Die Kunst der (Ent-)Täuschung

Der Beginn ist verwirrend: In den Dreißigerjahren dringt ein junger japanischer Polizist in das Haus seiner Geliebten ein, findet dort zunächst eine enthauptete Leiche, erschießt dann aus Versehen genau jene Frau, die er doch eigentlich vor dem Mörder retten wollte. Der taucht schließlich aus seinem Versteck auf und stellt den Helden zum Zweikampf, aus dem er nach einem tödlichen Schwerthieb triumphierend hervorgeht. Der Killer verlässt den Ort des Blutbads und plötzlich laufen japanische Credits über das Bild: Der Film scheint zu Ende, noch bevor er richtig begonnen hat.

Ab einem gewissen Entwicklungsstadium vollzieht sich die Ausdifferenzierung von Genrefilmen vor allem auf formaler Ebene, während die Handlungsebene demgegenüber in den Hintergrund tritt: Das genreeigene Inventar steht, erzählerische Varianten sind ausgeschöpft und erst durch formale Experimente tun sich neue Möglichkeiten auf, die dann auch wieder auf die Handlungsebene zurückwirken. So konnte etwa der Western als ältestes Filmgenre seine Relevanz bis in die Gegenwart sichern und sich immer wieder erneuern. Für den Thriller, ein Genre, dessen Essenz es zudem geradezu ist, seine Zuschauer im Ungewissen zu lassen, sie zu überraschen und zu täuschen, sind neue Inszenierungskniffe von noch viel unmittelbarer, ja geradezu existenzieller Bedeutung. Schon Hitchcock verlegte seine Täuschungsmanöver häufig von der Handlungs- auf die formale Ebene, um für ein zunehmend abgeklärteres Publikum noch effektiv zu sein, somit sein Versprechen einhalten zu können. Die Exposition von Barbet Schroeders „Das Geheimnis der Geisha“ ist ein gutes Beispiel für diese Strategie. Nach der oben beschriebenen Szene zieht das Bild auf und verlegt das Geschehen in einen neuen Kontext: Der junge französische Krimiautor und Dozent Alex Fayard (Benoît Magimel) hält vor Studenten einen Vortrag über den japanischen Bestsellerautor Shundei Oe und führt ihnen zu diesem Zweck die Verfilmung eines Oe-Romans vor.

Nicht nur springt Schroeder in den wenigen Minuten seiner Exposition mehrere Jahrzehnte von der Vegangenheit in die Zukunft, vom asiatischen Kontinent nach Europa und aus der (Film-)Fiktion in die (Film-)Realität, er treibt sein Vexierspiel förmlich auf die Spitze, indem er seinen Protagonisten Spekulationen über einen Menschen anhand dessen literarischen Werkes anstellen lässt und dieses wiederum beispielhaft mit einem Film illustriert. Dieser Wechsel zwischen den Medien Film und Literatur, zwischen Realität und Fiktion, den Schroeder instrumentalisiert, hat seinen Grund in der Geschichte, die er erzählt: Oe, so erfahren wir, ist ein Monster in Menschengestalt, dessen amoralischen Krimis, in denen stets das Böse siegt, die Auswüchse eines durch und durch kranken Hirns sind. Seit Jahren lebt der Autor zurückgezogen, niemand hat ihn je gesehen, nur ein groteskes Selbstbildnis existiert von ihm. Und die wenigen Anekdoten, die über ihn kursieren, haben sich vor diesem Hintergrund längst selbst in Schauergeschichten verwandelt, die vom legendenhaften Ruf des Meisters zusätzlich befeuert und übersteigert werden. Der Mensch Oe und sein Werk sind nicht mehr voneinander zu trennen. Dies muss auch der von sich selbst überzeugte Oe-Experte Fayard im Verlauf des Films leidvoll erfahren: Als er den Autor anlässlich der Japan-Veröffentlichung seines eigenen, von Oe inspirierten Buches provoziert, zieht er dessen Zorn auf sich und findet sich bald in einem Szenario wieder, das einem von Oes Romanen entsprungen scheint …

