Entdecke den bad-ass gangsta in dir – mit deutscher Übersetzung

Ist ein Wörterbuch auch ein Buch? In den meisten Fällen nein, genauso wenig wie ein Telefonbuch – es ist zum Nachschlagen, aber nicht zum Lesen da. Es gibt aber eine besondere Sorte von Wörterbüchern, die sich durchaus auch zum Lesen eignen. Damit man sich aber mit dem trockenen und sperrigen Genre eines Wörterbuchs anfreunden kann, muss eine besondere Motivation für das Lesen da sein. Das Wörterbuch muss eine Funktion übernehmen, die normalerweise ganz anderen Texten vorbehalten ist. Wie ein Roman muss es den Leser in eine eigene, durch die im Wörterbuch versammelte Sprache kodierte, oftmals exotische und gefährliche Welt entführen.

 Das "Rap-Wörterbuch Explicit Hiphop" von Bernhard Schmid ähnelt in dieser Hinsicht vielen Slang- und Ganovensprache-Wörterbüchern, wie sie schon seit dem 19. Jahrhundert produziert und von einer für Wörterbuchverhältnisse breiten Interessentenschicht rezipiert wurden. Die Welt, in die der Leser von "Explicit Hiphop" eintaucht, ist hochgradig künstlich. Da das Buch in erster Linie eine Übersetzungshilfe für amerikanische Rap-Texte ist, findet man sich beim Lesen der einzelnen Einträge und ihrer Erklärungen vor allem in der imaginären Welt eines Macho-Gangstas wieder, der die meiste Zeit seines Lebens damit verbringt, Leuten Köpfe wegzuschießen und die Bitches in seiner Umgebung reihenweise zu beglücken. Angesichts der inhaltlichen Zentrierung auf Drogen, Machismus und Gewalt(phantasien) fragt man sich, wessen Sprache in diesem Wörterbuch überhaupt versammelt ist? Ist es der reale Bewohner des amerikanischen schwarzen Ghettos, der hier spricht, oder ist es vielmehr die amerikanische Unterhaltungs- und Musikindustrie, die zum Wort kommt? Oder ist es sogar der reale Schwarze der amerikanischen Inner Cities, der aber bereits die Sprache der Musikindustrie zu seiner eigenen gemacht hat?

Wie auch immer die Antwort auf diese Frage lautet, seine primäre Funktion – das Verstehen der Raptexte von den 80-ern bis heute zu erleichtern – erfüllt das Buch von Bernhard Schmid in hervorragender Weise. Die Wörter werden zuerst ausführlich auf Deutsch erklärt und kommentiert, anschließend werden zu jedem Eintrag mehrere Beispiel-Sätze geliefert, in denen der Ausdruck Verwendung findet. Schmid bemüht sich, die deutschen Erklärungen zumindest teilweise stilecht zu gestalten, und so heißt "phat" in der deutschen Übersetzung nicht einfach nur "großartig", (was für das einfache Verstehen schon ausreichend wäre) sonder auch noch "fett, stark, geil" und "krass". Auf diese Weise wird die (oft ausschlaggebende) emotionale Komponente eines Slangausdrucks dem Leser erklärt und nahe gebracht. Eine Besonderheit dieses Wörterbuchs ist, dass die englischen Beispiele oft derart mit weiteren Slangausdrücken übersättigt sind, dass man, um das Beispiel überhaupt zu verstehen, fünf andere Wörter nachgucken müsste. Lässt man sich auf dieses Unterfangen ein, so wird das Lesen des Wörterbuchs schnell zum unkontrollierten, aber jedenfalls spaßigen Surfen in den – so scheint es zumindest für den Anfänger – grenzenlosen Weiten des Black American English.

Die sich am Ende des Wörterbuchs befindenden Sonderteile mit thematischen Sammlungen, (positive/negative Ausdrücke, Musikersprache usw.) einem kurzen Abriss der Besonderheiten der Grammatik sowie einigen Übungstexten sind eine sinnvolle Beigabe zu dem Hauptteil des Wörterbuchs und helfen, das versammelte sprachliche Wissen zu systematisieren und zu festigen. Leider sind diese Sonderteile – und hier macht sich der Umstand, dass das Buch praktisch im Selbstverlag, also als Print-On-Demand erschienen ist, und nicht mit dem Know-how eines großen Verlags aufbereitet wurde, negativ bemerkbar – kaum erkenntlich gemacht worden, und nach einem Inhaltsverzeichnis, geschweige denn einer Einleitung sucht man in diesem Band auch vergeblich.

Abschließend möchte ich einige allgemeine Überlegungen zur technischen Seite eines solchen Wörterbuchs anstellen. Der bereits erwähnte Netzcharakter der sprachlichen Beispiele, bei denen ein Ausdruck auf mehrere weitere verweist, schreit geradezu nach einer voll verlinkten technischen Realisation, bei denen man den einzelnen "Links" auch tatsächlich folgen könnte, ohne Blättern und Suchen. Bis aber so eine "technische Realisation" so klein wie ein Buch und so lesefreundlich wie bedrucktes Papier wird, müssen wohl noch 25 Jahre Rap-Geschichte verstreichen.

Bernhard Schmid
Rap-Wörterbuch Explicit Hiphop
Norderstedt: BoD 2001.
256 Seiten (Paperback)
20,00 Euro

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Nikita Braguinski

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