Filmosophie des Zeitreisens

Jeder Film ist eine „Zeitreise“: Er kündet mit seiner Ästhetik und Erzählhaltung von der Zeit seiner Entstehung – lässt sich mithin sogar als Beitrag zur „Mentalistätsforschung“ einer Epoche nutzen. Richard Kelleys „Donnie Darko“ ist so gesehen ein hochinteressanter Film, der so tut als käme er „aus den 80er“ Jahren, der uns vor Augen führt, wie wir die jüngste Vergangenheit sehen und der dieses Thema im Rahmen einer Zeitreise-Geschichte verdoppelt.

Donnie ist ein typischer Teenager Ende der 1980er Jahre. Auf der Suche nach seinem Selbstbild, im Konflikt mit seiner Familie, an der Schwelle des Erwachsenwerdens. Und doch unterscheidet ihn vieles von seinen Altersgenossen: Er leidet unter „paranoider Schizophrenie“, wie seine Therapeutin den Eltern mitteilt. Donnie wacht nachts auf, verlässt das Elternhaus und findet sich morgens weit entfernt wieder. Eines Nachts rettet ihm dieser Somnabulismus das Leben, denn in sein verweistes Zimmer fällt ein Flugzeugtriebwerk.

In der Folge werden Donnies Erlebnisse immer skurriler: Er begegnet nachts einem 1,80 Meter großem Mann im Hasenkostüm, der ihm zu verstehen gibt, dass in vier Wochen die Welt untergeht. Auf der Suche nach Antworten über diese „Botschaft aus der Zukunft“ erhält er von einem Lehrer ein Buch über „Die Philosophie der Zeitreise“, in dem seine Erlebnisse minutiös vorhergesagt werden. Alle Fäden in Donnies Leben führen auf einen Punkt zu – und diesen Punkt erreicht er in der Halloween-Nacht 1988 – einer Nacht, in der sich sein Schicksal bestimmen wird und seine Fragen eine Antwort finden.

„Donnie Darko“ ist großartiger Film über „Zeitreise“ weil er diese Thema so perfekt vergegenständlicht. Blickt man an dem Mysterium, das die zeit-paradoxe Erzählung präsentiert, einmal vorbei, lassen sich zahlreiche Details erkennen, die aus „Donnie Darko“ eine Studie über das Ende des alten und den Beginn des neuen Jahrtausends machen. Augenscheinlich ist die Erzählung Ende der 1980er Jahre angesiedelt. Hinweise auf den Wahlkampf zwischen George Bush Sr. und Michael Dukakis situieren die Geschichet in 1988. Der Film selbst sieht aber keineswegs nach „80er“ aus (einmal abgesehen von der Musik, die jedoch in Retro-Zeiten ein sehr unzuverlässiges „Leitfossil“ ist). Vielmehr bildet „Donnie Darko“ einen Blick auf diese Zeit verbunden mit einer analytischen Position aus seiner Produktionszeit. Im Rückblick wird der sich mit Bushs Wahlsieg zementierende Neo-Puritanismus einem kritischen bis sarkastischen Blick unterzogen: Der Ethik-Unterricht in Donnies Schule ist undifferenzierte dualistische Gut-Böse-Esoterik und der ortsansässige Guru der Kopf eines Kinderpornorings.

In dieser Gesellschaft wächst eine Jugend heran (repräsentiert durch Donnie und seine Schwestern), die sich entweder dafür entscheidet, sich vom System korrumpieren zu lassen oder es zu hinterfragen – was gleichbedeutend mit einer Krankheit ist. Das, was Donnie seiner Therapeutin erzählt und was wir zusammen mit ihm erleben, sind eigentlich nichts anderes als typisch adoleszente Probleme – in der gesellschaftlichen Konfiguration, die „Donnie Darko“ schildert, allerdings krankhafte Probleme. Nähme man den Film als ein Coming-of-Age-Drama, wäre die Zeitparadoxie auflösbar als ein moralisches Dilemma: Entweder in dieser Zeit überleben, sich anpassen und die Sicht auf die Wirklichkeit gesellschaftskonform so verzerren, dass man die Authentizität verliert oder den Tod wählen als einen Akt des finalen Aufbegehrens gegen diese Mechanismen. Die Zeitreiseparabel verdeutlicht uns diese Optionen und verschiebt die Wahlmöglichkeiten in ein teleologisch-theologisch abstraktes Gedankenexperiment.