Barbet Schroeders Schaffen darf man durchaus als wechselhaft bezeichnen: Herausragenden Filmen wie seinen Dokumentationen „Général Idi Amin Dada: Autoportrait“, „L’Avocat de la terreur“ oder seiner Bukowski-Hommage „Barfly“ stehen Hollywood-Produktionen wie „Weiblich, ledig, jung sucht …“, „Kiss of Death“ oder „Desperate Measures“ gegenüber, die zwar allesamt professionell und routiniert inszeniert sind, aber seine unverwechselbare Handschrift vermissen lassen. „Das Geheimnis der Geisha“, eine französisch-japanische Koproduktion nach einem Roman des japanischen Mystery-Autoren Edogawa Rampo (was der japanischen Schreibweise für Edgar Allan Poe entspricht), kommt zwar in einem gegenüber seinen eher zahmen Hollywoodfilmen recht expressiven Gewand daher, entpuppt sich aber schon bald als kaum weniger handelsüblicher Erotikthriller. Das oben beschriebene Verwirrspiel auf formaler Ebene, das Oszillieren zwischen Autorenfilm und Trash – mal fühlt man sich an die große französische Krimitradition erinnert, dann an die italienischen Gialli der Siebzigerjahre oder an die Pop-Dekonstruktionen von Brian De Palma oder Paul Verhoeven –, tritt gegenüber einer leider recht durchsichtigen Geschichte in den Hintergrund, deren Ausgang für jeden halbwegs versierten Zuschauer leicht vorhersagbar ist. Das auf eine belebte und recht fruchtbare filmische Tradition zurückblickende Thema der Begegnung von westlicher und japanischer Kultur, das schon so unterschiedliche Filmemacher wie Samuel Fuller, Sidney Pollack, Paul Schrader oder John Frankenheimer beschäftigte, bietet hier zwar einen immer noch recht interessanten Background, der aber letztlich kaum mehr als etwas Lokalkolorit beisteuert, und auch die Geschichte des Künstlers, der sich aufgrund der geistigen Verwandtschaft zu seinem Antagonisten überlegen oder zumindest sicher fühlt, jedoch genau deshalb in die Falle tappen muss, hat man schon unzählige Male serviert bekommen. „Das Geheimnis der Geisha“ leidet unter dem oben kurz umrissenen Thrillerproblem: Man findet sich auf den von Schroeder ausgelegten falschen Fährten stets viel zu gut zurecht, um wirklich noch überrascht zu werden. Seine inszenatorischen Kniffe, die die erste Hälfte seines Films noch zu einer recht spannenden und originellen Angelegenheit machen, können sich gegen dieses Mittelmaß leider nie behaupten, bleiben letztlich bloße Dekoration. Aber irgendetwas ist dennoch dran an diesem Film, etwas das sich nicht genau benennen lässt und nachhaltig befremdet. Möglicherweise das Resultat aus dem Spannungsverhältnis zwischen dem Regisseur Schroeder, der stets hochgradig reflektiert und geradezu von seinen Filmen distanziert erschien, und Shundei Oe, einem fiktiven Autor, der von seinem schriftlichen Werk so wenig zu trennen ist, dass er selbst zur Fiktion wird.

Das Geheimnis der Geisha
(Inju, la bête dans l’ombre, Frankreich/Japan 2008)
Regie: Barbet Schroeder; Drehbuch: Jean-Armand Bougrelle, Frédérique Henri, Barbet Schroeder; Musik: Jorge Arriagada; Kamera: Luciano Tovoli, Schnitt: Luc Barnier
Darsteller: Benoît Magimel, Lika Minamoto, Shun Sugata, Maurice Bénichou, Takumi Bando
Länge: 100 Minuten
Verleih: Sunfilm

Zur DVD von Sunfilm

Sunfilm präsentiert den Film in zufrieden stellender Bild- und Tonqualität. Lediglich einen Vorwurf muss man der DVD machen: Möchte man den Film in der deutschen Fassung ohne Untertitel sehen, werden einem diese auch beim japanischen Dialog in der Exposition unterschlagen. Man muss also explizit deutsche Untertitel im Menü anwählen, um während dieser fünf Minuten nicht auf dem Schlauch zu stehen.

Bild: 1,85:1 (anamorph/16:9)
Ton: Deutsch (Dolby Digital 5.1, DTS 5.1), Französisch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel: Deutsch
Extras: Making of, Trailer
Freigabe: FSK 16
Preis: 14,95 Euro

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