Illusion versus Prätention

Bis heute lässt die Familie Mann, Stars der Literatur-Szene des letzten Jahrhunderts, Lieblinge des Feuilletons und verantwortlich für zahlreiche überlastete Nervenstränge geprüfter Oberprimaner, weder germanistische Forschung noch Film ruhen. Just kündigt sich nicht nur eine neue, die nunmehr sechste Verfilmung eines von Thomas Manns Hauptwerken, der „Buddenbrooks“ durch Heinrich Breloer an, es steht aktuell – fast wie zur Ergänzung – eine 5 Verfilmungen beinhaltende DVD-Box von Kinowelts Arthaus-Label bereit.

Neben den seit längerem bereits als Einzelveröffentlichungen erhältlichen DVDs von „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ (1957), Alfred Weidenmanns zweiteiliger „Buddenbrooks“-Adaption (1959) und der Leinwandfassung von „Der Zauberberg“ (1982) finden sich als deutsche DVD-Premieren noch „Königliche Hoheit“ (1953) sowie „Doktor Faustus“ (1982) in der Kollektion.

Einhergehend mit der sichtbar differenten, mediensoziologisch aufschlussreichen Entwicklung der Filmgestaltung im deutschen Nachkriegskino lassen sich die enthaltenen Werke, deren Entstehung einen Zeitraum von 29 Jahren umfasst, als Zeugnisse unterschiedlicher Annäherungsansätze an Literatur zu Adaptionszwecken betrachten und zu einer nichts weniger als überraschenden, resümierenden Konklusion gelangen. Arbeitete Mann-Tochter Erika noch eingehend an den drei in den fünfziger Jahren entstandenen Filmen mit und mühte sich offenbar redlich, die Ambitionen ihres Vaters nicht in voller Gänze dem Wirtschaftswunderpomp anheim fallen zu lassen, bieten die beiden 1982 entstandenen Arbeiten Kunsthandwerk, das keinem Unterhaltungsanspruch mehr gerecht zu werden versucht, sondern in direkter Tradition der deutschen Autorenfilmer steht.

Harald Braun nahm sich 1953 mit „Königliche Hoheit“ eines für des Autors Verhältnisse geradezu märchenhaften Romans an. Trotz des entrückten Szenarios (Schauplatz ist das fiktive Großherzogtum Grimmburg, das sich finanziell stetig am Rande des Ruins entlang hangelt und sich mit seinem Status als Kurort am Leben erhält) enthält die Erzählung nachweislich klare autobiographische Bezüge. So ist etwa das Protagonistenpaar mehr oder minder deutlich an den Autoren und seine Ehefrau Katia angelehnt, in dem kränkelnden Großherzog Albrecht findet sich ein Pendant zu Manns älterem Bruder Heinrich.

Deutlich gelenkiger im Dialog als das Gros der um diese Zeit höchst beliebten Blaublut-Romanzen im Kino versagt sich „Königliche Hoheit“ als eines von mehreren Vehikeln für das damalige Leinwand-Traumpaar Borsche/Leuwerik weitgehend den werkimmanenten Biss, der bei Mann wie obligatorisch auffindbar ist, bleibt statisch in der Aufwendung seiner Mittel und bietet schlussendlich unwesentlich mehr als zeitgemäß braven, wenn auch herzerwärmenden Eskapismus. Dabei ist der Film vor allzu überhöhtem Kitsch zu großen Teilen gefeit und nimmt insofern eine moderate Sonderstellung unter den „Heimatfilmen“ seines Jahrzehnts ein.

Anders die „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“. Zwischen der Veröffentlichung der endgültigen literarischen Form, also „Der Memoiren erster Teil“ und dem Erscheinen des Films liegt mit nur drei Jahren ein denkbar geringer Abstand. Der Film, ein leichtes Schelmenstück, diesmal ohne Farbe, reduziert die Komplexität der Vorlage auf ein mundgerechtes Maß, das ihn zwar zu einer launigen und konsumierbaren Arbeit werden lässt, ihn jedoch zugleich des Verdachts allzu intensiver kognitiver Herausforderung enthebt. Horst Buchholz spielt den Krull mit der gebührenden Eleganz und Keckheit, lässt im Zuge seiner schnippisch-mondänen Erscheinung aber zuweilen die zahlreichen Bildungsmomente des Romans vermissen. Mann-Puristen mögen den modifizierten Schluss monieren, der eine wesentlich leichtere, letztlich aber unpassende Note erhalten hat. Große Freude bereitet indes das zugleich sympathische und gewandte Spiel Paul Dahlkes, der als Professor Kuckuck den denkwürdigsten Auftritt liefert.

