Ihr könnt uns nicht entkommen!

Groundhopper nennen sich Fußballfans, die rund um den Erdball reisen, um möglichst viele Spiele in fremden Arenen zu sehen. Kein Weg ist ihnen zu weit, und keine Kosten werden gescheut. Dafür ernten sie Respekt bei Gleichgesinnten und Kopfschütteln im sonstigen Bekanntenkreis. Zora, Silvia, Stefan, Katrin und Co. stehen auch immer in der ersten Reihe, wenn ihre Helden aufspielen. Notfalls geht es sogar bis nach Tokio, all das gehört zum Fan-Dasein. Doch sind sie keine Fußballfans, hier soll es um die größten Fans der selbst ernannten „besten Band der Welt“ gehen: Die Ärzte – bekanntlich aus Berlin.

Wer es nicht selbst erleben durfte, konnte in Nick Hornbys Roman High Fidelity nachlesen, was es für eine Bedeutung haben kann, eine rare Single von einer Lieblingsband in seinem Besitz zu wissen. Vielleicht einen Fehldruck auf der Vinyl-Scheibe. Womöglich noch ein Autogramm mit Widmung, oder in diesem Fall gar einen Blick von Farin Urlaub, dem Sänger der Ärzte, bei einem Konzert. So ähnlich beginnt „Wir wolln die Ärzte sehn“. Ein recht langer Konzertausschnitt der Band, dann die Protagonisten vor der Bühne. In einer nächsten Sequenz zeigt Katrin stolz in ihrer Wohnung Pappfiguren der Musiker. Später kommen nahezu alle Elemente einer kultischen Verehrung vor: Tattoos, Fanforen und Chats, der Stolz auf Rippenbrüche und blaue Flecken, Fotos und Tourtagebücher – und natürlich Begegnungen.

Eva-Marie Weerts gelingt mit ihrem kurzen Dokumentarfilm ein facettenreicher Einblick in das Leben als Fan. Die Glücksmomente und Entbehrungen, die die Hingabe mit sich bringen, und die Grenzen, die sich zwischen Alltag und Hobby und zwischen Wunschdenken und Realität auftun. Und manch schöne poetische und amüsante Momente fängt die Kamera ein. Wenn Silvia mit ihrem blauen Irokesen durch das leere Hallenbad schwimmt. Oder der Anblick der bunten Haare im Bus in Tokio. Nebeneinander sitzen sie, rot, gelb und blau inmitten der schwarzhaarigen, staunenden Einheimischen.

Die Reise nach Tokio bildet den Höhepunkt am Ende des Films. Es werden für kurze Zeit die Seiten getauscht. Das Fan-Grüppchens steht plötzlich im Mittelpunkt des Interesses, jetzt müssen sie vor den Fotoapparaten posen. Fan zu sein, das bedeutet Reisen, das Teilen einer Leidenschaft. Dass man zu dem kleinen Kreis gehört, den die Ärzte mit Namen kennen. Das ist das Größte. Hardcore-Fan Stefan hast sogar selbst einen Fan, der sich an seine Fersen heftet. Doch jetzt, angelangt in Tokio, wird das elitäre und exklusive Erlebnis sogar noch einmal getoppt.

Nach dem Konzert in dem kleinen Klub im fernen Japan kommt es mal wieder zur Begegnung von Star und Fan. Man hat es geschafft, die Drohung wahr gemacht: Ihr könnt uns nicht entkommen. Wo immer ihr auch hinkommt, wir sind bereits da. Das Objekt der Begierde, die Band, kommt dann zum ersten und einzigen Mal zu Wort. Leicht konsterniert stellen sie sich die Frage, was das eigentlich solle, tausende Kilometer geflogen zu sein, um sich jetzt ausgerechnet wieder mit den deutschen Anhängern unterhalten zu müssen.

Und es wird nicht wahr werden, darüber ist sich Zora auch im Klaren: Die Schlagzeile „Rockstar verliebt sich in arme Studentin“ bleibt ein Traum. Und darum geht es ja auch, um das Träumen.

Das Berliner Filmkunsthaus Babylon zeigt den Film am 05. und am 07. Juni 2003. Wir bedanken uns recht herzlich für die Kooperation.

Wir wolln die Ärzte sehn
Deutschland 2003
Regie: Eva-Marie Weerts
70 Minuten

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