Man kann sich der Suggestivität des Films nur schwer entziehen. Vor allem die scheinbare Teilnahmslosigkeit Donnies – grandios verkörpert von Jake Gyllenhaal – provoziert den Zuschauer beständig und lässt ihn an seiner Stelle nach rationalen Erklärungen für die Erlebnisse suchen. Diese Suche wird dadurch erschwert, dass wir Augenzeugen von Donnies Sicht der Dinge sind: Wir sehen den Hasen, sehen die unsichtbaren Barrieren, die er errichtet, sehen die „Gottespfade“, die den Menschen aus den Körpern wachsen und die wirklich in deren Zukunft, bzw. an deren zukünftigen Aufenthaltsort weisen. Je mehr wir mit dieser Sichtweise indentifiziert werden und sich unser Bild mit dem Donnies zur Deckungsgleichheit bringt, desto tiefer ist der Sturz in die Erkenntnis am Ende des Films, als das Realitätsprinzip wieder Einzug hält.

„Donnie Darko“ ist erst auf DVD zu einem Erfolg geworden. Seine kryptische Erzählung im Verbund mit der eigenartig „zeitlosen“ Bildästhetik (beides hat ihn immer wieder das Attribut „Lynchesk“ eingetragen) scheinen nicht Kino-affin, wirken wohl nur in jenem Medium, dass im Film selbst ausschließlich als Werkzeug der Agitation und Manipulation inszeniert wird. Über Fernsehen und Video wird in „Donnie Darko“ Aufklärung geleistet, Politik gemacht und Esoterik verkauft. Donnie ist der einzige, der sich von diesen Mechanismen unbeeinflusst zeigt, was ihm – wie in besagter Unterrichtsstunde – schließlich auch zu einem Renitenten stempelt.

Der jetzt erschienene „Director’s Cut“ raubt dem ursprünglichen Film viel von seiner Suggestivkraft, indem er Wahrheiten ausbuchstabiert und Szenen vor Augen führt, die zur „Klärung“ beitragen. Die Erlebnise Donnies sind nun streng durch die Kapitel des Zeitreisephilosophie-Buches strukturiert und ordnen sich diesen thematisch unter. Die Traumsequenzen, in denen immer wieder Donnies (?) Auge gezeigt wird, vor dem sich Bilder und Laufschriften abrollen, suggeriert mehr als es gut wäre, dass sich alles nur „vor seinem Blick“ aber keineswegs notwendig auch in der Wirklichkeit abspielen muss. Auf der anderen Seite beleuchtet die neue Schnittfassung aber auch mehr jener zeitkritischen Aspekte des Films: Die Geschichte um die Literatur-Lehrerin wird deutlicher ausgefürt und etliche Dialogszenen sind nun länger als zuvor.

Donnie Darko
(USA 2001)
Regie & Buch: Richard Kelly; Kamera: Stephen B. Poster; Musik: Michael Andrews, Mike Bauer; Schnitt: Sam Bauer, Eric Strand
Darsteller: Jake Gyllenhaal, Holmes Osborne, Maggie Gyllenhaal, Daveigh Chase, Mary McDonnell, James Duval u.a.
Länge: 128 Minuten
Verleih: McOne

Zur 2-Disc-Special-Ediion von McOne:

Bild: 2,35:1 (16:9), PAL, DVD 9, Code 2
Ton: Deutsch (DD 5.1, DTS 5.1), Englisch (DD 5.1)
Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte
Extras: Audiokommentare von Richard Kelly und Kevin Smith, Trailer, Making of, Storyboard/Film-Vergleich, Darkomentary, Videoclip zu „Mad World“, Fotogalerie, 15 Interviws mit Cast & Crew, Cunning Visions, „The Philosophy of Time Travel“-Buch, Making of des Musikvideos, Filmmusik, Wissenswertes, Biografien, 16-seitiges Booklet (Alle Extras mit dt. UT)
FSK: ab 16 Jahren
Preis: 17,99 Euro
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Stefan Höltgen

3 Antworten auf „Filmosophie des Zeitreisens“

  1. Der Annahme, dass Donnie Darko nur deshalb kein Kino- sondern nur ein DVD-Erfolg war, weil er nicht „Kino-affin“ sei, muss ich deutlich widersprechen. Es benötigt nicht viel Recherche um herauszufinden, dass dieser Film erst gar nicht in europäischen Kinos lief und somit überhaupt keine Chance hatte eine „Kino-affinität“ (wenn man so einen Ausdruck für einen Kinofilm überhaupt verwenden darf) zu entwickeln.

    Hauptsächlich was die Tonebene angeht muss man annehmen, dass Donnie Darko seine Wirkung besonders im Kino am besten entfalten könnte. Dass der Film trotz großem Erfolg auf dem Sundance Film Festival und trotz bekannter Schauspieler (Patrick Swayze, Drew barrymore etc.) nicht in den Kinos anlief, liegt daran, dass in den USA nach dem 11. September 2001 alle Filme aus den Kinos verbannt wurden, die auch nur im geringsten einen Unfall mit einem Flugzeug thematisierten. Selbst die Musikindustrie blieb bekannterweise nicht von dieser Paranoia verschont.

