Kino des Orients

Der Interviewband von Amin Farzanefar wagt einen aktuellen Blick auf das Kino des Nahen Ostens, wobei die israelische Filmszene stillschweigend ausgeklammert wird: Die ganze Aufmerksamkeit gilt den Produktionen der islamischen Welt.

Natürlich kommt man auf Israel trotzdem zu sprechen, wenn es um die politische Atmosphäre in der Region oder um die ideologische Position der einzelnen Filmschaffenden geht. Denn die Gespräche konzentrieren sich keinesfalls nur auf die jeweilige Filmästhetik, sondern beschäftigen sich immer wieder mit der Frage nach dem Bild, das vom Orient nach außen vermittelt wird, und der Rolle, die dabei dem Kino zukommt. In der Einleitung erwähnt der Autor unter welch schwierigen Bedingungen seine Interviews teilweise entstanden sind und wie abenteuerlich der Weg eines Journalisten und Forschers sein kann, der sich (ummittelbar) nach dem 11.09.2001 für das orientalische Kino interessiert. Der Hauch des Verbotenen, auf den Amin Farzanefar anspielt, dürfte aber inzwischen wieder verflogen sein: Zumindest in Europa ist das Kino aus dem Orients längst anerkannt und – sowohl in Programmkinos als auch auf Filmfestivals – sehr gerne gesehen. Aber wie orientalisch ist das orientalische Kino tatsächlich? Viele Filmprojekte werden entweder in Europa gedreht oder mit europäischen Mitteln unterstützt. Wen wundert es dann, dass sie dem europäischen Zuschauer so gut gefallen? Farzanefar ist aber weit davon entfernt, das „authentische“ orientalische Kino aufspüren zu wollen, denn aus den Interviews geht deutlich hervor, dass ein Kinowerk immer ein bestimmtes soziales und ästhetisches Programm erfüllt, das sich von den Erwartungen der potenziellen Rezipienten (seien es europäische Intellektuelle oder Vertreter der traditionell orientierten islamischen Kultur) speist und in diesem Sinne nie wirklich „unabhängig“ sein kann. So muss man nach der Lektüre wohl einige Illusionen aufgeben, die man bezüglich des „anderen“ Kinos, das aus der Ferne kommt, vielleicht noch gehabt hat. Aber auch der erwartungsvolle Blick mancher der befragten Regisseure, der auf den Westen gerichtet ist, erscheint ebenfalls mitunter naiv: Als ein Paradies für Kunstschaffende und Freidenker kann Europa wahrscheinlich eben nur aus der Ferne wahrgenommen werden. Die Klischees bestehen nun mal auf beiden Seiten, und Farzanefar als Interviewer geht analytisch genug vor, um sie nicht unhinterfragt stehen zu lassen.

Der mit vielen Filmstills illustrierte Band, der praktisch kein islamisches Land der Region auslässt und auch die Emigrantenszene in Europa miteinbezieht, ist sehr gut für den ersten Überblick über das orientalische Gegenwartskino geeignet, zumal die deutschsprachige Literatur zu dem Thema noch spärlich ist. Leider merkt man dem Buch an, dass es um der eigenen Aktualität willen sehr schnell fertig gestellt werden sollte: Viele Informationen, die in Interviews nachzulesen sind, werden in den jeweiligen Einleitungen bereits vorweggenommen. Die Interviews selbst scheinen nur sehr wenig nachbearbeitet worden zu sein, was nicht unbedingt ein Vorteil ist, da Wiederholungen und Längen dabei vorprogrammiert sind. Schade ist auch, dass für die Filmtitel, die mal im Original, mal in Englisch oder Deutsch angeführt sind, keine einheitliche Schreibweise entwickelt wurde, was die Lektüre weniger eingängig macht. Dasselbe gilt für die oft recht missverständlichen und zum Teil sogar ganz weggelassenen Bildüberschriften. Doch wer ein Interesse für das orientalische Kino verspürt, wird in diesem Buch viele Anregungen finden.

Amin Farzanefar
Kino des Orients. Stimmen aus einer Region
Marburg: Schüren 2005
270 Seiten (Paperback)
19,90 Euro

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Ekaterina Vassilieva-Ostrovskaja

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