Pop will eat itself

Am Anfang steht die Initiation: Laute Musik – wild, anarchisch, befreiend – betäubt, vor allem wenn live erlebt, nicht nur die Ohren, nein, sie öffnet, man kennt das ja (zu bemitleiden, wer nicht) aus eigener Erfahrung, auch die Augen. Plötzlich ist alles ganz klar, scheint der Weg geebnet, der Sinn gefunden, metaphysische Einheit mit der Welt geschaffen. Harry also bei DAF in Düsseldorf, irgendwo ganz vorne in den ersten Reihen, der kleine Bank-Azubi, ungläubig nach vorne blickend, elektrisiert zappelnd. Auf dem Rückweg ins noch immer piefig-muffige München dann das in Folge solch körperlich erlebter Sinnstiftung quasi schon obligatorische Weltenretter-Motiv: „Da draußen geschah etwas ganz Großes, ich musste den Leuten zuhause die Augen öffnen!“

Gesagt, getan, Manager von Apollo Schwabing (man muss das mal loswerden: was für ein grauenhafter, absolut authentischer Name für eine gewisse Periode musikalischen Schaffens hierzulande) geworden, zunächst noch reichlich unerfolgreich: Popelige JuZe-Auftritte, inklusive Anlagen-Totalausfall, noch dazu vor den Augen des wichtigsten Musikjournalisten im ganzen Land. Die Idee daraufhin ist großartig: Den Zirkus Krone mieten, DAF als Headliner anlachen, massenweise Werbung schalten, Apollo als Vorband, anschließend große Nummer sein. „Es geht hier um Kunst, ich mache Dinge in der Stadt, von denen ihr hier draußen doch überhaupt nicht die geringste Ahnung habt!“, heißt es an zwei Stellen dann im Kampf um das dafür dringend benötigte Geld. Der Traum der Popmusik bleibt sich also treu: Der Traum, alles erreichen zu können (derzeit singen die Wir sind Helden ja mal wieder davon im Radio), der Traum vom großen Moment, wenn alles, aber auch wirklich alles, ganz bei sich ist, jenseits kleinbürgerlicher Wohnzimmerschrankwände.

Was folgt ist ein reines Martyrium: Harry kann alles, Harry macht alles, Harry reißt sich den Hintern auf, Harry kümmert sich um alles, Harry hat das Know-How, Harry hat die Kontakte, Harry pflegt die Kontakte, Harry rennt von A nach B von dort bis Z und wieder zurück. Harry verliert alles, denn Harry kann mitnichten alles: Das Hippie-Mädchen (wie uncool), das ihn heimlich vergöttert, schlägt er vor den Kopf, der Strom wird ihm abgestellt, DAF sind unerreicbar, fahren auch noch in Urlaub, der Vorverkauf läuft, die Plakate werden gedruckt, DAF, DAF, DAF, wie kriegen wir DAF, die Instrumente fehlen, werden sie eben geklaut, hast du schon DAF, ja DAF, nein DAF, wo sind nur DAF, DAF sind im Urlaub, sind sie nicht, sind sie doch, dann ist Apollo kurz vor dem Ende, die Plakate werden aufgehängt, DAF steht drauf, DAF findet das nicht witzig, undsoweiter undsofort. Eigentlich grausam (in Wirklichkeit aber: unheimlich spannend), wie sich da der Einzelne, von seinen Mitmenschen unhonoriert, zur Gänze aufgibt, die eigene Möglichkeit der Existenz schlußendlich noch in Frage stellt, in den Mahlrädern der Ökonomie des Pop vollkommen zerrieben wird. Denn hinter dem Traum des Pop steht noch immer die Bilanz der Abrechnung: Und die ist manifest, total, vernichtend.

Für was das alles? Für eine Titelstory in der Sounds, ein paar wohlwollende Worte: „Ist das Deutschlands neueste Hoffnung?“ steht dort unter dem schlecht ausgeleuchtetem Bild. Ein halbes Jahr später war die Neue Deutsche Welle am Kochen, ein weiteres Jahr später war sie auch schon vorbei. Die Manager und großen Bosse, die einzigen, die am Geschäft verdienen, ziehen weiter zu noch unbeackerten Feldern, zu neuen Märkten. Es gibt da eine Band, die nennt sich Pop Will Eat Itself. Wie wahr!

Verschwende Deine Jugend ist, natürlich, einer dieser Retro-Filme, die hierzulande meist hoch im Kurs stehen, und er lehnt sich nonchalant an diese Tradition an: 23 – Nichts ist wie es scheint (D 1998), Good-Bye Lenin (D 2003) haben’s, unter anderem, vorgemacht. Man sieht die frühen 80er vor sich und doch ist das irgendwie nur ein Bild der frühen 00er Jahre von den frühen 80er Jahren – warum auch immer, verbergen kann Verschwende Deine Jugend trotz allen Muffs alter Sparkassenfilialen, der da stellenweise sehr witzig etabliert wird, das nicht. Vielleicht, weil die Ikonografie etwas allzu beliebig ins Bild geschmissen wird? Hier eine Line Koks, dort eine „typische Frisur“, dann noch ein allzu bekanntes Friedensposter an der Wand des Hippie-Mädchens, das, natürlich, vom Nato-Doppelbeschluß spricht. Alles ist da, nur verdichtet es sich nicht. Vielleicht ist das aber auch ein Vorteil, denn kitschig wird der Film ebenfalls nicht, und schon gar nicht nostalgisch-romantisch verklärend. Von besseren, schöneren, vergangenen, „irgendwie doch gar nicht so schlechten“ Zeiten wird hier nicht schwadroniert, keine Florian-Illies-Kompatibilität, nirgends. Das ist gut so, mir hat’s gefallen.
Verschwende Deine Jugend
Deutschland, 2003
Regie: Benjamin Quabeck; Drehbuch: Ralf Hertwig, Kathrin Richter;
Kamera: David Schultz; Schnitt: Tobias Haas; Darsteller: Robert Stadlober,
Tom Schilling, Jessica Schwarz, Marlon Kittel, Dieter Landurius,
Nadja Bobyleva, Denis Moschitto, Christian Ulmen, u.a.

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