Filmlegende Fritz Lang

Rolf Aurich et al. (Hgg.): Fritz Lang, Berlin: Jovis 2001

Filmgeschichte lebt nicht von Theorie allein, sie hat vielmehr traditionell stets von den Legenden gelebt, die unverzichtbarer Teil ihrer Aura sind.

Sie sind es aber auch, die den „Strukturen“, Diskursen“ und „Prozessen“ der Moderne Namen, Gesicht und Stimme geben – eine Beglaubigung durch eine Biografie und ein individuelles Werk. Von dieser Art ist die bei jovis erschienene, textlich und bildlich reich illustrierte Biografie Fritz Langs, deren Autoren beeindruckende Archivstudien betrieben haben, um hinter dem Regisseur Fritz Lang und seiner selbst inszenierten Legende den Menschen hervorzuholen, dem sich sein bekanntes Werk verdankt. Nach der Lektüre der Studien zum frühen Film erhält dieses Buch noch einen besonderen Aspekt: Die über den knappen Zeitraum von 2 Jahrzehnten eher synchron angelegte Systematik wird durch eine diachrone Linie ergänzt, die unmittelbar an die definierte Epoche des frühen Films anschließt. Denn Langs erste Filmexperimente datieren genau aus dem Jahr 1917, und sie führen zu den epochemachenden Stationen internationaler Filmgeschichte: Berlin, Paris, Hollywood. Die Lebensdaten 1890 bis 1976 zeigen an, dass es sich hierbei um eine zeitgeschichtlich repräsentative Künstlerbiografie handelt, der nur noch der Geburtsort Wien hinzuzufügen ist, um seinesgleichen aus der Kunst- und Intellektuellenszene zu erinnern, die im Europa des frühen 20. Jahrhunderts erst die Kulturhauptstadt Berlin anzog, wenig später abstieß und zumeist – wenn sie Glück hatten – in die USA verschlug. Lang ist gleichwohl ein besonderer Fall, den dieses Buch anhand persönlicher Dokumente rekonstruiert. Der Schöpfer des expressionistischen Klassikers Der müde Tod, der Mabuse-Serie, der Nibelungen und vor allem des Metropolis-Films steht wie kaum ein anderer für das vorgeblich goldene Zeitalter des Weimarer Kinos. Mit dieser Reputation war er ein Begünstigter, der in Hollywood willkommen war und einen guten Start hatte. Dass seine persönlich in die Welt gesetzte Geschichte von der blitzartigen Flucht aus Deutschland nach seiner Umwerbung durch Goebbels offenbar nicht ganz den Tatsachen entspricht, wird mehr als aufgewogen durch die Zeugnisse seines Engagements für Exilanten aus Nazi-Deutschland. Egon Erwin Kisch, Kurth Pinthus, Bert Brecht etwa profitierten von dem von ihm gegründeten Fond. Hangmen also die, Langs Hollywood-Film über das Heydrich-Attentat in Prag, ist auch als eine Geschichte künstlerischer Differenz mit Brecht in die Geschichte eingegangen, die sich nach den hier präsentierten Quellen allerdings ganz anders liest als in Brechts Arbeitsjournal. (Der strickte an eigenen Legenden).

Nahe an die heutige Zeitgeschichte rückt Lang vor allem durch die Dokumente seiner persönlichen Beziehungen – zu Lotte Eisner, zu Adorno, zu Volker Schlöndorff, zu Alexander Kluge u.a.. Eine Geschichte der Langschen Filmästhetik beabsichtigt dieses Buch nicht. Die wäre allerdings vielleicht ganz neu zu erwägen angesichts der hier dokumentierten persönlichen Bekanntschaft mit Oskar Schindler, dessen Leben Lang zu verfilmen beabsichtigte. Diesen Film hat dann bekanntlich Steven Spielberg gedreht. – Ob das wirklich eine ganz andere Geschichte ist? Die Filmhistoriker haben neuen Stoff zum Nachdenken über das deutsche Kino und Hollywood.

Rolf Aurich, Wolfgang Jacobson u. Cornelius Schnauber unter Mitarbeit v. Nicole Brunnhuber u. Gabriele Jatho (Hrsgg.)
Fritz Lang. Leben und Werk. Bilder und Dokumente
Berlin: Filmmuseum Berlin, Deutsche Kinemathek und jovis-Verlag 2001
512 Seiten
ISBN: 3931321746
49,80 Euro

Dr. Sigrid Lange

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.