„Buddenbrooks“ (anderslautender Annahmen zum Trotze tatsächlich artikellos betitelt) wurde von Alfred Weidenmann 1959 in zwei Teilen in die Lichtspielhäuser gebracht. Der komplexe Roman, neben „Der Zauberberg“ Manns umfangreichstes und zugleich sein Hauptwerk, beschreibt den schmerzlichen Niedergang einer Lübecker Patrizierfamilie, deren letzte vier Generation an zunehmend nachlassender Geschäftskompetenz und allzu großer Menschlichkeit – einer kapitalen Schwäche ihres Universums – „kranken“. Der Film interessiert sich (bei mit insgesamt knapp zweihundertminütiger und somit annährend adäquater Erzählzeit) primär für die mehrheitlich aufoktroyierten Affären der Protagonisten – u. a. von Liselotte Pulver, Hansjörg Felmy und Hanns Lothar recht sehenswert interpretiert –, ihre Liebeswehen und heiteren Momente, wiederum gerade so, dass es die Zuschauerschaft jener Tage weder sittlich überforderte noch allzu sehr deprimierte. Manns strenge, hochklassige Erzählkomposition findet darin kaum Platz und räumt einer einmal mehr unterhaltsamen, dafür aber ihrer ursprünglichen Schwere enthobenen Adaption den Weg.

Nach einem chronologischen Sprung von immerhin 23 Jahren verwundert die beträchtlich andersartige Verfilmung von „Der Zauberberg“ relativ wenig. Nach den Triumphen der Filmautoren bei Kritik und Publikum sah man die Rezeption offenbar bereit für Manns sinnigste und sinnlichste Niederschrift, die für eine dramaturgisch abwechslungsreiche Verfilmung denkbar ungeeignet scheint. Dennoch verbuchte die dreiteilige TV-Adaption mit rund 320 Minuten Laufzeit deutlich einstimmigeren Applaus als die weniger als die Hälfte dauernde Schnittfassung fürs Kino. Leider liegt nur letztere in der Edition vor.

Hans W. Geißendörfer, als Erfinder der „Lindenstraße“ später noch zu größerer Bekanntheit gelangt, zeichnet als Regisseur für „Der Zauberberg“ verantwortlich, der als Bildungsroman (bzw. als Parodie auf denselben) von dem Hamburger Kaufmannssohn Hans Castorp (Christoph Eichhorn) berichtet, welcher sich in ein Schweizer Lungensanatorium begibt – ursprünglich um dort einen Vetter zu besuchen – und dort bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs schlussendlich ganze sieben Jahre verbringt, nachdem man auf seiner Lunge einen Schatten diagnostiziert hat.

Die ungeheure sprachliche Präzision, von der Mann in seinem Meisterwerk nicht nur permanent Gebrauch macht, die er vielmehr im Laufe der Erzählung noch potenziert, kann unter dem Versuch, in bewegte Bilder transponiert zu werden, nur leiden. Der Roman kreist um eine Vielzahl moralischer und sittlicher Diskurse zwischen Passion und Politik, findet seinen Platz weithin auf philosophischer Ebene und fesselt den Leser, indem er ihn an ebendieser Gedankenwelt teilhaben lässt. Hier wirkt der Kinofilm oftmals bemüht, hat, bis auf sein ebenmäßig reproduziertes Zeitkolorit und die Inszenierung visueller Höhepunkte (wie die diversen Festivitäten) nicht all zuviel zu bieten und mündet schließlich dort, wo Geißendörfer sicher zuletzt zu münden wünschte: Im Ausschluss des Rezipienten. Dafür ist der große Rod Steiger als Castorps übermächtige Vorbildfigur, der ikonische Mynheer Peperkorn (möglicherweise der vielschichtigste Charakter des Romans), sicherlich überaus sehenswert.

Jon Finch, der bereits bei Hitchcock („Frenzy“) und Polanski („Macbeth“) spielte, gibt im finalen Werk der Edition den Tonmeister Adrian Leverkühn, der in „Doktor Faustus“ (neben dem „Felix Krull“ ein weiteres Spätwerk von Mann) dem Teufel (André Heller) im Gegenzug für allumfassende Genialität Seele und Empfindsamkeit opfert und die letzten Jahre seines Lebens dafür im Dämmerzustand verbringen muss. Freilich ist diese Synopsis wiederum vollkommen unzureichend, denn die Personalisation des Herrn Leverkühn rekrutiert sich aus ethischer Wankelmütigkeit, theologischen Unsicherheiten und Obsessionen, die sich durch syphilitischen Fieberwahn quittieren. Ob sein Teufelspakt als rational entrücktes Element der Erzählung in der Realität wurzelt oder in einer von Leverkühns Illusionen wird nie geklärt, ebenso wie seine sonstige psychische Konstitution den Zuschauer vor manches Rätsel stellt.

Zum großen persönlichen Erstaunen bleibt allen Erwartungen zum Trotze noch festzuhalten, dass die älteren Verfilmungen Impressionen und Stimmungen von Manns Werk gerechter werden als die von übermächtigem Intellektualismus geprägten Adaptionen Geißendörfers und Seitz’. Ob der Grund dafür in der engeren zeitlichen Verbundenheit zu suchen ist oder dem naiveren, emotionaleren Ansatz der Fünfziger, das gilt es noch eingehender zu untersuchen.

Zur DVD-Box von Arthaus

Die „Thomas Mann Edition“ von Arthaus enthält 5 DVDs:

Zur Ausstattung der DVDs von Arthaus:

Bild: 1,33:1 / 1,66:1 (Farbe / SW)
Ton: Deutsch (Doby Digital 1.0 Mono)
Extras: Trailer / Fotogalerie / Dokumentation „100 Tage auf dem Zauberberg“
Länge: ca. 664 Minuten
Freigabe: ab 16
Preis: 35,89 Euro

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Frank Stegemann

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