Film verstanden.

Benedikt Descourvières: Kriegs-Schnitte, St. Augustin: Gardez! 2002

„Ist es notwendig zu lernen, wie man einen Film versteht?“ fragte James Monaco sich und den Leser in den frühen 80er Jahren zu Beginn seines Buches „Film verstehen“, das längst zum Standardwerk avanciert ist. Ein Wälzer, der dem Interessierten auch heute noch fundierte Einblicke in Filmgeschichte, –theorie und –technik bietet, der vor allem aber auch der breiten Masse „Film“ im Vergleich zu anderen Kunstformen als ein nicht minder anspruchsvolles Medium präsentierte. Lange sollte es jedoch noch dauern, bis die Vermittlung von Medienkompetenz zur Analyse audiovisueller Medien – AV-Texte, wie der Medienpädagoge Christian Doelker sie nennt – auch im pädagogisch-schulischem Rahmen Einlass gewährt wurde. So verlies man sich lange Zeit auf das vorschnelle Urteil, dass Filme nur der Zerstreuung dienten und somit kein Unterrichtsgegenstand sein könnten, oder dass (Spiel-)Filme, wenn überhaupt, nur in Form der „Literaturadaption“ und dann auch nur zur Veranschaulichung des bereits Gelesenen oder als kleines „Bonbon“ für die Schüler einen Platz im Curriculum verdienten. Erst einem erweiterten (akademischen) Textbegriff ist es schließlich zu verdanken, dass – erstmals im Jahre 1998 in der Rheinland-Pfalz – der „verantwortungsbewusste Umgang mit diesen Medien und die kreative Nutzung ihrer Möglichkeiten“ zum festen Bestandteil der pädagogischen Ziele im hierfür naheliegenden Fach Deutsch erklärt wurde. Allein, dank eines jahrzehntelang am medialen Alltag vorbeikonzipierten Deutschunterrichts ist es anzulasten, dass die Lehrkräfte selbst kaum Kompetenzen in Sachen Filmtheorie und – analyse mitbringen, diese also zunächst selbstständig erarbeiten müssen, um sie anschließend ihren Schülern adäquat vermitteln zu können. Der Literaturwissenschaftler Benedikt Descourvières reicht ihnen mittels „Kriegs-Schnitte – ‚Wege zum Ruhm‘,’Full Metal Jacket‘ und ‚Independence Day‘ im Deutschunterricht“ eine helfende Hand.

Gerade einmal 100 Seiten zählt dieses Büchlein, doch angesichts der anvisierten Klientel ist ein großes Ausholen auch gar nicht nötig: Descourvières setzt eine akademisch (vor-)gebildete Leserschaft voraus, die zumindest aber über einen annehmbaren Wissenshorizont verfügt, auf dem aufgebaut werden kann. So vermittelt er ohne große Umschweife Kenntnisse in theoretischer und praktischer Filmanalyse, bietet einen fundierten Überblick über die Geschichte der Filmtheorie, sowie eine kurze Geschichte der noch recht jungen Filmwissenschaft, deren Koordinaten er dergestalt in den akademischen Diskursen durch gegenseitige Inbezugnahme mit der Theaterwissenschaft, der Literaturwissenschaft und der Semiologie erhellend veranschaulicht. Die nüchterne Stringenz, mit der Descouvrières hier geballtes Wissen auf engstem Raume zu verdichten weiß und die mitunter zu dem Kuriosum führt, dass nahezu jeder Satz mit einer auf weiterführende Literatur hinweisende Fußnote endet, ist hierbei der Sache zweckdienlich.

Um das Abstrakte in der Praxis sichtbar zu machen, nimmt sich Descouvrières des Kriegsfilms an, dessen emotional aufgeladene Topoi, nicht auch zuletzt durch aktuelle politische und historische Ereignisse, die Schüler zur Positionierung drängen und jene durch die darin verhandelten Extremsituationen mit unterschiedlichsten, vor allem aber direkt vermittelbaren Aspekten des menschlichen Miteinanders konfrontiert. Mit PATHS OF GLORY (USA 1957), FULL METAL JACKET (USA 1987) und INDEPENDENCE DAY (USA 1996) fiel die Wahl auf in Ausrichtung und Ästhetik denkbar unterschiedliche, aber nicht uninteressante Vertreter des Genres, anhand derer verschiedenartige filmische Darstellungsmöglichkeiten des Krieges auf Grundlage der zuvor vermittelten Ansätze nachvollziehbar herausgearbeitet werden.

Ein weiteres Kapitel mit Hinweisen zur didaktischen Vermittlung des Lehrobjektes und des grundlegenden pädagogischen Zieles steht diesen, auch für sich allein genommen durchaus lesenswerten Analysen der Filme hinten an, ergänzt durch mögliche Tafelbilder, erläuternde Skizzen, Arbeitsblattvorlagen und einem Blankoformular für die Sequenzanalyse. Ein stattliches Literaturverzeichnis, das zu tiefergehender Beschäftigung mit dem Thema einlädt, rundet das Buch abschließend ab.

Descourvrières gelingt ein „Crashkurs Filmtheorie und -analyse“, der sich gut als vertiefender Appendix zu Monacos bereits erwähntem „Film verstehen“ eignet. Wer über etwas akademisches Vorwissen aus anderen, verwandten Disziplinen verfügt oder sich bereits autodidaktisch an die oft verwirrende Peripherie der weiten Welt der Filmwissenschaft herangetastet hat, erhält hier einen strukturierenden und kompetenten Einstieg ins Zentrum. Als Einstiegslektüre wird das Buch jedoch nur bedingt zu empfehlen sein.

Benedikt Descourvières
Kriegs-Schnitte – „Wege zum Ruhm“, „Full Metal Jacket“ und „Independence Day“ im Deutschunterricht
St. Augustin: Gardez! Verlag, 2002
100 S., 19,90 €

Thomas Groh

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