    Ich stimme zu, dass Fernsehen und Video „als Werkzeug der Agitation und Manipulation inszeniert wird“ aber die Schlussfolgerung, dass Donnie Darko nur deshalb ausschließlich zu einem DVD-Erfolg wurde ist ziemlich kurzsichtig. a) Weil dieser Annahme ein grober Recherchefehler zugrunde liegt und
    b) vollkommen unerwähnt bleibt, dass das Kino als Medium und Dispositiv ein ebenso (und in der Filmtheorie sogar prominent erwähnte) starkes Manipulationsinstrument und Medium der Illusionen ist!!

  2. Vielen Dank für Ihren Kommentar.

    Zu a) Die Frage der Kinoauswertung ist von mir nicht nur schlecht, sondern sogar gar nicht recherchiert worden, weil der Satz „DD ist erst auf DVD ein Erfolg geworden“ ganz unabhängig davon richtig ist. Ob er nun aufgrund seiner Tonebene oder der bekannten Schauspieler erfolgreich gewesen wäre, gehört ins Reich der Spekulationen. Auch sehe ich keinen direkten Zusammenhang zwischen dem 11. September 2001 und einer europäischen Kinoauswertung des Films.

    Bei Ihrem Punkt b) sehe ich eine (logisch) unzulässige Umkehrung der Kausalität meiner Aussage. Ich habe ja nicht geschrieben, dass das Kino kein Medium der Agitation gewesen ist (das war es bis zum Siegeszug des Fernsehens ab den 1960er Jahren ja wohl auch – zumindest in den Kulturen, die ab dann vermehrt ferngesehen haben – ab dann jedoch nicht mehr an vorderster Stelle) würde ich ja nicht bestreiten. Ich erwähnte nur eine auffällige Kongruenz zwischen dem Medium, das im Film abgebildet wird, dem Medium, auf dem der Film (aufgrund welcher historischen Paranoia auch immer) vorrangig abgebildet wird und dem Diskurs, der im Film geführt wird.

  3. Der Satz „“Donnie Darko” ist erst auf DVD zu einem Erfolg geworden.“ ist natürlich nicht falsch. Dem habe ich auch doch gar nicht widersprochen. Doch das direkt darauf folgende folgende Argument „Seine kryptische Erzählung im Verbund mit der eigenartig “zeitlosen” Bildästhetik […] scheinen nicht Kino-affin und wirken wohl nur in jenem Medium […]“ bedeutet doch, dass sie den großen Erfolg des Films auf DVD auf seine fehlende Kino-Affinität zurückführen, ohne dabei zu überprüfen, ob er überhaupt im Kino lief und welchen Erfolg er da hatte.

    „Auch sehe ich keinen direkten Zusammenhang zwischen dem 11. September 2001 und einer europäischen Kinoauswertung des Films.“ Ich habe lediglich erklärt, DASS und WARUM der Film nicht in europäischen Kinos lief und die Vorgänge des 11.9. nicht mit irgendeiner ideologischen Kritik im Film in Verbindung gebracht. Schließlich kann man nicht behaupten, dass ein Film nicht kino-affin ist, wenn das erst gar nicht überprüfbar ist, weil er erst gar nicht im Kino lief. Natürlich ist das Spekulation, ob er im Kino erfolgreich geworden wäre. Aber ich hab ja auch gar nicht behauptet, dass er dann erfolgreich gewesen wäre, sondern gehe lediglich davon aus, dass er im Kino eine bessere Wirkung hätte als auf dem Fernsehbildschirm. Ich habe lediglich erklärt, dass einige Filme (eben auch DD) nach dem 11.9. nicht im Kino aufgeführt wurden, wenn in irgendeinem Zusammenhang ein Flugzeugabsturz thematisiert wurde. Das betraf doch lediglich die Distribution und nicht die Produktion des Films. Die Produktion kann doch vom 11.9. gar nicht beeinflusst worden sein (der Film war zu diesem Zeitpunkt schon so gut wie abgedreht), weswegen man DD auch gar nicht erst auf irgendeine Paranoia aufgrund des 11.9. interpretieren kann. Ich weiß auch gar nicht, wie sie darauf kommen, dass ich das behauptet hätte; da haben sie meine Argumente vollkommen durcheinander gebracht.

    An ihrer guten Beobachtung, dass „eine auffällige Kongruenz zwischen dem Medium, das im Film abgebildet wird, dem Medium, auf dem der Film (aufgrund welcher historischen Paranoia auch immer) vorrangig abgebildet wird und dem Diskurs, der im Film geführt wird.“ habe ich doch überhaupt nichts auszusetzen. Ich gebe zu, dass sie in diesem Zusammenhang nicht unbedingt auf die ebenso starke Wirkung des Kino-Dispositivs hinweisen müssen. Mir stieß lediglich sauer auf, dass sie meinen einen Grund für den schlechten Kinoerfolg gefunden zu haben, obwohl er erst gar nicht im Kino lief und das im Gegensatz zum DVD-Erfolg überhaupt nicht messbar war.

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