I can’t speak to God

Mit “The Passion of Christ” hatte Mel Gibson nicht nur einen die Kinosäle überschreitenden Diskussionsfall geliefert, der gleichermaßen Werbung für Gibsons Ego wie das katholische Christentum machte, sondern die Filmgeschichte auch um eine besonders problematische, weil naive Jesus-Darstellung bereichert. Dass es danach kaum noch möglich sein würde, sich auf die Christusfigur zu beziehen, ohne sich im gleichen Zuge von Gibsons Arbeit abzugrenzen (oder sich ihr affirmativ anzuschließen), scheint nun Abel Feraras “Mary” zu belegen. Ferara konstatiert darin eine eigene katholische Position und entlarvt das Werk seines Hollywood-Kollegen im gleichen Atemzug als verlogen.

mary.jpg “Mary” beginnt als eine Art “Making of” des Films “This is my Blood” des fiktiven Regisseurs Tony Childress. Nachdem die Arbeiten an dem Film vorüber sind, kehrt die Darstellerin der Maria Magdalena, Marie Palesi (Juliette Binoche), nicht zurück nach Amerika, sondern sucht ihren Glauben in Jerusalem. In den USA erwartet Childress Protest von allen Seiten. Boykottaufrufe und Bombendrohungen begleiten die Vorstellungen seines Werks. Childress wird von dem kritischen Fernsehjournalisten Ted Younger gebeten, in dessen Show, einer Diskussionssendung über Religion und Glauben, aufzutreten, um dieser damit zu mehr Popularität zu verhelfen. Childress willigt ein, wenn Younger im Gegenzug eine seiner Filmveranstaltungen dokumentiert und die Protestaktionen, die sich dort abspielen, als Angriffe gegen die freie Meinungsäußerung darstellt. Als Youngers schwangere Frau jedoch eine Frühgeburt erleidet und es nicht klar ist, ob sie oder das Kind überleben werden, findet der ursprüngliche Agnostiker Younger zum Glauben – den er jedoch stark gegen den naiven Mystizismus Maries abgrenzt und gegenüber der heuchlerischen Selbstbeweihräucherung Childress’ verteidigt. In der Diskussionssendung kommt es schließlich zum Eklat, als alle drei Meinungen aufeinander treffen.

Die Art und Weise wie Ferrara die drei Möglichkeiten des Umgangs mit dem Glauben hier gegeneinander kontrastiert, verdeutlicht seine fortgesetzte Auseinandersetzung mit dem Katholizismus, die sich bereits die Vorgängerwerke von “Mary” bestimmte. Es ist hier vor allem die zweifelnde Figur Ted Youngers, hinter der sich der vom Film favorisierte Glaube wiederfinden lässt. So ehrlich, wie der hadernde Fernsehstar in seinem Unglauben ist, so aufrichtig wird seine verzweifelte Suche nach Sicherheit dargestellt. Die psychologischen Motivationen dieses späten Glaubensbekenntnisses offenbart der Film dabei jedoch nicht als Heuchelei, sondern stellt deren Grundsätzlichkeit heraus: die in der Not zum Himmel empor gerufenen Wünsche sind Ausdruck eines narzisstischen Konfliktes. Gott möge ihm Frau und Kind nicht nehmen – dafür würde er sogar sein Leben opfern. Diesen Handel Youngers stellt der Film als Angelpunkt einer Glaubensfindung dar.

Ferraras Annäherung an das Thema lässt sich mit der Naivität Gibsons nicht vergleichen – zumal ihm die Jesus-Figur selbst nur als Objekt der Auseinandersetzung dient. Der hier dargestellte bzw. favorisierte Glaube ist rein metaphysischer Art. Er grenzt sich von den Lippenbekenntnissen Childress’ ebenso ab wie von der naiven Suche nach der authentischen Glaubenserfahrung “vor Ort”, wie sie Marie anstrebt. Ferrara beschreitet hier, wie sein Protagonist Younger, ebenfalls einen dritten Weg der Darstellung – eben jenen zwischen Mel Gibsons positivistischer Schriftgläubigkeit und Martin Scorseses (vor allem in “Last Temptation of Christ”, aber auch in “Bringing out the Dead”) moralphilosophischer Reflexion auf dem Tableau des Katholizismus.

Mary
(USA/Frankreich/Italien 2005)
Regie: Abel Ferrara; Buch: Abel Ferrara & Scott Pardo; Musik: Francis Kuipers; Kamera: Stefano Falivene
Darsteller: Juliette Binoche, Forest Whitaker, Matthew Modine, Heather Graham, Marion Cotillard, Stefania Rocca u.a.
Länge: 83 Minuten
Verleih: n.n.

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