002
Regie/Drehbuch: Don Michael Paul; Kamera: Michael Slovis; Schnitt: Vanick Moradian, Musik: Tyler Bates
Darsteller: Steven Seagal, Ja Rule, Morris Chestnut, Nia Peebles, Tony Plana, Kurupt, u.v.m.
Länge: 98 Minuten
Verleih: Columbia TriStar

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